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»Ist das überhaupt möglich?« fragte Brenner.

»Daß ein menschlicher Körper vollkommen zu Asche verbrennt?« Schneider nickte. »Warum nicht? Zumindest theoretisch. «

»Und praktisch?«

»Ich habe keine Ahnung«, gestand Schneider. »Ich war nicht dort. Ich weiß nur, was man mir gesagt hat. Und das ist nicht viel.«

»Sie machen ein ziemliches Geheimnis daraus, wie?« »Wundert Sie das?« fragte Schneider. »Wie gesagt, dieÖffentlichkeit steht Kopf. Raketenduelle zwischen Hubschraubern gehören ins Kino, nicht in den Taunus. Und dann noch dieses seltsame Kloster … «

Der gespannte Unterton in seiner Stimme war nicht mehr zu überhören; offenbar nicht einmal für ihn selbst, denn nach einer Sekunde fügte er mit einem leisen, nervösen Lachen hinzu: »Was für eine Art Kloster war das überhaupt? Ich lebe seit zwanzig Jahren hier, aber ich habe nie davon gehört, obwohl es keine zwanzig Kilometer entfernt ist.«

Das war die erste wirklich konkrete Information, die Brenner erhielt, seit er in diesem seltsamen Krankenhaus aufgewacht

war. Aber er hatte in den letzten Minuten eine ganze Menge Informationen bekommen, die vielleicht weniger konkret, aber sehr viel beunruhigender waren; wie zum Beispiel die, daß Schneider offensichtlich nicht hiergeblieben war, um ihm irgend etwas mitzuteilen, sondern um etwas von ihm zu erfahren.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte er wahrheitsgemäß.«Aber wenn ich mich nicht sehr täusche, hatten sie nicht einmal elektrischen Strom. Und sie schienen nicht sehr begeistert zu sein, als sie uns sahen. «

Schneider wurde direkter. »Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?«

»Nichts, woran ich mich erinnere«, antwortete Brenner. »Warum?«

»Ich bin nur neugierig«, sagte Schneider.

Und außerdem lügst du wie gedruckt, dachte Brenner. Er glaubte es nicht, er wußte es. Plötzlich war alles ganz klar. Das ungute Gefühl, das er seit seinem vorletzten Erwachen hatte, wurde von einer Sekunde auf die andere zur Gewißheit: Irgend etwas stimmte hier nicht. Er war nicht nur als Patient hier, sondern auch als Gefangener.

»Vielleicht fällt mir noch etwas ein«, sagte er. »Wie es aussieht, war Ihre Prognose ja richtig. Nach und nach kommt alles zurück. Auch meine Erinnerungen.«

Schneider machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, aber er versuchte auch nicht, Brenner weiter zu bedrängen. »Vermutlich haben Sie recht«, sagte er. »Wir können uns später noch lange genug unterhalten – vielleicht zu einer etwas zivilisierteren Zeit. Kann ich Sie allein lassen, ohne daß Sie wieder spazierengehen?«

Brenner hob die freie Hand zum Kopf, aber er hütete sich, ihn wirklich zu berühren. »Sicher«, sagte er. »Aber Sie könnten mir noch einen Gefallen tun. Mixen Sie etwas gegen Kopfschmerzen in den Chemiecocktail, mit dem mich diese Maschine vollpumpt.«

»Keine Sorge – es ist alles drin, was Sie brauchen.«

Und vermutlich noch eine ganze Menge mehr. Brenner konnte regelrecht spüren, wie das Vergessen durch die dünne Nadel in seinem Handrücken wieder in seinen Körper zurück, tropfte. Die Erinnerungen, von denen er sprach, würden nicht zurückkommen, solange er an diese Maschine angeschlossen war.

Schneider zögerte noch einen letzten, überflüssigen Moment, dann ging er, ohne sich zu verabschieden und ohne das Licht auszuschalten.

Hinterher wurde ihm klar, daß er alles in allem kaum länger als fünf Minuten in der Wäschekammer zugebracht hatte, aber während er es tat, schien die Zeit nicht nur stehengeblieben zu sein, sondern rückwärts zu laufen. Salid hatte es nicht noch einmal gewagt, sich umzudrehen, obwohl er wußte, was er gesehen hatte – nämlich nichts. Es waren nicht die Ungeheuer aus seiner Kindheit, die gekommen waren, um ein altes Versprechen einzulösen. Diesem Monster konnte er nicht entrinnen, indem er sich nur davor hütete, es anzusehen; denn es war in ihm. Aber seine Zeit war noch nicht gekommen. Salid starb innerlich tausend Tode, während er darauf wartete, daß der Aufzug kam und er sein selbstgewähltes Gefängnis verlassen konnte – er hätte seine rechte Hand darauf verwettet, eine geschlagene Stunde in dem kleinen Raum zugebracht zu haben.

