— Nein. Sie kannte wirksame Mantras, und sie besaß einen Talisman. Außerdem bereitete sie eine Mischung zu, aus Kuhdung, einigen Kräutern, Zitronensaft und Saft von irgendwelchen anderen sauren Früchten und etwas Natron, wenn ich mich recht entsinne.
— Und einer Hühnerkralle.
— Wie bitte?
— Nichts. Du hast mit ihr vereinbart, was zu vereinbaren war. Wir können dich als Kuppler weiterempfehlen. Übrigens, die Arbeit wächst, die du mir aufbürdest, wir werden uns auf ein höheres Honorar einigen müssen. Ich denke, acht Rupien werde ich mindestens benötigen.
14.
DER HERR DER HINDERNISSE
Einige wenige durften für das Vaterland sterben. Die anderen beklagten allabendlich in der Regimentsmesse die Opfer, die ihnen abverlangt wurden. Elf unerträgliche Monate, so deklamierten sie, und einer, der noch schlimmer war: der Mai. Burton war von der Hitze gelähmt. Seine Gedanken versickerten. Er lag auf dem Bett, nur noch in der Lage, das Thermometer zu betrachten. Mit schlierigen Augen. Das Bett befand sich mitten im Raum, zu allen Seiten umschleiert von hellgrüner Rohseide. Wenn er seinen Arm ausstreckte, konnte er seine Hand in eine Kupferschale mit kühlem Wasser tauchen. Einer der Diener tauschte das Wasser jede Stunde aus. Über ihm drehte sich ein Pankah aus Holz und Stoff. Er wußte, der Ventilator war über eine Schnur, die durch die Wand ging, mit dem großen Zeh einer jener stillen, dunklen Gestalten verbunden, dessen alleinige Aufgabe darin bestand, das Bein zu strecken und anzuwinkeln, so daß ihm, dem Saheb, Luft zugefächelt wurde. Draußen war keiner unterwegs. Er mußte sein Haus nicht verlassen, um sich zu vergewissern, die Stadt ist so gelähmt wie er selber. Ein fiebriger Glutofenwind fegt das Leben von der Ebene. Die Wolken sind aus Staub. Es riecht nach Schnupftabak. Baroda ist der Lethargie verfallen, in diesem letzten Monat vor dem erlösenden Regen, die Pferde stehen angepflockt mit gesenkten Häuptern und vorgestülpten Unterlippen, zu faul, die Fliegen wegzuschweifen, und nebenan schnarchen die Stallburschen, das Geschirr, das sie zu säubern haben, ist ihnen aus den Händen gefallen. Selbst die Krähen hecheln nach Luft. Du mußt alle Funktionen deines Körpers einschränken. Vermeide jede überflüssige Bewegung. Mache dir die Diener zunutze, stell dir vor, sie seien deine Glieder und deine Organe. Der Mann hatte recht, bestimmt, Burton könnte sich an seine Empfehlung halten, wenn er es überhaupt nicht mehr aushielt, er könnte nach Naukaram rufen, er könnte seine lose Baumwollkleidung ausziehen und sich in den Baderaum begeben, wo einige der Diener Wasser aus porösen Tonkrügen über ihn schütten würden. Danach könnte er lesen.
Er hatte sich inzwischen umgesehen, in Baroda und in der Umgebung, er war überall gewesen, überall dort, wohin er als britischer Offizier gelangen konnte, er hatte schon gesehen, was die wenigsten seiner Kameraden gesehen hatten. Er war unzufrieden. Von seinem Pferd herab wirkten die Einheimischen wie Figuren aus einem Märchenbuch, das in ein verarmtes Englisch übersetzt worden war. Und wie er selber wirkte, das konnte er sich vorstellen: wie ein Denkmal. Deshalb erschraken sie, wenn der bronzene Reiter das Wort in ihrer Sprache an sie richtete. Solange er ein Fremder blieb, würde er wenig erfahren, und er würde ewig ein Fremder bleiben, wenn er als Fremder wahrgenommen wurde. Es gab nur eine Lösung; sie gefiel ihm auf Anhieb. Er würde die Fremdheit ablegen, anstatt darauf zu warten, daß sie ihm abgenommen wurde. Er würde so tun, als sei er einer von ihnen. Dazu bedurfte es nur noch eines geeigneten Anlasses. Es würde ihm nicht schwerfallen, das war das Aufregendste an dieser Einsicht. Die Distanz, die zu überwinden war, schien ihm gering. Menschen messen Differenzen so große Bedeutung bei, und doch werden diese von einem Umhang weggezaubert, von dem nachgeahmten Zungenschlag verscheucht. Schon die richtige Kopfbedeckung konnte Gemeinsamkeit begründen.
