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— Glaubt ihr ihm etwa? Glaubt ihr dieser verlausten Geschichte?

— Oh, oh, mein Flüstern hatte einen zu langen Hals.

— Eure Ohren sind eine Schande. Allesfresser sind sie. Abfalltrichter. Könnt ihr nicht unterscheiden zwischen den Geschichten, die sein Stolz ausschwitzt, sein Stolz, der größer ist als die Karawane, die er angeblich durch das ganze Land geführt hat, und den Geschichten, die seine Demut ihm gelegentlich aufzwingt? Habt ihr euch ein einziges Mal gefragt, wie ich diese Eroberung erlebt habe? Wieso habt ihr kein einziges Mal über die schöne junge Frau gestaunt — denn wenn er mich begehrte, dann begehrten mich auch andere —, die bereit war, mit ihm zu gehen, mit diesem Herumtreiber, der zwei verrückte Wazungu zu einem großen See begleitete. Oder zu zwei großen Seen, oder meinetwegen ans Ende der Welt. Mit einem Mann, der damals — das könnt ihr mir unbesehen glauben — kein bißchen besser aussah als heute. Im Gegenteiclass="underline" Das weiße Haar, das sein Gesicht umgarnt — ja, dieser Süßkartoffelacker, den wir aus Höflichkeit Gesicht nennen —, das weiße Haar hat ihm etwas Anmut verliehen. Damals war er so ansehnlich wie ein Krokodil, und wenn ich sein Wesen näher gekannt hätte, dann hätte er mich auch an eine Hyäne erinnert. Ihr solltet mir mal zuhören. Dann würdet ihr erfahren, wie erbärmlich es ist, nur die Hälfte der Geschichte zu kennen. Meine Eltern, sie hatten zu viele Kinder, alle meine Geschwister waren sehr kräftig, sehr gesund, wir aßen viel, und mein Vater, der gebrechlich war, für ihn war es schwierig, uns alle zu ernähren. Der Bruder meines Vaters half uns ein wenig, aber es war kaum genug. Wir wären nicht verhungert, unser Dorf war nicht wie diese Stadt, in der wir jetzt leben, keiner in unserem Dorf wäre glücklich gewesen, als einziger einen vollen Bauch zu haben. Aber wir waren oft hungrig. Deswegen, nur deswegen, erschien das Angebot dieses Herumtreibers wie ein Geschenk der Vorfahren. Wenn er das für mich bezahlte, was mein Vater von ihm forderte, würde die ganze Familie bis zur nächsten Ernte auskommen, und ich würde, so lange wie ich lebte, gut aufgehoben sein. So sah es mein Vater, und meine Mutter widersprach ihm nicht. Ich aber hatte Angst. Wenn ihr mich jetzt seht, denkt ihr vielleicht, wie kann es sein, diese Frau kennt keine Angst, weil ihr nur mit der Stärke vertraut seid, die ich mir zu eigen gemacht habe. Ihr müßt euch vorstellen, damals war ich schlank und zart, ich hatte Angst vor dem Gewicht, das dieser Mann auf mich laden würde. Ich wollte ihm nicht zur Frau gegeben werden, ich habe es meiner Mutter gesagt. Es hat nichts genutzt. Sie bat mich zu schweigen, der Entscheidung meines Vaters zu vertrauen. Dieses häßliche Stück fremder Mann zahlte meinem Vater am nächsten Morgen den geforderten Preis — natürlich ahnten wir nicht, mit was für Mitteln er mich erwarb —, und ich mußte mich verabschieden, von meinen Schwestern und meinen Brüdern, von den Mädchen meines Alters, von meinen Eltern. Und ich sage euch noch etwas, da dieser Mann glaubt, er müsse über mein Hinterteil in der Gosse reden, er hat mich nicht erobert mit seinen scheuen Gesten und auch nicht mit dem Messingdraht, den er meinen Eltern übergeben hat, nein, ich habe nicht zugelassen, erobert zu werden, ich habe ihm in der ersten Nacht gesagt, du darfst mich erst berühren, wenn ich es dir erlaube, bis dahin schlafen wir getrennt, und wehe, du achtest diesen meinen Wunsch nicht, ich schwöre dir, ich werde dir das abschneiden, von dem du dir einbildest, es mache dich zum Mann.

— Aber, wenn ich fragen darf, Mama Sidi, hat dein Vater so unrecht gehabt? Ist es dir nicht gut ergangen?

— Jetzt sprich aber die Wahrheit, Frau.

— Mein Vater hat gesehen, was kein Mensch sehen konnte. Obwohl dieser Mann sich weiter herumgetrieben hat, ist er jedesmal sicher nach Hause zurückgebracht worden. Wenn ihr aber die Wahrheit zu hören wünscht, sie lautet: Ich habe nie einen anderen Mann gehabt, also kann ich nicht vergleichen, wie es mir mit einem anderen ergangen wäre.