Trotzdem ließ er noch einige Sekunden verstreichen, nachdem das Geräusch der Aufzugtür erklungen war. Erst dann trat er wieder auf den Gang hinaus und sah sich aufmerksam um. Der Lift war abgefahren, und die kleine Lampe neben derTür leuchtete wieder grün; die Kabine war also bereits an ihrem Ziel angelangt und wartete darauf, gerufen zu werden. Salid spielte eine Sekunde lang mit dem Gedanken, genau dies zu tun und den Aufzug anschließend zu blockieren, um sich den Rücken freizuhalten, entschied sich aber beinahe augenblicklich wieder dagegen. Abgesehen von dieser sonderbar verlassen wirkenden Etage befand er sich in einem ganz normalen Krankenhaus. Er tat besser nichts, was den normalen Ablauf störte. Also ging er wieder zu derTür, durch die der Arzt und seine ungebetenen Besucher verschwunden waren.

Auch dieser Teil des Flures war vollkommen leer, aber die Tür stellte sich als größeres Problem heraus, als er erwartet hatte. Das Schloß war nicht besonders raffiniert – ein simpler Mechanismus, der einrastete, sobald die Tür in den Rahmen fiel, aber es war ein Schloß, und auch wenn Salid Spezialist im Öffnen von Schlössern war, hielt es ihn auf, denn er stand praktisch mit leeren Händen da. Nach einigen Sekunden, in denen er ebenso vergeblich wie frustriert daran herumgefingert hatte, ging er zurück, um ein Werkzeug zu suchen.

Alles, was er zum Öffnen auch weit komplizierterer Schlösser benötigt hätte, befand sich in seiner Jacke, aber er wagte es nicht, die Wäschekammer noch einmal zu betreten, so daß er etliche Minuten damit verlor, Türen zu öffnen und die dahinter liegenden Räume nach einem Stück Draht oder einem anderen geeigneten Werkzeug abzusuchen. Danach allerdings ging alles sehr schnell. Sekunden, nachdem Salid zur Tür zurückgekehrt war, befand er sich auf der anderen Seite und ließ das Schloß lautlos wieder einrasten.

Auch dieser Teil des Korridors war vollkommen leer, aber von irgendwoher drangen Geräusche: gedämpfte Stimmen, ein leises Surren und Klicken und im Hintergrund das verzerrte Geplapper eines Radios. Der Flur war nicht sehr lang zweiTüren auf der linken, drei auf der rechten Seite – und endete vor einer weiteren Milchglastür, deren Aufschrift die dahinter liegenden Räume als Intensivstation auswies. Die Türen waren zu schmal, um ein Bett hindurchzuschieben und führten alle zu Verwaltungs-und Aufenthaltsräumen des Personals. Salid registrierte all dies mit einem einzigen raschen Blick und nicht wirklich auf einer bewußten Ebene. Aber er nahm jede noch so kleine Information auf, und wenn er sie brauchte, würde sie da sein. Möglicherweise war er kein Killer mehr, aber seine Instinkte funktionierten so präzise wie eh und je.

Er benötigte ungefähr zwei Sekunden, um die Richtung zu lokalisieren, aus der die Stimmen kamen: Eine derTüren auf der rechten Seite war nur angelehnt; durch den Spalt drang weißes Neonlicht. Keine Schatten. Wer immer dort drinnen war, bewegte sich jedenfalls nicht. Aber er redete, und er tat es weder besonders leise, noch in besonders gemäßigtem Ton – Salid konnte die Worte zwar immer noch nicht verstehen, aber was er belauschte, das war zweifellos ein Streit.

Lautlos näherte sich Salid derTür, sah durch den fingerbreiten Spalt und horchte noch konzentrierter. Seltsamerweise wurden die Stimmen zwar lauter, aber nicht deutlicher, und auch was er sah, gab ihm keinen besonderen Aufschluß: der schmale Ausschnitt eines ganz normalen Büros – Kunststoffboden, ein grauer Metallschreibtisch mit dem obligatorischen PC-Monitor, ein ordentlich aufgeräumter Aktenschrank … Dann begriff er: Er stand vor dem Vorzimmer des Arztes. Die Stimmen selbst kamen aus seinem Büro.

Er würde nicht weiterkommen, wenn er nicht ein gewisses Risiko einging. Salid sah sich noch einmal rasch und aufmerksam um, dann öffnete er die Tür und trat mit einem schnellen Schritt hindurch. Wie er erwartet hatte, war der Raum leer, aber auf der anderen Seite befand sich eine zweite Tür, die zu Schneiders eigentlichem Büro führte.