— Und trotzdem hat er dich auf die zweite Reise mitgenommen?
— Ich verstehe nicht, wie du ihn wieder begleiten konntest. Er hat dich doch geschlagen.
— Er ist wieder zu Verstand gekommen. Er brauchte mich, und er wußte meine Dienste zu schätzen. Wir bildeten eine gute Gemeinschaft. Ich gab ihm das Gefühl, der Anführer zu sein, ich habe gelernt, meine Ungeduld zu zügeln, ich konnte abwarten, bis er seine Sätze in der Sprache der Banyan zusammengesucht hatte, und dann konnte ich ihm die Auskunft erteilen, nach der er verlangte, und er mußte sie nicht bei Bwana Burton erbitten. Er traute mir mehr und mehr. Auf der zweiten Reise erfuhr ich alles, was mir auf der ersten Reise verborgen geblieben war. Bwana Speke war ein Mensch mit zarten Gefühlen, und Bwana Burton hatte seine Gefühle niedergetrampelt. Er hatte ihm gezeigt, für wie dumm er ihn hielt. Er wußte, wie man einen Menschen herablassend behandelt. Und Bwana Speke hatte sich insgeheim gerächt, er hatte eine Verachtung in sich herangezüchtet für alles, was Bwana Burton früher getan hat und alles, was er auf dieser Reise tat. So war ihre Beziehung: Bwana Burton verachtete Bwana Speke, weil er nur das Schießen von Tieren im Kopf hatte, und Bwana Speke verachtete Bwana Burton, weil dieser kein Interesse an der Jagd hatte.
Was auch immer der Tag ihm abverlangt, wie auch immer er ihm zugesetzt hat, am Abend setzt sich Burton hin — nachdem Bombay einen Stuhl und ein Pult zu einer provisorischen Arbeitsecke in seinem Zelt auseinandergefaltet hat — und schreibt alles nieder, was er beobachtet, gemessen und erfahren hat. Ob es draußen stürmt, ob sich Wasser unter seinen Stiefeln sammelt und die Befehle von Speke zu ihm dringen, der das Abdecken der Waren mit Planen beaufsichtigt. Er schreibt, selbst wenn seine fiebrigen Finger den Füller kaum halten und seine entzündeten Augen das Tintenfaß kaum erkennen können, in das er die Spitze eintaucht. Selbst wenn er sich nur noch danach sehnt, sich auszustrecken und den Tag möglichst schnell zu vergessen.
Es handelt sich nicht nur um eine Übung in Selbstdisziplin; er betrachtet es als seine Pflicht, dieses Land in der Schrift zum Leben zu erwecken. So einer wie er schreckt nicht vor großen Herausforderungen zurück, aber wenn er sich vor Augen führt, welche Bedeutung seinen Aufzeichnungen zukommt, fühlt er sich doch ein wenig eingeschüchtert. Er bekämpft diese Unsicherheit mit Details, mit all den Details, die er aus den Unterhaltungen herauspressen kann, bis kein Tropfen nützlicher Information mehr herauszuholen ist.
Bombay steht an erster Stelle unter den Informanten. Wenn sie sich beide anstrengen, können sie fast jeden Gedanken austauschen, indem sie sich des Hindustani bedienen, getragen von einigen arabischen Stützen und einigen Kisuaheli-Pfeilern. Vor allem, wenn es sich um die örtlichen Bräuche und den allgegenwärtigen Aberglauben handelt, ist Bombay sein Gewährsmann, denn er betrachtet, was ihnen begegnet, mit einer gewissen Vertrautheit, aber auch mit einem nützlichen Maß an Befremdung. Nach einem weiteren intensiven Gespräch mit Bombay — Burton sitzt, hört aufmerksam zu, notiert, was seinem Gedächtnis entgleiten könnte; Bombay steht hinter ihm, damit er zugleich seine Schulter und seinen Nacken massieren kann — schlägt er sein Notizbuch auf und trägt einen weiteren Vermerk ein:
