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Schneider tat etwas, was Brenner nicht nur vollkommen überraschte, sondern auch eine Menge mehr über seine Verfassung verriet als seine Worte. Brenner hätte damit gerechnet, von ihm angebrüllt zu werden, aber er sagte kein Wort, sondern hob plötzlich die Hand und versetzte ihm einen Stoß, der ihn haltlos aus dem Lift herausstolpern ließ.

»Meinetwegen!« sagte er wütend. »Sie müssen nicht mit mir reden. Sie können alles der Polizei erzählen. Sie ist bereits unterwegs. «

Seine Schätzung war richtig gewesen: Außer Schneider hielten sich allein in seinem begrenzten Sichtfeld noch drei weitere Männer auf, und vielleicht mehr dahinter. Der Raum, in dem der Lift angehalten hatte, war sehr groß, wie ihm die hallenden Echos verrieten. Wahrscheinlich die Eingangshalle der Klinik.

»DX'as wollen Sie?« murmelte er. »Ich weiß nicht, wer der Mann ist. Er hat mich gezwungen, mit ihm – «

»Wie gesagt, das können Sie alles der Polizei erklären«, unterbrach ihn Schneider. Seine Stimme zitterte jetzt. Offenbar kostete es ihn immer größere Mühe, sich noch zu beherrschen.

»Der Polizei? Wieso?« Brenner verspürte einen ihm selbst fast unerklärlichen Anflug von Trotz. »Seit wann ist es verboten, ein Krankenhaus zu verlassen?«

»Schon immer«, antwortete Schneider. »Wenigstens, wenn man dabei Leute umbringt. Also – wo ist der Kerl?« »Umbringt?« Brenner fuhr wie elektrisiert hoch. Außer körperlichen Schmerzen gab es also doch noch etwas, was den Pan. – ~' zer aus aufgepfropfter Müdigkeit durchdringen konnte. »Was .„ was soll das heißen?«

Natürlich wußte er, was es hieß. Er konnte sich nur nicht vorstellen, wen Salid umgebracht hatte, und schon gar nicht, warum – aber plötzlich erinnerte er sich wieder daran, was Salid vorhin gesagt hatte: Ich habe einen Fehler gemacht, das ist alles. Großer Gott, bezeichnete dieser Irre den Mord an einem Menschen wirklich lapidar als Fehler? Und trotzdem: Es ergab keinen Sinn.

»Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, sagte eine andere Stimme, und obwohl Brenner sie erst ein einziges Mal gehört hatte, erkannte er sie sofort wieder. Sie gehörte Johannes, dem Eindringling aus der vergangenen Nacht, der sich als Krankenhauspfarrer ausgegeben hatte.

»Was soll das heißen?« fragte Schneider scharf.

Brenner wandte den Kopf in die Richtung, aus der Johannes'Stimme kam, und stellte zu seiner Überraschung fest, daß er deutlich besser sehen konnte, seit er die Liftkabine verlassen hatte. Die Droge verlor anscheinend rasend schnell ihre Wirkung. Vielleicht war es hier draußen auch einfach nur heller. »Daß ich nicht das Gefühl hatte, er würde Brenner kennen«, antwortete Johannes.

»Wer weiß, vielleicht haben Sie damit sogar recht«, sagte Schneider spitz. »Ich beginne mich mittlerweile allerdings zu fragen, ob Sie ihn vielleicht kennen, Pater.«

Irgend etwas kratzte an derTreppenhaustür; nicht sehr laut, aber doch hörbar. Und nicht nur für Brenner. Schneider verstummte praktisch mitten im Satz, und auch die beiden Pfleger wandten sich überrascht dem Treppenhaus zu. Einen Moment später wiederholte sich das Geräusch, und diesmal erkannte es Brenner: Es war der Laut, mit dem Fingernägel über geriffeltes Drahtglas fuhren.

Schneider hatte es offenbar im gleichen Augenblick identifiziert und wohl auch die richtigen Schlüsse daraus gezogen, denn er machte mit der linken Hand eine ha stige Geste, still zu sein, und deutete zugleich auf die Tür. Einer der beiden Pflegerseiner Statur nach der brutale Kerl, der Brenner gerade im Aufzug überwältigt hatte – setzte sich in Bewegung und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Vielleicht war Salids Trick doch nicht so gut gewesen. Auf der anderen Seite Brenner konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann wie dieser Salid einen solchen Fehler begehen würde.

Auch der zweite Pfleger setzte sich in Bewegung und trat in angespannter Haltung an die Seite seines Kollegen, als dieser die Tür öffnete, und im gleichen Moment begriff Brenner seinen Irrtum: Nicht Salid war es, der einen Fehler beging.