Ein Sandsturm kündigte sich an. Bald rauschten schwarze Wolken über die Erde mit gierigen Mäulern. Der Sand drang durch jede Öffnung, durch jede Ritze, hinterließ eine dicke Schicht auf allem. Die Bettlaken waren braun, er hätte mit dem Zeigefinger sein Kopfkissen signieren können. Der Wirbelwind schluckte Abfälle, zerriß Zeltplanen und stob Getreide auseinander, bis er plötzlich zusammenfiel, vom Irrsinn ausgelaugt, und alle Sachen, die er entrissen hatte, zu Boden plumpsen ließ.
15.
NAUKARAM
II Aum Vigneshvaraaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
— Alles änderte sich zum Schlechten, als wir in den Sindh versetzt wurden. Die Leute dort, sie sind wild und brutal, und sie hassen Fremde von ganzem Herzen.
— Ich habe noch einige Fragen über Baroda vorbereitet. Wir sollten zuerst auf sie eingehen.
— Es gab Sandstürme zu jeder Tageszeit.
— Mir ist noch einiges unklar.
— Es war unerträglich. Wie bei uns der Mai. Vor allem, wenn ich das Essen servieren wollte. Ich mußte alles abdecken. Wenn die kleinste Ritze offengeblieben wäre, das Essen hätte zwischen den Zähnen geknirscht. Und der Staub überall.
— Ich bin noch nicht fertig mit dem vorherigen Kapitel.
— Kapitel? Was für Kapitel?
— Eine Redewendung. Sieh mich an. Fällt dir nichts auf? Ich schreibe gar nicht mit.
— Wir hatten keinen Bungalow mehr. Nur zwei Zelte, die mitten in einer sandigen Ebene errichtet wurden.
— In Ordnung. Wie du willst. Wir werden später nach Baroda zurückkehren. Wieso hattet ihr kein Haus?
— Burton Saheb hatte nicht genug Geld. Er erhielt zweihundert Rupien im Monat, das reichte nicht aus, um ein Haus zu bauen, vor allem, wenn einer so viel Geld für Bücher ausgibt wie er.
— Die Offiziere mußten ihre Unterkunft selber zahlen?
— Ja. Und auch selber organisieren. Natürlich hätte ich das erledigt. Aber es lohnte sich nicht, weil Burton Saheb bald eine Arbeit zugeteilt wurde, die ihn durch das Land führte. Wir lernten, ein normales Leben in der Bewegung zu führen. Das stellte große Anforderungen an meine Fähigkeiten, mich anzupassen, das Beste aus dem Vorhandenen zu machen. Und vergessen Sie nicht, ich war plötzlich allein. Ich hatte keine zwölf Helfer mehr an meiner Seite. Schreiben Sie das auf. Es gab nur einen Koch, und einen Jungen, der aushalf. Eigentlich unnütz. Anstatt eines ganzen Hauses, mußte ich sieben Truhen verwalten und aus sieben Truhen dem Saheb ein möglichst komfortables Heim bereiten. Ich war allein in dieser Wüste. Der einzige, mit dem ich mich unterhalten konnte, war Burton Saheb. Mit den Beschnittenen ist kein Gespräch möglich, selbst wenn wir eine gemeinsame Sprache gehabt hätten. Ihre Gesichter sind wie eine Festung, ihre Augen wie zwei Kanonen, die immer auf dich zielen. Meine Aufgabe war gewaltig. Ich muß Ihnen sagen, ich war ihr durchaus gewachsen. Burton Saheb wollte sogar während der Sandstürme lesen und schreiben. Er saß an seinem Klapptisch, ich legte ihm ein kühlendes Tuch auf den Kopf. Ich wischte den Staub auf, der durch die Ritzen des Zeltes drang. Wenn der Staub ihm in die Augen geraten wäre. Das war so schmerzhaft, als hätte jemand einem Chilipulver in die Augen gestreut. Es war schwierig zu schreiben. Die Tinte an der Spitze der Feder verklumpte, das Papier wurde schnell staubig, ich kam nicht nach mit dem Wischen. Ich stand hinter ihm, und alle paar Minuten beugte ich mich über seine rechte Schulter und strich mit einem Tuch über das Blatt, das er gerade beschrieb. Er lachte einmal und sagte, ich sei wie ein Helfer, der dem Musiker die Noten umblättert. Wußten Sie, daß die Angrezi Musik von Blättern ablesen? Wenn er aufstand, mußte ich alles in die Truhen packen. Wenn ein Blatt einen Tag lang liegenblieb, sah es aus wie eine Paratha. Es war nicht in Teig gehüllt, nein, in den verfluchten Staub des Sindh.
