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Auch Salid ließ sich erschöpft in die Hocke sinken und rang hörbar nach Atem. Seine Hände zitterten so stark, daß er das Gewehr fallenließ, es aber hastig wieder aufraffte und so fest an sich preßte, daß es schon fast komisch wirkte. Wie er so dahockte, zusammengekauert und die Waffe fest mit beiden Händen gegen die Brust gepreßt, erinnerte er Brenner an einen Zwerg, der endlich seinen Schatz gefunden hatte.

Brenner zählte in Gedanken bis fünfundzwanzig – das war vielleicht mehr von ihrer kostbaren Zeit, als er opfern durfte, aber das Minimum, das er brauchte, wenn er auch nur noch einen einzigen Schritt tun wollte. Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich Salid zu einer einigermaßen normalen Haltung aufgerichtet. Johannes stand neben ihm und sah sich aus weit aufgerissenen Augen um. Brenner fragte sich, ob er in der fast vollkommenen Dunkelheit, die in dem Torgewölbe herrschte, überhaupt etwas sehen konnte. Er selbst war so gut wie blind. Salids und Johannes' Gestalten waren schemenhaft in dem grauen Licht zu erkennen, das durch die gegenüber liegende Toröffnung hereinfiel, aber die Dunkelheit hinter ihnen konnte ebensogut die Schwärze des Weltalls sein. Oder des Nichts.

»Wohin jetzt?« fragte Salid.

Brenner setzte zu einer Antwort an, ehe ihm klar wurde, daß die Frage Johannes gegolten hatte, nicht ihm. Der Jesuit sah Salid allerdings nur verständnislos an.

»Woher … wieso fragen Sie mich das?«

Salid blinzelte. Er sah verwirrt aus, dann verblüfft, mit einer Spur von Unmut. »Ich denke, Sie kennen sich hier aus«, sagte er scharf.

»Ich war niemals zuvor hier.«

»Sie sagten, sie kennen das Geheimnis dieses Klosters.« Salid erhob sich mit einem Ruck und trat fast drohend auf Johannes zu.

»Ich kenne sein Geheimnis, aber ich kenne diesen Ort nicht«, antwortete Johannes. »Ich war niemals hier.« »Moment mal«, sagte Salid. »Sie wollen sagen, daß – «

»Es ist gut«, sagte Brenner leise. »Lassen Sie ihn in Ruhe. Ich weiß den Weg.« Er wußte ihn nicht, aber er war überzeugt davon, daß er ihn finden würde. Jemand – etwas – hatte sie hierhergeführt. Bestimmt nicht, um sie im allerletzten Moment im Stich zu lassen.

Salid gab sich mit dieser Antwort allerdings nicht zufrieden. Er trat einen weiteren Schritt auf Johannes zu, und für einen ganz kurzen, aber furchtbaren Moment schien er sich vor Brenners Augen wieder in den Mann zurückzuverwandeln, der er den Großteil seines Lebens über gewesen war: ein Killer, der Menschenleben auslöschte, wie andere eine Zigarette ausdrückten, und der das Wort Gewissen nicht einmal kannte.

»Nein, es ist nicht gut«, sagte er scharf. »Dieser Kerl hat gesagt, er wüßte Bescheid. Verdammt, ich habe mein Leben auf sein Wort hin riskiert! Und jetzt erzählt er mir, daß er niemals hiergewesen ist?«

»Er hat nie etwas anderes behauptet«, erinnerte Brenner. »Und jetzt hören Sie verdammt noch mal auf! Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig anzufeinden.«

Für die Dauer einer Sekunde war er sicher, daß sich Salids Zorn nun auf ihn entladen würde. Dann wichen Wut und Anspannung so plötzlich aus der Gestalt des Palästinensers wie die Luft aus einem Ballon, in den man ein Loch gestochen hatte.

»Also gut«, murmelte er. »Dann zeigen Sie uns den Weg. Jetzt. Ich will es hinter mich bringen.«

Brenner zögerte. Spätestens jetzt war der Moment gekommen, wo er im Grunde zugeben mußte, daß er keinen Schimmer hatte, wohin sie gehen sollten. Er wußte ja nicht einmal genau, wonach sie suchten – oder was es war, das sie hergeführt hatte. Etwas in ihm zweifelte immer noch an Salids und Johannes' Worten. Es war einfach zu absurd. Nein. Zu furchtbar. Es gab Dinge, die nicht einmal gedacht werden sollten, und was hier geschah, gehörte eindeutig dazu.

Gerade als sein Zögern lange genug andauerte, um Salids Mißtrauen wieder zu schüren, drehte er sich um und ging auf das jenseitige Ende desTorbogens zu. Johannes trat wortlos und wie ganz selbstverständlich neben ihn, während Salid den Abschluß bildete. Brenner hörte, wie er seine Waffe entsicherte

–als ob das, was sie erwartete, tatsächlich einfach erschossen werden konnte! Lächerlich.