Die Tür wurde mit solcher Wucht aufgestoßen, daß alles gleichzeitig zu passieren schien: Der eiserneTürrahmen krachte gegen Gesicht und Stirn des Pflegers und schleuderte ihn zu Boden, und die Wucht reichte auch noch aus, den anderen zurückstolpern zu lassen. Praktisch in der gleichen Sekunde erschien Salid selbst unter der Öffnung, setzte dem Mann nach und fegte ihm mit einem blitzartigen Tritt die Beine unter dem Leib weg. Der Pfleger stürzte, rollte sich mit erstaunlicher Behendigkeit auf den Rücken und stemmte sich halb in die Höhe. Salid hob den Arm und deutete mit der ausgestreckten Hand wie mit einer Waffe auf ihn, und der Mann erstarrte zur Salzsäule. Der Anblick war ebenso bizarr wie lächerlich, und trotzdem wirkte die Geste zugleich fast bedrohlicher, als hätte er tatsächlich eine Waffe in der Hand gehalten.

»Was um alles in der Welt – ?« begann Schneider.

Salid fuhr mit einer abgehackten Bewegung herum und brachte Schneider mit einem einzigen Blick zum Schweigen. Dann nickte er in Brenners Richtung. »Gut gemacht«, sagte er. »Und jetzt nichts wie weg von hier. Ich fürchte, die guten Leute hier haben die Polizei verständigt.«

»Worauf Sie sich verlassen können! « sagte Schneider. Brenner hätte seinen Mut bewundert, wäre er nicht voll und ganz damit beschäftigt gewesen, Salid anzustarren und sich wie vor den Kopf geschlagen zu fühlen. Warum hatte er das gesagt? »Schnell jetzt!« Salid eilte mit raschen Schritten los und versuchte, Johannes quasi im Vorbeigehen mitzuziehen, aber der Geistliche riß sich mit einer raschen Bewegung los und sprang regelrecht zur Seite.

»Nein! «

Salid wirkte ehrlich verblüfft. »Aber ich dachte, wir wären uns einig.«

»Ich halte keine Vereinbarungen mit einem Mörder.« »Mörder? Was reden Sie? Ich habe niemanden – «

»Sie haben Alexander umgebracht«, fiel ihm Johannes ins Wort.

»Umgebracht? Er ist tot?« Salid wirkte ungefähr so betroffen wie ein Mann, der eine Delle in den Kotflügel eines zwölf Jahre alten Wagens gefahren hat. Nach einer Sekunde zuckte er mit den Schultern. »Das wollte ich nicht. Es tut mir leid.«

»Ja, genau so sehen Sie aus«, sagte Schneider. Salid würdigte ihn nicht einmal eines Blickes.

Zwei oder drei Sekunden lang sah er Johannes kopfschüttelnd und mit einem Ausdruck ehrlichen Bedauerns an, dann trat er einen halben Schritt zurück und versenkte die rechte Hand in die Jackentasche.

»Schade«, sagte er. »Aber wenn es nicht anders geht …« Die aus tausend Kriminalfilmen bekannte Geste verfehlte ihre Wirkung auch auf den Geistlichen nicht. Er fuhr sichtbar zusammen, und Brenner nahm an, daß er auch blaß wurde. Trotzdem schüttelte er nach einem Moment den Kopf.

»Sie schießen nicht«, sagte er – wobei seine Stimme allerdings so heftig zitterte, daß sie ihm den angestrebten Effekt gründlich verdarb. »Tot nutze ich Ihnen nichts.«

Salid zog die Hand nicht aus derTasche, aber er bewegte sie entsprechend nach vorne, so daß sich der dünne Stoff ausbeulte. »Würden Sie Ihr Leben darauf verwetten?«

Brenner wußte, daß Salid keine Waffe besaß. Es war eine fremde Jacke, in die Salid seine Schultern – die übrigens tatsächlich so breit waren, wie Brenner vermutet hatte gezwängt hatte, und in der Jackentasche hatte sich keine Waffe befunden. Salid hatte auch nichts aus dem Morgenmantel

genom-men, sondern diesen achtlos zu Boden geworfen. Brenner war sicher, daß er keine Waffe hatte.

Johannes offenbar nicht, denn er zögerte nur noch die eine Sekunde, die er seinem Stolz schuldig war, dann nickte er. »Also gut, ich beuge mich der Gewalt. Aber nur unter Protest. Ich betrachte Ihr Verhalten als Freiheitsberaubung! «

»Genaugenommen ist es Kidnapping«, antwortete Salid gelassen. »Aber darüber sollten wir später reden – es sei denn, Sie legen Wert darauf, auch noch eine ausgewachsene Schießerei zu erleben.« Er deutete mit der freien Hand zum Ausgang und legte den Kopf auf die Seite. »Hören Sie? Die Polizei kommt.«