Das Wasser ist ihnen ausgegangen. In der Öde von Ugogo. Ein Land ohne lindernde Eigenschaften. Schleierwolken ranken sich am obersten aller Himmel. Kein Wunsch reicht so weit hinauf. Unter ihnen wird alles von einem unsichtbaren Ofen versengt. Dieses Land ist ein Bettler, Speke und Burton haben seinen ausgemergelten Körper vom Gipfel des Rubeho-Berges aus betrachtet. Ein Bettler mit gelblicher Haut, überwucherten Erdrippen, durchzogen von Wasserläufen, Narben der jahreszeitlichen Fluten, die über diesen ohnmächtigen Körper peitschen. Sie waren lange am Rande des Steilabbruchs stehengeblieben. Nichts außer ihre Selbstüberwindung zog sie in die Öde hinab. Die erfahrensten unter den Trägern haben sie vor diesem Land gewarnt. Einen Monat wird es dauern, bevor sie einen Hügel oder ein Tal sehen. Trotz all dieser unumgänglichen Widrigkeiten, das Wasser hätte nicht ausgehen müssen. Das war unnötig. Einige der Träger haben — absichtlich, bestimmt, Burton war sich sicher, sie haben nicht weiter als ihre Spucke gedacht — die letzten vollen Schläuche zurückgelassen. Die Zukunft wird für sich selbst sorgen, darauf haben sie vertraut, wenn sie überhaupt einen Gedanken darauf verwendet haben. Der Verlust ist erst zwei Tagesmärsche später aufgefallen, als das Wasser in den vorhandenen Schläuchen zur Neige ging. Kein Grund zur Sorge, dachte er zuerst. Sie würden rationieren und mit weniger als sonst auskommen. Er konnte nicht wissen, daß sie in eine Dürre hineingetaumelt sind. In jedem Dorf, in das sie hecheln, ist der letzte Brunnen versiegt, der letzte Tümpel verdunstet. Eigentlich sind es keine Brunnen, sondern vertiefte Mulden, deren Rand notdürftig befestigt ist. Die Hütten sind verwaist, die wenigen Menschen, auf die sie treffen, sind zerfurchte Gestalten, ihre Lippen rissig wie der Boden. Sie starren die vertrauten Akazien an, während sie auf den Tod warten. Er befiehlt, das restliche Wasser nur zum Trinken zu verwenden. Wenn sie sparsam mit ihren Reserven umgehen, würden sie drei weitere Tage überleben, vielleicht vier. Er gibt den Befehl, den vollen Mond zu nutzen, die Nacht hindurch zu marschieren. Er droht, die Protestierenden ohne einen Tropfen Wasser zurückzulassen. Tag und Nacht kratzen sie sich einen Weg durch die Ebene. Sie durchqueren tiefe Flußbetten, sie versinken in dem brüchigen Sand, sie ziehen sich am anderen Ufer mühsam an verqueren Wurzeln hoch — sie lernen die Flüsse hassen, die kein Wasser führen. Nur Baobabs ragen aus der Eintönigkeit heraus. Schon um neun Uhr knurrt die Sonne. Die stacheligen Härchen des Büffelgrases bohren sich in ihre Beine hinein, die Tsetsefliegen stechen in jedem unachtsamen Moment durch den dicksten Stoff. Dornen sind zahlreicher als Blätter. Jegliche Feuchtigkeit ist aus dem Mund verdunstet. Um zehn Uhr bellt die Sonne. Sie zählen die Schritte bis zum nächsten Abwischen des Schweißes. Böse Vorahnungen haben die Lieder ersetzt, die sie zuvor gesummt hatten. Sie können ihre Lippen nicht mehr mit der Zunge benetzen. Um elf Uhr beißt die Sonne zu. Bevor Burton seinen schweren Kopf hebt, kämpft er sich durch zähe Gedanken, ob diese Anstrengung notwendig ist. Mörtel bricht vom Gaumen ab und fällt in Klumpen auf eine anschwellende Zunge. Höchste Zeit zu rasten, aber Bäume, die ohne Wasser zu überleben wissen, bieten nur den Schatten eines Skeletts. Das nächste Dorf scheint allein von einem pfeifenden Wind bewohnt zu sein. Von den geköpften Baobabs — wofür hatten die Weggelaufenen das Astwerk genutzt? — stehen verquere Spitzen hervor. Ein Totendorf, und die Träger wissen im Grunde ihres Tuschelns, daß es den Vorabend des Tages geschlagen hat, an dem die Geister zurückkehren, die nach einem weiteren Jahr ohne Regen die ausgetrockneten Flüsse zu betrauern haben. Plötzlich eine Bewegung hinter einem lehmstarren Haus, ein Huschen, dann ein Kröchen und die Hast eines verängstigten Gockels, rot wie Verhöhnung, weiß wie eine gebärlose Wolke. Der Kamm fliegt über die aufgeplatzte Erde. Keiner bewegt sich, außer Speke, der ruhig sein Gewehr anlegt und abdrückt. Es ist nicht viel Fleisch an dem Gockel; keiner der Träger will davon essen. Jeder nimmt den Schluck Wasser, der ihm zusteht, dann taumeln sie weiter. Burton weiß, wie sinnlos es gewesen wäre, ihre Angst vor diesem verlassenen Dorf in Frage zu stellen. Alle Köpfe sind gesenkt. Mit dem Hahn scheint die letzte Hoffnung auf ihre Wiedergeburt krepiert zu sein.