»Und Sie waren wirklich noch nie hier?« fragte er nun selbst, während er auf den verwüsteten Innenhof hinaustrat und wieder stehenblieb. Er sah sich aufmerksam um, registrierte Johannes' Kopfschütteln aber trotzdem aus den Augenwinkeln heraus.

Es war ein seltsam unwirkliches Gefühl, hier zu stehen. Es war gerade vierTage her, daß er hiergewesen war, aber das Kloster hatte sich so radikal verändert, daß es ein anderer Ort zu sein schien. Sie befanden sich inmitten einer ausgeglühten Ruine, die selbst ihre Grundrisse verändert zu haben schien. Das große Gebäude auf der gegenüber liegenden Seite des Hofes war nicht mehr da. Er hatte ausgebrannte Ruinen erwartet, vielleicht einen zusammengefallenen Schuttberg, aus dem verkohlte Balken herausragten, aber das Bauwerk war einfach verschwunden. Die Explosion mußte so gewaltig gewesen sein, daß sie es einfach eliminiert hatte wie einTodesstrahl aus einem der Science-Fiction-Filme, die er früher so gerne gesehen hatte.

Auch der Rest des Klosters war stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Brenner sah wenig mehr als Schatten und schwarze Umrisse, die sich vor dem dunkelgrauen Himmel nur schwer identifizieren ließen, aber tatsächlich schien das Torgewölbe, aus dem sie herausgetreten waren, der einzigeTeil der gesamten Klosteranlage zu sein, der nicht fast vollkommen zerstört worden war. Welche Kräfte auch immer hier gewütet hatten – die Zerstörung war mit der Explosion eines abstürzenden Helikopters allein kaum zu begründen. Nicht einmal dann, wenn er bis zum Bersten mit Munition vollgestopft war.

»Nein. Niemals.« Johannes antwortete erst nach einer guten Minute auf die Frage. »Aber ich wollte es. Hierherzukommen war … war alles, was ich je wollte.«

Salid wollte etwas sagen, aber Brenner brachte ihn mit einer hastigen Geste zum Schweigen. Johannes redete nicht wirklich mit ihm. Er antwortete auch nicht wirklich auf seine Frage.

»Es ist der einzige Grund, aus dem ich in den Orden eingetreten bin«, fuhr Johannes fort. »Sie … sie haben meinen Vater getötet. Er war ihnen auf der Spur. Das meiste von dem, was ich über sie weiß, habe ich von ihm erfahren. Er war Journalist, wissen Sie? Er hat sie sein Leben lang gejagt, aber am Schluß waren sie es, die ihn zerstört haben. Damals habe ich geschworen, sie zu vernichten.«

Er sah Brenner an. Das unheimliche Feuer in seinen Augen war immer noch da, aber sie schimmerten jetzt auch vorTränen. »Sie haben mich gefragt, was mein großes Geheimnis ist«, murmelte er. »Nun kennen Sie es. Ich bin nicht aus Überzeugung Jesuit geworden. Es war alles gelogen. Ich wollte Rache, das ist alles. «

»Aber Sie haben Ihren Glauben gefunden«, vermutete Salid. Diese Worte – ausgerechnet von ihm – überraschten Brenner; vielleicht um so mehr, weil er sie selbst einen Sekundenbruchteil später ausgesprochen hätte, und sei es nur aus Mitleid für Johannes. Er hatte bis zu diesem Moment nicht einmal geglaubt, daß Salid überhaupt dazu in der Lage war, dieses Gefühl zu empfinden.

»Später«, sagte Johannes. »Aber das macht es nicht besser.« »Es ändert alles«, widersprach Salid heftig. »Sie haben – « »Ich habe einen Menschen getötet«, unterbrach ihn Johannes. Er hob die Hände. »Mit diesen Händen, Salid. Ich habe ein Leben ausgelöscht. Ich bin verdammt. Vielleicht ist das die Strafe für das, was ich getan habe. «

Er begann ihnen wieder zu entgleiten. Brenner spürte es. Johannes hatte für einige Minuten den Rückweg aus der Hölle aus Verzweiflung gefunden, in die er hinabgestürzt war, aber es war nur ein letztes Aufbegehren gewesen. Vielleicht war schon zu viel von ihm auf der anderen Seite der Barriere, war das Gewicht seiner Schuld, das ihn in den Abgrund zerren wollte, einfach zu gewaltig. Ihnen blieben bestenfalls noch einige Augenblicke.

»Salid hat recht«, sagte er hastig. Er fühlte sich hilflos, und genau so klangen seine Worte auch, hilflos und einfach nur verzweifelt. Sie brauchten Johannes. Er wußte nicht einmal, wozu, aber sie brauchten ihn. Jeder von ihnen hatte eine Aufgabe hier, und Johannes' Aufgabe war noch nicht erfüllt. »Bitte, Johannes, geben Sie nicht auf. Kämpfen Sie! Wir … wir brauchen Sie!«