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»Schneller!« schrie Brenner ihm zu und griff gleichzeitig selbst noch mehr aus, als er sah, daß die Maschine ihre Drehung fast vollendet hatte.

Die Männer im Inneren des Hubschraubers taten genau das, was er erwartet hatte. Die Maschine schwankte durch das gewagte Manöver wie ein kleines Boot in hohem Wellengang, weshalb die erste MG-Salve Johannes und ihn hoffnungslos verfehlte und Meter über ihnen Steinbrocken und Putz aus der Fassade spritzen ließ. Aber der Pilot erlangte die Gewalt über seine Maschine rasch zurück. Der Hubschrauber stand für eine Sekunde nahezu still in der Luft, dann kippte sein Bug nach vorne, und die Maschine begann auf Johannes und ihn zuzurasen. Die Gatlin-Gun, deren Lauf wie der stumpfe Saugrüssel eines riesigen metallenen Insekts unter dem kantigen Bug hervorragte, begann mit einem hohen, an den Nerven reißenden Singen Geschosse in schneller Folge auszuspeien. Erneut explodierten Flammen und Steintrümmer aus der Straßendecke, aber diesmal bewegte sich die rasende Eruptionsspur direkt auf Johannes und ihn zu.

Nur drei oder vier Schritte von ihnen entfernt befand sich eine kurze Treppe, die zu einer Haustür hinaufführte. Wenn sie den Flur erreichten, hatten sie vielleicht noch eine winzige Chance. Brenner versetzte Johannes einen Stoß, der ihn schneller vorwärtstaumeln ließ, warf einen Blick über die Schulter zurück und schrie vor Entsetzen auf, als er sah, daß die MG-Salve weiter direkt auf ihn und den jungen Geistlichen zujagte. Sie war schnell. Unvorstellbar schnell. Mit einer verzweifelten Anstrengung warf er sich vor, überwand die beiden letzten Stufen mit einem einzigen Satz, warf sich mit weit ausgebreiteten Armen gegen Johannes und riß ihn so mit sich zu Boden.

Im nächsten Sekundenbruchteil explodierte die Welt rings um sie herum. Die Geschosse stanzten faustgroße und – tiefe Löcher in die Wände beiderseits derTür, fetzten Holzstücke aus dem Rahmen und schlugen Funken aus den Treppenstufen zu Brenners Füßen. Die gesamte Tür wurde wie von einem gewaltigen Hammerschlag getroffen und zerbarst in einemTrümmerregen nach innen, und die Luft war voller Qualm, Staub und beißendem Pulvergestank. Etwas fuhr so heiß wie der glühende Fingernagel des Teufels über Brenners Rücken. Der Schmerz ließ ihn aufschreien. Er krümmte sich wie ein getretener Wurm. Glühendheiße Steinsplitter und qualmendes Holz regneten auf ihn herab, als die Geschoßsalve weiterwanderte und nun die linke Hälfte der Tür samt der danebenliegenden Wand zerschmetterte. Er war so gut wie blind. Alles, was er sah, waren schwarzer Rauch und Qualm, hinter dem es immer wieder grell aufblitzte.

Dann war es vorbei. Das Heulen der Maschinenkanone verstummte abrupt, und nach dem Höllenlärm waren Brenners Ohren fast taub, so daß er weder das Prasseln der Flammen noch das Geräusch hörte, mit dem sich immer noch Trümmerstücke und Staub aus der Wand lösten und zu Boden rieselten.

Brenner richtete sich unsicher auf. Er war fest davon überzeugt, daß seine Arme unter dem Gewicht seines Körpers einknicken würden, denn er mußte verletzt sein. Man sagte ja, daß der Schock einer schweren Verletzung im ersten Moment oft so groß war, daß man den Schmerz nicht einmal spürte. Ebensowenig hätte es ihn gewundert, hätte er sich immer weiter und weiter hochgestemmt und plötzlich seinen eigenen zerfetzten Körper neben dem von Johannes unter sich liegen sehen.

Nichts dergleichen geschah. Statt dessen spürte er nur wieder ein heftiges Brennen zwischen den Schulterblättern, wo ihn die Kugel gestreift hatte, und eine Unzahl winziger Schnittund Schürfwunden an den Händen und im Gesicht.

Brenner sah fassungslos an sich herab. Es war vollkommen unmöglich. Nicht nach der Hölle, die rings um sie herum losgebrochen war. Und trotzdem: Nicht eine einzige Kugel hatte ihn oder Johannes getroffen.

Ganz langsam drehte er sich herum. Staub und Rauch verzogen sich nur langsam, aber er konnte trotzdem erkennen, daß der Hubschrauber immer noch reglos über der Straße hing. Die Maschinenkanone hatte aufgehört zu feuern, und trotz der Entfernung von gut fünfzehn oder zwanzig Metern konnte er den fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht des Piloten erkennen, als dieser sah, wie Johannes und er sich offensichtlich unversehrt inmitten des Chaos erhoben.

