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angenommen, die es regelrecht krank aussehen ließ. Manchmal bewegten sich ihre Lippen, als spräche sie mit sich selbst oder als hätte sie Schmerzen.

Brenner hütete sich, sie zu fragen, was mit ihr nicht stimmte. Er hätte sowieso nur eine patzige Antwort bekommen oder gar keine. Aber er entschuldigte sich zumindest in Gedanken bei ihr für das eine oder andere, was er zu ihr gesagt – und vor allem über sie gedacht hatte. Allerdings nicht für alles.

»Da stimmt was nicht«. Styper hob erschrocken die linke Hand an den Helm und preßte sie gegen die Stelle, an der sich der integrierte Kopfhörer befand. Für eine Sekunde nahm sein Gesicht jene scheinbar ausdruckslose Starre an, die höchste Konzentration verriet. Dann nahm er die Hand herunter und sagte laut und fast schon übertrieben artikuliert: »Scheiße! «

»Was ist los?« fragte McCormack. Automatisch wollte auch er nach dem Verbindungskabel greifen, das seinen Helm ins interne Kommunikationsnetz des Apache einstöpselte – er hatte es bisher nicht getan, zwar vorschriftswidrig, aber wozu, auf einem so kleinen Routinehüpfer wie diesem – , als Styper antwortete:

»Genau wissen sie es anscheinend auch nicht. Aber es sieht so aus, als hätte jemand die Connor-Base überfallen.« McCormack starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Doch er kam nicht mehr dazu, eine weitere Frage zu stellen, denn Styper beschleunigte so abrupt, daß er regelrecht in den Sitz hineingeprügelt wurde, während der Apache wie ein stählerner Pfeil nach Osten schoß.

In einem Punkt hatte Astrid sogar recht gehabt: es war unter dem schützenden Blätterdach tatsächlich wärmer als draußen auf der Straße. Sogar wesentlich wärmer. Die Temperaturen lagen zwar auch hier sicherlich unter Null, aber das schlimme war der Wind gewesen, der ohne die geringste Mühe durch seine Kleider gedrungen war und seine Körperwärme ebenso schnell aufzehrte, wie er sie produzieren konnte. Und noch

etwas geschah, womit er nicht gerechnet hatte: Nachdem er sich erst einmal an das Gehen auf dem Waldboden gewöhnt hatte, fiel es ihm erstaunlich le icht, fast leichter als auf der asphaltierten Straße – eine Erfahrung übrigens, die viele Menschen machten, die den größtenTeil ihres Lebens in zubetonierten Städten verbrachten und alles, was weiter als hundert Meter war, mit dem Wagen erledigten.

Natürlich hatten sie nicht an der ersten Biegung Halt gemacht; und sie waren schon gar nicht umgekehrt. Brenner hatte nicht einmal widersprochen, als Astrid einfach weitergegangen war, sondern nur – und selbst das nur in Gedanken – mit den Achseln gezuckt und sich in sein scheinbar unvermeidliches Schicksal gefügt. Er hatte einfach keine Lust mehr, sich zu streiten. Eine sonderbare Art von Müdigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen; als fülle die Kälte das Vakuum, das sie in ihm erzeugte, mit unsichtbaren Bleigewic hten wieder aus, die nicht nur an seinen Gliedern zerrten, sondern auch seine Gedanken und seinen Willen lähmten; vor allem den, sich mit einer pubertierenden Sechzehnjährigen aussichtslose Rededuelle zu liefern. Wozu?

Der Pfad beschrieb eine weitere Biegung, diesmal beinahe im Neunzig-Grad-Winkel, so daß Brenner bis zum letzten Moment nicht sehen konnte, was dahinter lag, und um ein Haar gegen das schmiedeeiserne Tor gerannt wäre, das den Weg blockierte. Kaum zehn Zentimeter von den rostigen Stäben entfernt blieb er abrupt stehen. Der Anblick kam so überraschend, daß er ein paar Sekunden brauchte, bis er überhaupt begriff, was er sah.

»Na?« sagte Astrid hinter ihm. Sie gab sich keine Mühe, den triumphierenden Ton in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Glaubst du immer noch, daß der Weg nur zu einem Holzstapel führt?«

Das glaubte Brenner zwar schon seit einer geraumen Weile nicht mehr, aber er sah keinen Anlaß, es zuzugeben. Außerdem hielt er Astrids Triumph für etwas verfrüht – vorsichtig formuliert. Ganz im Gegenteiclass="underline" Je länger er das Hindernis

studierte, desto mehr kam er zu dem Schluß, daß der Befund eher ihm recht gab.

