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Dieser Anblick war ernüchternd. Das technische Aufgebot, das ihn überwachte, war nicht annähernd so gewaltig, wie er erwartet hatte. Auf dem Wagen standen drei schuhkartongroße Geräte, die mit einigen Kabeln untereinander und zwei oder drei weiteren Drähten mit ihm verbunden waren. Einer davon sah schon ein wenig schäbig aus. Brenner war fast ein wenig enttäuscht. Nach allem, was er durchgemacht hatte, hatte er eigentlich ein wenig mehr Aufwand verdient. Aber was erwartete er, dachte er spöttisch. Schließlich war er nur Kassenpatient.

Mutig geworden, stemmte er sich noch ein bißchen weiter hoch. Einer der verchromten Kästen reagierte mit einem ärgerlichen Fiepen darauf, und zwei oder drei rote Digitalanzeigen begannen hektisch zu flackern, aber der befürchtete Alarm blieb noch immer aus. Entweder waren die Dinger kaputt, oder er hatte sich in den letztenTagen eine ganze Menge eingebildet, nicht nur jede Menge Science-Fiction-Apparaturen neben seinem Bett, die es gar nicht gab. Er zog langsam die Beine an den Körper, setzte sich schließlich ganz auf und versuchte auch die Arme zu heben. Er löste damit keinen Alarm aus, aber es ging trotzdem nicht. Seine linke Schulter tat erbärmlich weh, und in seinem rechten Handrücken steckte eine Nadel, die jeden Versuch, die Hand zu bewegen, zu einem Abenteuer machte, das ihm die Tränen in die Augen steigen ließ. Er hatte noch nie Schmerzen ertragen können.

Trotzdem biß er die Zähne zusammen, ignorierte das Pochen und Brennen in seiner linken Schulter und versuchte sich die Nadel aus der Hand zu ziehen. Es blieb bei dem Versuch. Der Schmerz war so heftig, daß man kein bekennender Feigling wie er sein mußte, um sich darum zu drücken.

Er ließ die Nadel, wo sie war, zog aber nach einer Sekunde des Überlegens den dünnen Plastikschlauch ab, an dem sie saß.

Ein dünner Strom einer farblosen Flüssigkeit begann herauszutropfen und das Bettlaken dunkel zu färben. Brenner sah dem einen Moment lang zu, dann verknotete er den Schlauch aus einem absurden Ordnungsbedürfnis heraus, so daß das Tröpfeln aufhörte. Ein rascher Blick auf den Gerätewagen zeigte ihm, daß die Digitalziffern mittlerweile vor der elektronischen Variante einesTobsuchtsanfalles zu stehen schienen, aber der erwartete Alarm blieb immer noch aus. Vielleicht ertönte er in diesem Moment auch irgendwo in dem Bereitschaftszimmer auf der anderen Seite des Flures, aber niemand kam.

Brenner schlug vorsichtig die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und verzog das Gesicht, als seine bloßen Füße den eiskalten Kunststoffboden berührten. Seine Zehen begannen sich zu verkrampfen, so daß er die Füße anhob, bis er den Boden nur noch mit den Fersen berührte. Er wartete ein paar Sekunden, dann löste er mit der Linken ungeschickt die beiden Elektroden, die mit Heftpflaster über seinem Herzen und an der rechten Schläfe befestigt waren. Spätestens jetzt hätte eigentlich ein Notruf ausgelöst werden müssen, aber die verchromten Kästen neben seinem Bett zeigten noch immer keine Wirkung. Soweit die Segnungen derTechnik!

Ihm wurde ein wenig schwindlig, aber wem wäre es nicht schwindlig geworden, wenn er drei Tage reglos im Bett gelegen hätte und sich zum erstenmal aufsetzte? Brenner atmete zweimal tief ein und aus, dann senkte er tapfer beide Füße auf den eisigen Boden und belastete sie mit seinem Körpergewicht.

Wer hatte behauptet, daß es keine Wunder mehr gab? Er konnte nicht nur aus eigener Kraft stehen, die Krämpfe in seinen Zehen kamen auch nicht zurück, und er fühlte sich sogar kräftig genug für eine Expedition, die er auch unverzüglich in Angriff nahm. Das Ergebnis war verblüffend – er schaffte es nicht nur bis zum Fenster, er war auch hinterher keineswegs erschöpft, sondern fühlte sich im Gegenteil kräftiger als zuvor. Sein Körper kam ihm mit einem Mal vor wie eine Maschine, die bisher im Leerlauf vor sich hin getuckert hatte, aber nur einen kleinen Stups brauchte, um aufTouren zu kommen. Vielleicht, dichte er, war er hier einfach falsch. Statt in ein Krankenhaus Wäre er besser in eine Autowerkstatt gegangen, um das Standgas höher einstellen zu lassen.