16.
DER RAUCHFARBENE KÖRPER
Er würde die Nacht mit einem Fußtritt vertreiben. Den letzten Albtraum verjagen. Draußen spuckte ein Einzelgänger zwischen knirschenden Schritten; er schien es eilig zu haben, als erster auf die Dämmerung zu treffen. Krähen zerrissen die verbleibende Stille mit rauhen Schnäbeln. Er stand am Fenster und drückte seine Stirn gegen den Maschendraht. Jemand zündete ein Feuer an, eine Begrüßung, und die Vorbereitung für den ersten Tee des Tages. Der Geruch von Dung strich über die dampfenden Felder wie eine ungewaschene Hand. Die Luft war kühl, eine Spur feucht. Er hörte Naukaram die Tür öffnen und das Tablett abstellen. Er tastete sich zur Kanne vor, goß den schwarzen Tee in die Tasse und tröpfelte etwas Milch hinein. Als er die Tasse zum Mund führte, merkte er, daß die Dämmerung in das Zimmer geschlichen war. Als schäme sie sich, die Nacht woanders verbracht zu haben. Er genoß die Wärme der Tasse in seinen Händen, dann spürte er, wie sie ihre Brüste an seinen Rücken drückte. Das war ihre Art, ihn zu begrüßen. Möchtest du einen Schluck Tee, fragte er. Obwohl er wußte, daß sie ablehnen würde. Er konnte das Bett mit ihr teilen, nicht aber die Teetasse. Sie aß nie mit ihm zusammen. Sie lebten auf demselben Grundstück, doch er mußte seine Mahlzeiten alleine einnehmen. Das gehört sich so, hatte sie gesagt. Sie verweigerte sich seinen Aufforderungen und Einladungen genauso, wie sie es bislang abgelehnt hatte, die ganze Nacht mit ihm zu verbringen. Wenn du aufwachst, bin ich wieder da. Sie hielt ihr Versprechen — sie hielt Distanz. Sie verlangte, anders als die Kurtisanen, denen er bislang beigewohnt hatte, daß er alle Lichter lösche, bevor sie sich auszog. Das war ihre Bedingung gewesen, von Anfang an. Er akzeptierte ihren Wunsch, er empfand ihn als Ausdruck von Intimität. Der Mond war ihm beim ersten Mal von zarter Hilfe gewesen. Ihrer Haut galt sein Handmerk. Er versuchte sie auf den Mund zu küssen, sie verschloß ihre Lippen. Es erregte ihn, daß sie sich ihm hingab, ohne sich zu öffnen. Sie erwies sich als geschickt, geübt wie die anderen Kurtisanen. Er mußte an nichts denken, keine Entscheidungen fällen, sie erfüllte seine Bedürfnisse, bevor er sie aussprach. Ich sehe ihr bei der Arbeit zu, ging ihm durch den aufgerichteten Kopf, ein ernüchternder Gedanke, der seinem Orgasmus eine stumme Geburt bescherte. Danach, er hatte seine Augen noch nicht wieder geöffnet, stand sie sofort auf, er hörte den verstummenden Klang von barfüßigen Schritten. Sie kehrte nicht zurück. Nach einigen solchen Nächten setzte er Naukaram davon in Kenntnis, daß Kundalini in das Bubukhanna einziehen würde. Naukaram hatte sich gefreut, eine ehrliche Freude, so schien es Burton, und er war gerührt, daß Naukaram um sein Wohlergehen besorgt war. Eines Nachts, denn nur in der Nacht war es kühl genug, die Haut eines anderen Menschen zu ertragen, hielt er sie am Arm fest, als sie aufstehen wollte. Sie protestierte. Ich muß zurück, sagte sie. Nur ein wenig, bleibe noch bitte. Sie lehnte sich zurück. Er zündete eine Lampe an und stellte sie ab, unter ihren mißtrauischen Blicken. Er zog den Sari weg, der ihren Körper bedeckte, er wollte sie anschauen, ihre Haut von der Farbe dunklen Rauches. Er wollte alles von ihr sehen, sie aber bedeckte sofort ihre Scham mit einer Hand, und mit der anderen versuchte sie vergeblich, ihre Brüste zu verbergen. Schließlich, seiner Neugierde hilflos ausgeliefert, richtete sie sich auf und bedeckte seine Augen mit beiden Händen. Er wehrte sich, sowenig er konnte, er spreizte seine Zehen, und sie begann zu lachen, wie Wasser, das zu kochen beginnt. Er umarmte sie, immer noch blind, er umarmte ihr Lachen. Das läßt sich gut an, dachte er. Wenn er nur wüßte, ob es ihr gefiel, mit ihm.