— Und doch sind sie gekommen und scheinen hierbleiben zu wollen.
— Fragt sich nur, ob sie den Armen das wenige wegnehmen wollen, das diese haben, oder ob die Armen nicht so arm sind, wie es den Anschein hat?
— Letzteres, Baba Adam, gewiß letzteres. Nicht ohne Grund hat Bwana Burton einige Male zu mir gesagt: Dieses Land könnte reich sein, du glaubst gar nicht, wie reich es sein könnte. Ich habe an den Reichtum von Bombay und an den Reichtum von Sansibar gedacht und zu Boden geblickt, auf eine rissige Ackerkrume, und ich habe ihm nicht geglaubt. Ich habe mich wohl getäuscht.
Nachdem sie sich durch Steppe, Regenwald, Öde und nutzloses Land geschlagen haben, erscheint ihnen Kazeh, das kleine, staubige und trockene Kazeh, wie eine Oase, wie eine Stadt von Welt. Nach 1000 Meilen, 134 Tage nach dem Aufbruch. Sie marschieren in die Stadt hinein, als hätten sie auf ihrem Weg keine einzige Erniedrigung und keine einzige Verletzung erlitten. Die Belutschen haben in der Früh ihren Säckchen die elegante Kleidung entnommen, die für feierliche Anlässe dieser Art gedacht ist, haben sie angelegt, um wie verwandelt eine Karawane anzuführen, die sich stolz vor den Augen der versammelten Dorfschaft präsentiert, mit Fahnen im Auftrieb, mit tönenden Hörnern und Musketen, die ihre Salutationen bis zur einsetzenden Taubheit wiederholen. Die Einheimischen, die bis zum letzten Greis den Pfad säumen, nehmen die Herausforderung an, sie erwidern das Getöse, Ruf um Ruf, Schall um Schall, Pfiff um Pfiff. Das ganze Dorf begrüßt sie, und doch hat Burton noch keinen ausmachen können, der sie zeremoniell empfangen würde. Er erblickt drei Araber, die in weiße wallende Gewänder gekleidet sind. Sie treten vor und heißen Burton auf das wärmste willkommen, in ihrer eigenen Sprache, denn Omani Khalfan bin Khamis muß Kazeh schon vorher erreicht und sie umfassend über diesen Fremden in Kenntnis gesetzt haben, der fließend und vollendet Arabisch spricht. Sie kosten das seltene Vergnügen aus, indem sie sich aller denkbaren Formeln der Begrüßung bedienen. Sie bitten ihn, wenn er so gütig wäre, ihnen zu folgen, und an ihrer Zielstrebigkeit, an der Art, wie die drei sich wortlos einreihen, erkennt Burton, daß sie die Frage, wer ihn bewirten dürfe, vorausblickend geklärt haben. Burton hält inne. Er hat etwas vergessen. Er dreht sich um und sieht Speke, ein Dutzend Schritte hinter ihm, sein Gesicht kalt und glatt. Burton eilt zu ihm zurück, er entschuldigt sich. Ich muß mich mit ihnen gutstellen, erklärt er, sie werden für uns sehr wichtig sein. Geh schon, sagt Speke mit gespieltem Verständnis, wenn es denn so wichtig ist. Ich werde im Lager nach dem Rechten sehen.
Die Araber zeigen ihm den offenen Platz, auf dem Karawanen ihr Lager errichten können, dann kündigen sie an, ihn in dem Haus eines Händlers unterzubringen, der nach Sansibar zurückgezogen sei. Auf dem kurzen Weg entschuldigen sie sich wortreich, daß er so weit zu Fuß gehen müsse, und Burton beteuert, es sei für ihn keine Belastung. Sie treten ein in ein Haus mit Vordach, und er erkennt, daß die Wände frisch verputzt worden sind und der Boden vor kurzem gefegt. Er wird der Dienerschaft vorgestellt, dann überlassen die Araber ihm das Haus und kündigen an, ihn abzuholen, wenn er sich ausgeruht und frisch gemacht hat. Burton verabschiedet sich von ihnen mit Worten der Dankbarkeit. Eine Weile später bitten sie ihn zu Tisch, um seinen Hunger auf eine richtige Mahlzeit und ihre Neugierde auf seine Expedition zu stillen. Es ist eine offene Einladung, doch Burton bemerkt zu Speke, der inzwischen das zweite Zimmer des Hauses bezogen hat, es sei das beste, wenn er alleine mit den Arabern verkehre, denn in ihrer eigenen Sprache, in der Gegenwart von jemandem, der ihre Bräuche kenne und achte, würden sie sich entspannen, sich öffnen. Natürlich, Dick, sagt Speke, ich würde dir nur im Weg stehen. Sein Tonfall hat sich kein bißchen verändert.