Es war ein äußerst massivesTor; zwar alt – uralt, um genau zu sein – , aber nichtsdestoweniger fest genug, auch einem durchaus ernst gemeinten Versuch zu trotzen, es ohne den dazugehörigen Schlüssel zu öffnen. Es stand keineswegs allein auf dem Pfad, sondern gehörte zu einem beeindruckend großen Zaun, der beiderseits des Weges im Wald verschwand und in regelmäßigen Abständen von gemauerten Säulen durchbrochen war, an denen man die einzelnen Zaunfelder aufgehängt hatte. Der Zaun war zwei Meter hoch und mit gefährlich aussehenden Spitzen versehen.

»Was ist?« fragte Astrid ungeduldig. »Mach es auf.« Brenner zögerte. Es war nur ein Gefühl, aber …

»Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht sollten wir besser umkehren. «

»Bist du verrückt?« Astrid riß ungläubig die Augen auf. »Hier wohnen Menschen, das sieht doch jeder. Willst du vielleicht noch eine Stunde durch den Schnee latschen?«

Nein, das wollte er nicht, und ja, selbst er hatte mittlerweile begriffen, daß sie sich einer menschlichen Behausung näherten

–vermutlich wirklich einem Schloß oder einem großen Gutshof, der sich hier mitten im Wald verbarg. Und trotzdem zögerte er noch immer. Sein Beruf brachte es mit sich, daß er ein Gespür dafür entwickelt hatte, ob ein Schild »ZUTRITT VERBOTEN« ernst gemeint war oder nicht; und das hier war ernst gemeint, auch wenn es nicht wirklich dahing. Er wandte sich wieder dem Tor zu und betrachtete es noch einmal, und diesmal sehr viel aufmerksamer.

Die einzelnen Stäbe waren so dick wie sein Daumen und weit über zwei Meter hoch, und die Zwischenräume sahen großzügig bemessen aus, ohne es jedoch wirklich zu sein. Das Schloß erinnerte auf den ersten Blick an einen fast formlosen Klumpen aus Rost, der auseinanderfallen mußte, wenn man ihn auch nur scharf ansah, aber auch dieser Eindruck täuschte. Brenner brauchte nur eine Sekunde, um das dünne, in einem

unauffälligen Rotbraun gehaltene Kunststoffkabel zu entdecken, das sich an einem der Gitterstäbe entlangringelte und im Schloß verschwand.

Brenners Blick folgte dem Kabel bis zu der Säule rechts des Weges, an deren Fuß es im Boden verschwand. Ein zweites, im tarnenden Grau der Steinsäule gehaltenes Kabel stieg daneben bis zu deren Spitze empor und wurde zu einem dünnen Draht, der sich eine Handbreit unter der Spitze des Zaunes entlangzog. Normalerweise wäre er kaum sichtbar gewesen. Selbst jetzt, wo er wußte, wonach er zu suchen hatte, erkannte er ihn nur, weil die Kälte ihn mit einem dünnen Eispanzer umgeben hatte, auf dem sich das Licht brach.

»Siehst du das da?« Er deutete auf den Draht. Astrid nickte, aber er sah ihr an, daß sie nicht wirklich begriff, was sie sah. »Ein Kontaktdraht«, sagte er gewichtig. »Wahrscheinlich gehört er zu einer Alarmanlage, die sofort losheult, wenn jemand den Zaun auch nur anfaßt. Und dort.« Während sein Blick dem Draht gefolgt war, hatte er etwas entdeckt, worauf er Astrid nun mit einer entsprechenden Geste aufmerksam machte. »Der Schatten da hinten, rechts an der großen Eiche. Siehst du ihn?«

Astrids Augen wurden schmal, als sie sich konzentrierte. »Eine … Kamera?« murmelte sie.

»Und zwar eine ziemlich moderne«, bestätigte Brenner. »Irgend jemand hat sich da ziemliche Mühe gemacht, sein Grundstück zu sichern. Ich weiß nicht, ob wir wirklich weitergehen sollten.«

»Was glaubst du, was dahinter ist?« fragte Astrid böse. »Frankensteins Schloß?«

Brenner lachte nicht. Er fand ihre Worte wenig komisch. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß Leute, die sich solche Mühe gaben, ihr Anwesen zu schützen, meistens auch einen Grund dazu hatten; oder es zumindest glaubten – was auf dasselbe hinauslief: sie reagierten entsprechend ungehalten, wenn man ihre Warnungen ignorierte. Außerdem sah er gar keine Möglichkeit, weiterzugehen. DasTor war verschlossen, und es gab weder eine Klinke noch einen Klingelknopf oder irgendeine Entsprechung dazu. Eigentlich nur, um sich zu bestätigen, streckte er die Hand aus und rüttelte an den Gitterstäben. Das Ergebnis war genau so, wie er erwartet hatte – dasTor rührte sich nicht. Es war tatsächlich so massiv, wie es aussah.