Sein penken funktionierte noch immer auf diese seltsame, schizophrene Weise. Die aus Hysterie geborgene Albernheit überwog noch immer, aber darunter waren auch noch andere, viel ernstere Ebenen; es war, als hörte er verschiedene Stimmen, die in unterschiedlichenTonarten und über gänzlich verschiedene Dinge sprachen, und einige dieser Gespräche waren nicht besonders angenehm.

Da war eine Stimme, die ihm erklärte, daß er Blödsinn dachte und auf dem besten Wege war, sich noch ein paar Schrammen mehr einzuhandeln und seinen Krankenhausaufenthalt zu verlängern, und eine andere, die immer noch darauf beharrte, daß er hier gar nicht im Krankenhaus, sondern gefangen war; ohne ihm allerdings zu verraten, wo oder von wem. Oder gar warum.

Brenner zog eine Grimasse, erklärte dem durcheinanderplappernden Chor in seinem Kopf, er solle gefälligst die Klappe halten, utid wandte seine Konzentration wieder dem Fenster zu. Es war mit einem schwarzen Rollo verschlossen, das offenbar erst vor kurzer Zeit und in ziemlicher Hast angebracht worden war; eine billige Papierjalousette, die mittels einer einfachen Kordel hochgezogen werden konnte. Brenner versuchte es, aber mit nur einer Hand erwies sich das als gar nicht so einfach. Das Rollo verkantete sich, und er mußte zweimal von vorne beginnen, ehe er es weit genug aufbekam, um in gebückter Haltung aus dem Fenster sehen zu können.

Was er sah, war eine Enttäuschung. Es war wenig mehr als nichts – draußen herrschte noch immer winterliche Dunkelheit, in der selbst gesunde Augen nicht viel mehr als Schatten und gedrungene Umrisse erkannt hätten. Immerhin konnte er den Unterschied zwischen Himmel und Erde ausmachen: Die Dunkelheit über ihm war nicht ganz so intensiv wie die darunter, und et sah sogar ein paar Sterne; allerdings leuchteten sie nicht am Himmel, sondern unten. Straßenlaternen. Phantastisch. Noch gestern hätte er eine brennende Straßenlaterne wahrscheinlich nicht einmal dann gesehen, wenn er davorgelaufen wäre. Wie es aussah, blieben ihm Kosten für die Anschaffung eines Blindenhundes doch erspart.

Er stand eine ganze Weile so am Fenster und genoß einen Anblick, den er im Grunde gar nicht hatte, und während er es tat, konnte er spüren, wie seine Kräfte immer schneller zurückkehrten. Es hatte immer noch keinen Alarm gegeben, und weder die Schwester noch ein halbes Dutzend Pfleger mit weißen Turnschuhen und Zwangsjacken waren hereingekommen, um ihn ins Bett zurückzuschleifen. Vielleicht war der Diagnosecomputer – oder was immer das Ding neben seinem Bett sein mochte – tatsächlich ausgefallen.

Und vielleicht war das der Grund, weshalb er sich besser fühlte.

Der Gedanke störte ihn. Er konnte nicht genau lokalisieren, welche der verschiedenen Stimmen in seinem Kopf ihn ausgesprochen hatte, aber er hatte eindeutig etwas Lästerliches. Krankenhäuser machten Menschen gesund, nicht krank. Auch wenn einTeil seiner Phantasie offensichtlich beschlossen hatte, einen Ausflug ins frühkindliche Stadium zu machen, sollte er das wissen.

Vorsichtig – die linke Hand auf dem Fensterbrett, um sicheren Halt zu haben, sollten ihn so überraschend die Kräfte verlassen – drehte er sich wieder zu seinem Bett herum und machte ein paar Schritte darauf zu. Aber seine Kräfte ließen nicht nach, sondern kehrten im Gegenteil jetzt immer rascher zurück, und so machte er auf halbem Wege einen Neunzig-GradSchwenk nach links und steuerte die Tür an. Was er erlebte, mußte wohl so eine Art kleines Wunder sein. Kurz bevor er das letzte Mal die Augen geschlossen hatte, hatte er sich beinahe zu schwach gefühlt, um auch nur einen Arm zu heben; jetzt glaubte er sich durchaus in der Lage, sein Zimmer zu verlassen und der Nachtschwester einen Überraschungsbesuch abzustatten. Sie würde Augen machen!

Um ein Haar wäre seine Expedition an der Tür allerdings

schon zu Ende gewesen. Sie war nicht verschlossen, aber so schwergängig, daß seine Kraft beinahe nicht reichte – allzu weit schien es damit also doch noch nicht her zu sein. Aber der unerwartete Widerstand weckte auch seinen Trotz; Brenner stemmte sich mit der Schulter gegen die Tür, schob sie auf und trat auf den Korridor hinaus.