Später sitzt er an dem kleinen Tisch, viele Stunden lang, und beantwortet die Briefe, die ihn in Kazeh erwartet hatten, willkommene Briefe, bürgen sie doch für eine Welt, die in einer fahlen Erinnerung verschwindet. Ein bedrückender Brief von seiner Familie gibt ihm grauenhafte Nachricht von seinem Bruder, ein Schreiben aus Sansibar teilt ihm den Tod des britischen Konsuls mit. Obwohl Burton diesen Tod erwartet hatte, geht ihm die Kunde nahe. Der gute Mann war nicht nach Irland zurückgesegelt. Er muß dem Nachfolger einen umfangreichen Bericht schicken. Hoffentlich nimmt sich dieser der Versprechen seines Vorgängers an. Und noch ein weiterer Tod wurde ihm zugetragen, jener von General Napier. An seinem Totenbett hatte sein Schwiegersohn McMurdo gestanden und, als der General seinen letzten Atemzug aushauchte, das Banner des 22. Regiments über den Sterbenden geschwenkt.
Was treibst du denn da? So wie es aus dem Mund von Speke klingt, scheint es Burton, als wolle er sagen: Was hast du denn schon wieder zu schreiben? Ich notiere einige Gedanken, Jack, nur einige Gedanken, bevor sie entschwinden. Möchtest du mir etwas vorlesen? Nicht jetzt. Du weißt doch, ich habe eine Schwäche für Gedanken. Ich habe einen Brief erhalten, von meiner Schwester. Mein Bruder ist am Kopf verwundet worden, in Sri Lanka, er ist so schwer am Kopf verletzt, er erkennt niemanden. Er könnte noch ein halbes Jahrhundert leben, sagen die Ärzte, ohne sich selbst zu erkennen oder einen von uns.
Tut mir leid, Dick. Dein Bruder, Edward, oder? Er war … ein feiner Kerl, ja … vor so einem Schicksal habe ich Angst. Es würde mir nichts ausmachen, in Afrika getötet zu werden, wenn es denn so sein soll, aber von diesem Fieber verschleppt und gefangengehalten zu werden, gefoltert, aber nicht getötet, die Vorstellung macht mich närrisch.
Komm, wir müssen raus, laß uns einen Spaziergang machen. Wir werden uns vorstellen, wir wären in Devon.
SIDI MUBARAK BOMBAY
— Deine Reise, Baba Sidi, sie ist mir nach all unseren gemeinsamen Abenden so vertraut wie meine eigenen Reisen. Aber dieser Mzungu, dieser Bwana Burton, er war mir ein Rätsel von Anfang an, er ist mir ein Rätsel geblieben.
— Weil ich das Rätsel selber nicht lösen kann, Baba Ishmail, ich kann ihn nicht zur Gänze beschreiben, weil er sich mir nie ganz gezeigt hat. Ich hatte immer den Eindruck, er stünde auf der anderen Uferseite und es gebe keine Fähre, mit der sich der Fluß zwischen uns überwinden ließe. Ich glaube, er war kein schrecklicher Mensch, es war der Mensch, der er vorgab zu sein, der mich erschreckte. Ich bin mir sicher, er hat nie einen anderen Menschen umgebracht, doch es gefiel ihm, uns alle glauben zu machen, er sei dazu in der Lage. Bwana Burton, er wurde getrieben von Dschinns, die allen anderen fremd waren, Dschinns, die er keinem verständlich machen konnte, nicht mir, nicht den Trägern, nicht den Belutschen oder den Banyan und nicht einmal Bwana Speke. Es läßt sich einfacher leben, wenn deine Dschinns den anderen Menschen bekannt sind. Das war auch der Grund, vermute ich, wieso er die Verzweiflung der anderen selten spürte, er war wie ein alter Elefant, der sich von der Herde zurückgezogen hat und stets allein am Wasserloch trinkt. Bwana Speke war anders, auch er hielt sein Wesen verborgen, aber wenn etwas sichtbar wurde, dann sah ich, wer er war, was er fühlte. Er konnte schrecklich sein, aber er war mir näher. Er hat mich manchmal wie einen Hund behandelt und manchmal wie einen Freund.
— Hast du nicht gesagt, mit den Wazungu könne es keine Freundschaft geben?