Folglich behaupten die Wanyika, genauso wie unsere Philosophen, daß Koma eine subjektive und nicht eine objektive Existenz erfaßt; und doch ist Hexerei ihr einziger Glaubenssatz. All ihre Krankheiten erheben sich aus dieser Besessenheit, und kein Mensch stirbt das, was wir als einen natürlichen Tod auffassen würden. Ihre Riten sind darauf gerichtet, entweder Böses von sich selbst abzuwenden oder auf andere zu laden, und das primum mobile ihrer Opfergaben ist das Interesse des Mganga, des Medizinmannes. Wenn der entscheidende Moment gekommen ist, benennt der Geist, der zuvor beschworen wurde, den Körper des Besessenen zu verlassen, irgendein Objekt, technisch ›Kehi‹ genannt, ein Stuhl, in welchem, getragen um den Hals herum oder an den Gliedern, es sich aufhalten wird, ohne den Träger zu behelligen. Diese Idee liegt vielen abergläubischen Praktiken zugrunde: die Vorstellung des Negers von einem ›günstig gesinnten Heilmittel‹ ist ein Objekt, wie die Kralle eines Leoparden oder Ketten von weißen, schwarzen und blauen Perlen, Mdugu ga Mulungu (Geist-Perlen) genannt und über der Schulter getragen, oder die Lumpen, die einem Kranken abgenommen worden sind, und die an den Baum gehängt oder befestigt werden, den die Europäer den ›Teufelsbaum‹ nennen. Der Dämonengeist zieht das ›Kehi‹ der Person des Kranken vor, so daß kraft gegenseitiger Einigung beide Seiten glücklich sind. Manche, vor allem Frauen, besitzen ein Dutzend Quälgeister, ein jeder mit seinem ganz eigenen Talisman versehen, davon einer, der lächerlicherweise ›Barakat‹ heißt, was auf Arabisch ›Segen‹ bedeutet, und dem Namen des äthiopischen Sklaven entspricht, den Mohammed geerbt hat.
Burton lehnt sich zurück, liest den Absatz noch einmal durch und schließt zufrieden sein Notizbuch. Das Thema scheint ihm fürs erste abgehandelt. Die Menschenkunde bietet in diesen Breiten gewiß das interessanteste Betätigungsfeld, die vielen Stämme samt ihrer kulturellen Eigenheiten müssen erfaßt und geordnet werden. Ihre Religion hingegen, wenn der Begriff in diesem Zusammenhang überhaupt Verwendung finden darf — Bombay hat ihm versichert, daß ihre Sprachen weder ein Äquivalent zu Dharma noch zu Diin kennen —, war von geringem Interesse, und er bezweifelt, daß die Forscher, die durch die Schneisen eintreten werden, die er auf dieser Expedition schlägt, diesem Feld besondere Aufmerksamkeit widmen werden.
Zudem, wenn die Missionare einmal einmarschiert sind, wird von dem einheimischen Aberglauben wenig übrigbleiben. Afrika ist nicht Indien, Kehi hat weitaus weniger Gewicht als Karma, und die Servanten Gottes werden sich wie Aasgeier auf jede heidnische Seele stürzen. So weit, so klar, nur eines verstört ihn: Bombay, der nicht auf den Kopf gefallene Bombay, dessen Name Mubarak ein höheres und überlegenes Versprechen birgt, der mit dem Reichtum von Al-Islam vertraut ist, dieser Bombay ist offensichtlich tief berührt von all dem Hokuspokus, beeindruckt von den Quacksalbern. Sitzt denn das Gift der kindlichen Erziehung so tief, daß er sich davon nicht befreien kann, obwohl er so vielen anderen, befriedigenderen Wahrheiten begegnet ist? Oder ist er einem Wahn verfallen, seine persönliche, labile Reaktion auf die Härten der Reise? Er sollte ihn unter Beobachtung halten, denn wenn Bombay ausfiel, würde ihnen ein guter Mann fehlen.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Hört zu, meine Brüder, hört aufmerksam zu, denn nun kommt der Teil, der jeden von euch interessiert, nun kommt die Geschichte von den Frauen dieser Reise, von den Frauen unserer Karawane. Als wir aufbrachen, da blieben wir Männer fast nur unter uns, abgesehen von einigen wenigen Ehefrauen der Träger, wir waren mehr als hundert Männer, und kein einziger von uns war alt, kein einziger von uns war schwach. Es war nicht richtig, daß wir einen Pfad entlanggehen mußten, den wir nicht kannten, daß wir alles erdulden mußten, was zwischen dem Leben und dem Tod steht, und dabei auf die Begleitung von Frauen verzichten sollten. Es war nicht richtig, daß unsere Nächte einsamer waren als unsere Tage. Es dauerte nicht lange, und die Karawane schwoll an, gewann an Rundungen, es gab immer mehr Männer, die sich am Abend nicht an unseren Gesängen und nicht an unseren Tänzen beteiligten, je länger die Reise andauerte, desto mehr Frauen begleiteten uns. Bwana Burton und Bwana Speke waren besorgt, was die Frauen für einen Einfluß auf die Karawane haben könnten.