Das Essen wird ihm für immer in Erinnerung bleiben, gefüllte Ziege, saftiger Reis und Truthahn in gut gewürzter Sauce, Hühnerklein und Maniok, das in Erdnußcreme gedünstet worden ist, ein Omelett mit Rosinen, auf dem geklärte Butter zerläuft. Vor allem aber, weil er zum ersten Mal erfährt, aus verläßlicher Quelle, daß es nicht bloß einen großen See gibt, sondern zwei, der eine schnurstracks in östlicher Richtung, der andere schnurstracks in nördlicher. Aber seine Gastgeber, die versammelten Araber von Kazeh, wissen nicht, ob der Nil aus einem dieser Seen nach Norden herausfließt. Sie versprechen, weitere Erkundigungen einzuholen, sie versprechen, ihm zu helfen, soweit sie können, aber zuerst müsse er dem König aufwarten — König Saidi Fundikira, der von seinem Sitz im nahe gelegenen Ititemya aus regiere. Nach dem Essen laden sie ihn zum Gebet ein, sie nehmen an, wer so ausgezeichnet Arabisch spricht, der kann nur ein Moslem sein, und sie sind enttäuscht, als Burton ablehnt. Er muß ablehnen, wegen Said bin Salim und den Belutschen, die jeden frühen Morgen das Gebet beachtet haben und die es nicht verstehen würden, wenn er in der herrschaftlichen Umgebung von Kazeh zu einer Achtung zurückfinden würde, an der es ihm auf der ganzen bisherigen Reise gemangelt hat. Schade, denn er verspürt auf einmal ein starkes Bedürfnis, Zikr zu beten, in einem hingebungsvollen Chor.
Am nächsten Morgen brechen sie auf, um dem König den erwarteten Respekt zu erweisen. Als sie sein Gehöft erreichen, liegt er im Schatten des königlichen Baums, ein Körper, aufgedunsen über jedes Maß hinaus, ein Anführer, der keinerlei Bewegung schätzt. Zur Begrüßung des Gastes werden zwei riesige Trommeln geschlagen, die königlichen Trommeln, die nur von dem Eingeweihten geschlagen werden dürfen — die Araber kennen sich aus, stellt Burton zufrieden fest. König Saidi, der in Europa gewiß den Titel Fundikira der Erste tragen würde, blickt ihn nicht an, er schaut keinem Sterblichen in die Augen. Ein Mann flüstert ihm etwas ins Ohr, beschreibt vielleicht, was er sehen könnte, wenn er seine Augen öffnen und seinen Kopf drehen würde. Einer der Araber, der die Sprache der Nyamwezi hervorragend gemeistert hat, übernimmt die Konversation, es klingt geschliffen und angemessen getragen. Der König, dem viele Jahre zu guten Lebens den Rücken schwächen, schweigt, er hebt und senkt bedächtig seinen Kopf, nur kann Burton nicht entschlüsseln, ob dieses Nicken ein inhaltsschweres Zeichen ist oder eine mißliche Gewohnheit.
Die Beine, erklärt der Araber neben Burton, halten seinen verschiedenen Krankheiten nicht mehr stand. Deswegen bleibt er liegen und überläßt die Entscheidungen seinem Mganga. Das ist der junge Mann, der auf ihn einredet. Der König zeigt kein Interesse an den Geschenken, die Burton ihm überreicht hat. Es ist unser Pech, flüstert der Araber Burton zu, daß der Mganga heute wieder die Wahrheit sucht, sie hält sich versteckt, und obwohl dieser Mganga ein besonders mächtiger Mganga ist, wird er den ganzen Tag benötigen, um sie aufzuspüren, und wir werden den ganzen Tag hier festgehalten werden, denn es gehört sich, daß die Gäste der Wahrheitsfindung beiwohnen. Und weil wir anwesend sind, wird der Mganga ein besonders imposantes Gezobere veranstalten. Dieser Mganga hat eine unfehlbare Strategie entwickelt, seine Position zu halten: Er beschuldigt die Verwandten des Königs, die mit ihrem Ehrgeiz oder ihrer Eigensinnigkeit seine Mißbilligung erregen, der Hexerei.