Aber er sah noch etwas: Die Rauchspuren, die die Bahn der Geschoßsalve markierten, verwehten diesmal nicht. Vielmehr veränderten sie langsam, von unten nach oben aufsteigend, ihre Farbe, wurden dunkler und irgendwie massiver, als hätte der Qualm brodelnde, zähe Substanz gewonnen. Die Straße fünf Meter unter der Maschine begann zu vibrieren, und dann löste sich auch dort etwas wie feiner, körniger Dunst und begann langsam in die Höhe zu steigen.

Obwohl die Luft über der Straße nahezu unbewegt war, schwankte die Maschine plötzlich, als wäre sie von einer Sturmböe getroffen worden. Vielleicht hatte der Pilot für einen Moment die Kontrolle über sie verloren, vielleicht hatten Salids Schüsse auch mehr Schaden angerichtet, als Brenner bisher geglaubt hatte. Der Pilot erlangte die Gewalt über den Helikopter schon nach einer Sekunde zurück, aber bis es ihm gelang, hatte sich die Position der Maschine ein wenig verändert; möglicherweise nicht einmal zufällig. Die Kanone unter dem Bug deutete jetzt wieder auf Salid, der dreißig Meter entfernt noch immer dastand und mit seiner Waffe auf den Hubschrauber zielte. Aus irgendeinem Grund schoß er nichtmöglicherweise aus dem ganz banalen Grund, daß er keine Munition mehr hatte, aber vielleicht war es auch mehr. Irgend etwas geschah hier. Etwas … Unvorstellbares spielte sich vor ihrer aller Augen ab, und Salid mußte es ebenso deutlich spüren wie Brenner und Johannes und vielleicht auch die Männer im Helikopter. Etwas Großes.

Brenner hielt den Atem an, als er sah, wie der Lauf der Maschinenkanone noch ein Stück weiter herumschwenkte als der Helikopter selbst und sich auf Salid richtete. Doch der Pilot feuerte ebensowenig wie der Palästinenser. Die Situation war fast absurd: Die beiden Kontrahenten standen sich gegenüber wie zwei Darsteller aus einem grotesken Western; zwei Duellanten, die in der Morgendämmerung herausgekommen waren, um einen Ehrenhändel zu Ende zu bringen. Es war ein höchst unfairer Vergleich: Auf der einen Seite ein einzelner Mann, mit nichts als seinen leeren Händen und einer Waffe, die so gut wie nutzlos war, auf der anderen eine der gefährlichsten Vernichtungsmaschinen, die je gebaut worden waren, ein Monstrum aus Stahl und Kunststoff, dessen Zerstörungskapazität ausreichte, um eine kleine Stadt auszulöschen. Und so begriff Brenner beinahe sofort die Allegorie, die in dieser Szene lag: Es war das klassische Bild. Der Kampf mit dem Drachen. Menschlicher Wille gegen die Urgewalt der Zerstörung; die beiden Kräfte, die die Welt seit Anbeginn der Zeiten vielleicht am nachhaltigsten verändert hatten.

Dann beschloß der Pilot offensichtlich, der grotesken Situation ein Ende zu setzen, und drückte den Auslöser. Die GatlinGun stieß ein sekundenlanges, schrilles Heulen aus, und rings um Salid explodierte die Straße.

Er selbst blieb unversehrt.

Das Wunder, das Brenner und Johannes ge rettet hatte, wiederholte sich. Rechts, links vor und sogar hinter Salid stoben meterhohe Flammensäulen in den Himmel, aber er selbst stand völlig unberührt da, beschützt von einer unsichtbaren, unvorstellbaren Macht, deren Anwesenheit Brenner jetzt stärker denn je spürte. Vielleicht war der Kampf, zu dem sie gegen ihren Willen angetreten waren, doch nicht so aussichtslos, wie er bisher geglaubt hatte. Sie waren nicht allein.

Die Flammen rings um Salid erloschen, aber was Brenner schon einmal beobachtet hatte, wiederholte sich: Die Rauchsäulen, die von der Straße hochstiegen, lösten sich nicht auf, obwohl die Rotoren des Hubschraubers einen wahren Sturmwind entfesselten, in dem sich Salid kaum noch auf den Beinen halten konnte und der selbst Brenner und Johannes gegen die Wand preßte. Den brodelnden Qualm ließen sie unversehrt. Vielleicht, weil es kein Rauch war …

Es waren die Insekten, der lebende Teppich, der die Straße auch hier überall bedeckte. Hunderte,Tausende, vielleicht Millionen der winzigen gepanzerten Heuschrecken entfalteten ihre Flügel und erhoben sich lautlos in die Luft, Dutzende winziger, sich drehender Windhosen aus Schwärze und glitzerndem Horn bildend, die dort aufstiegen, wo die Geschosse die Straße getroffen hatten. Auch der körnige Nebel unter dem Helikopter war dichter geworden und sah jetzt beinahe kompakt aus.