— Das stimmt, das habe ich gesagt. Bwana Speke war eine Ausnahme. Wir haben so viele Monate zusammen verbracht, er hat mir vertraut, zum Schluß hat er nichts vor mir verheimlicht, nicht einmal, was er dachte. Es ist eine seltsame Sache, er fand nichts Anstößiges daran, mir zu erklären, Menschen wie ich wären weniger wert als die Wazungu.
— Menschen wie du? Welche Menschen sind das?
— Die Afrikaner, sagte er. Ich fragte ihn, ob er denn die Menschen von Sansibar oder die Wagogo oder die Nyamwezi meinte. Er antwortete: Ihr alle. Und als ich ihn fragte, wie es sein könne, so viele verschiedene Menschen, die alle weniger wert seien als er und seinesgleichen, da verwies er auf die Bibel, auf das heilige Buch der Menschen mit dem Kreuz auf der Brust, und er erzählte mir die Geschichte von Noah, die wir auch kennen, aber unsere Geschichte ist eine andere, wie ihr gleich erfahren werdet, er interessierte sich weniger für den Propheten Noah und seine Ermahnungen und Warnungen, als für seine Söhne, seine drei Söhne mit den Namen Sem, Ham und Jafet. Hört zu und wundert euch, denn von diesen drei Söhnen sollen alle Menschen auf Erden abstammen. Eines Tages soll Noah betrunken in seinem Zelt gelegen haben …
— Der Prophet betrunken!
— Von seinem eigenen Wein, und er habe sich beim Schlafen ungewollt entblößt, und Ham habe es bemerkt, er habe die Scham seines Vaters gesehen und es seinen zwei Brüdern zugetragen, die ihre Augen abwandten, während sie Noah mit einem Kleid zudeckten, und deswegen soll der Prophet die Kinder und Kindeskinder von Ham verflucht haben, auf ewig Sklaven der anderen Brüder zu sein. Eine merkwürdige Geschichte, die uns nichts anginge, wenn nicht Bwana Speke behauptet hätte, Ham sei unser Vorfahre, unser allererster Ahne gewesen, und daher müßten wir uns unterwerfen, denn er und die anderen Wazungu stammen von einem der anderen Brüder ab, ich habe vergessen, von welchem. Ist es nicht seltsam, die Wazungu, die keine Beziehung zu ihren nächsten Vorfahren pflegen, behaupten, genau über unsere Urahnen Bescheid zu wissen.
— Du hast ihm hoffentlich gesagt, von alldem stehe nichts im Glorreichen Koran?
— Ich habe geschwiegen, ich war erfahren genug, nicht gegen heilige Bücher anzukämpfen.
— Bitte erkläre mir, Baba Sidi, wieso sind die Wazungu gegen den Sklavenhandel, wenn sie überzeugt sind, wir seien als Menschen weniger wert?
— Die Wazungu sind gegen den Sklavenhandel?
— Gewiß, besonders Bwana Burton, er hat die Sklaverei mit kräftigen Worten abgelehnt, oh ja, er hat sie verachtet, und doch hat er es hingenommen, wenn Sklaven zu unserer Karawane hinzustießen, und als ich ihn fragte, wie er gegen die Sklaverei sein könne, obwohl er sich gleichzeitig der Sklaven bediene, erklärte er mir, es gebe nicht genug freie Männer, die zu arbeiten gewillt seien, er habe keine andere Wahl, also zahle er den Sklaven Lohn und behandele sie wie freie Männer.
— Er dachte wohl, wenn er Sklaven wie Freie behandelt, werden sie frei.
— Das ist wie mit den Almosen. Wenn dich einer reich beschenkt, wirst du dann zu einem reichen Mann?
— Er hat behauptet, er könne Said bin Salim und die Belutschen und die zwei Banyan nicht daran hindern, Sklaven zu kaufen. Er habe Einspruch erhoben. Einspruch erhoben! Habt ihr das gehört, meine Freunde. Der König der Karawane, er klopft vorsichtig den Männern auf die Schulter, die von ihm abhängig sind, die ihm untergeben sind, und er bittet sie höflich, es mit der Sklaverei nicht zu übertreiben, und die Abhängigen, sie antworten, unser Gesetz erlaubt es uns aber, antworten sie voll selbstgerechter Entrüstung, und der König der Karawane zieht sich zurück, er fragt nicht einmal nach, ob das stimmt, er sagt sich, ich habe getan, was ich tun konnte, er beruhigt sein Gewissen, ich habe diesen Wilden klargemacht, wie entschieden wir die Sklaverei ablehnen.