Wainright warf ihm einen skeptischen Blick zu, und sein Gesicht verriet ernsthafte Besorgnis. Doch ganz offensichtlich war der Lieutenant viel zu höflich, als daß er sich getraut hätte, Conway zu fragen, warum ein Chefarzt vom größten Hospital der Föderation, in dem jede nur vorstellbare medizinische und psychologische Behandlung durchgeführt werden konnte, ausgerechnet auf diesen Planeten fliegen wollte, um sich zu erholen.
Statt dessen fragte er: „Wo wir gerade von Erholung sprechen, Doktor, wie spät war es auf dem Schiff? Ist es für Sie kurz nach dem Frühstück, mitten am Tag oder bereits höchste Zeit zum Schlafengehen? Würden Sie sich jetzt gerne ausruhen? Hier ist es jetzt spät am Nachmittag, und von mir aus können wir uns gern erst morgen früh miteinander unterhalten.“
„Danke, aber bis vor zwei Stunden habe ich noch gut geschlafen und möchte lieber gleich mit Ihnen sprechen. Und wenn Sie mich nicht daran hindern, Ihnen Fragen zu stellen, dann werden Sie noch derjenige sein, der eine Menge Schlaf versäumt, Lieutenant.“
„Ich werde Sie bestimmt nicht daran hindern, Doktor.“ Wainright lachte. „Damit möchte ich keineswegs unterstellen, daß meine Assistenten keine unterhaltsamen Leute sind, so bedienen sie sich zum Beispiel hin und wieder ihrer Fingerfertigkeit, um beim Kartenspielen dem Wahrscheinlichkeitsgesetz nachzuhelfen, aber es ist trotzdem schön, mal jemand anderen hier zu haben, mit dem man sich unterhalten kann. Übrigens, bei Sonnenuntergang verschwinden die Einheimischen, und dann können wir uns in aller Ruhe über diese Aliens unterhalten, allerdings hat uns das bislang nicht besonders weit gebracht.“
Gefolgt von Conway betrat er das Gebäude. Im Innern befand sich ein schmaler Gang, und auf einer der ersten Türen stand der Name des Lieutenant. Wainright blieb direkt davor stehen, blickte sich rasch nach rechts und links um und bat dann Conway um das Band.
„Kommen Sie herein, Doktor“, forderte er den Chefarzt auf, schob die Tür zur Seite und ging durch das große Büro zu einem Schreibtisch, auf dem ein Übersetzungscomputer stand. Conway sah sich im Büro um, das von dem warmen, orangefarbenen Schein der fast untergegangenen Sonne erleuchtet war. Der Raum wirkte relativ leer, da der Schreibtisch, die Aktenschränke, die Projektionsgeräte und selbst die Stühle für Besucher allesamt an der Wand gegenüber vom Fenster zusammengedrängt waren. Neben dem Fenster stand eine große, rundliche, kaktusähnliche Pflanze, deren Stacheln und Haare vielfarbige Muster aufwiesen, die anscheinend immer weniger zufällig wurden, je länger Conway sie betrachtete.
Als er den von der Pflanze ausgehenden schwachen Duft bemerkte, der wie eine Mischung aus Moschus und Pfefferminz roch, ging er durchs Büro, um sich das Gewächs genauer anzusehen.
Der Kaktus wich vor ihm zurück.
„Das ist Khone.“ Der Lieutenant schaltete den Translator an, dann deutete er auf den Chefarzt und sagte: „Das ist Doktor Conway. Er ist ebenfalls Arzt.“
Während Wainright gesprochen hatte, waren aus dem Translator rauhe, seufzende Laute zu hören gewesen, aus denen sich die Sprache des Lebewesens zusammensetzen mußte. Einen Moment lang ließ sich Conway nach und nach eine ganze Reihe höflicher, diplomatischer Redewendungen einfallen, deren sich die terrestrische Spezies bei derartigen Anlässen normalerweise bediente, die er aber allesamt verwarf, da er es für angebrachter hielt, etwas Positives und Eindeutiges zu sagen.
„Ich wünsche Ihnen alles Gute, Khone“, begrüßte er schließlich das fremdartige Wesen.
„Danke, ich Ihnen auch“, entgegnete die Extraterrestrierin.
„Sie sollten wissen, Doktor, daß in einem Gespräch Namen nur ein einziges Mal genannt werden, und zwar nur, um sich gegenseitig vorzustellen, zu identifizieren oder wiederzuerkennen“, mischte sich Wainright schnell ein. „Bemühen Sie sich, nach dem anfänglichen Gebrauch des Namens in möglichst unpersönlicher Form zu sprechen, um irgendwelchen Anstoß zu vermeiden. Später können wir diese Angelegenheit noch ausführlicher miteinander besprechen. Die Gogleskanerin hat fast bis zum Sonnenuntergang gewartet, nur um Sie zu begrüßen, aber jetzt.“
„…muß sie leider gehen“, schloß Khone den Satz.
Der Lieutenant nickte und fügte hinzu: „Es ist ein Fahrzeug mit einer Heckladerampe zur Verfügung gestellt worden, damit die Insassin einsteigen und befördert werden kann, ohne in unmittelbare körperliche Nähe zum Fahrer zu geraten. Die Insassin wird lange vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein.“
„Das ist sehr rücksichtsvoll“, entgegnete die Gogleskanerin, als sie sich zum Gehen wandte. „Danke.“
Während des Wortwechsels hatte Conway die Extraterrestrierin eingehend betrachtet. Die dichte, widerspenstige Behaarung und die Stacheln, die den aufgerichteten, eiförmigen Körper bedeckten, waren von der Länge und der Lage her weniger unregelmäßig, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Die Körperbehaarung war beweglich, obwohl sie nicht das hohe Maß an Flexibilität und Schnelligkeit des Kelgianerfells besaß, und die Stacheln, von denen einige äußerst biegsam und zu Fingerbüscheln gruppiert waren, zeugten von der hohen Spezialisierung dieser Spezies. Die übrigen Stacheln waren länger und steifer, und einige schienen teilweise verkümmert zu sein, als ob sie sich einst zur natürlichen Verteidigung entwickelt hätten, aber schon vor langer Zeit um ihre Daseinsberechtigung gebracht worden wären. Unter dem vielfarbigen Haar auf dem Schädelbereich lag außerdem eine Anzahl langer, blasser Fühler, deren Funktion Conway unklar war.
Den kuppelförmigen, halslosen Kopf umgab ein dünnes Band aus mattem Metall, und ein paar Zentimeter unter diesem Metallreif befanden sich zwei weit auseinanderstehende, tiefliegende Augen. Die Stimme schien aus einer Zahl schmaler, senkrechter Öffnungen zu kommen, die sich um die Hüfte herumzogen. Das Wesen saß auf einem flachen Muskelband, und erst als es sich zum Gehen wandte, sah Conway, daß es auch so etwas wie Beine hatte.
Dabei handelte es sich um vier kurze, ziehharmonikaartige Gliedmaßen, die das Wesen nur um einige Zentimeter größer machten, wenn es auf ihnen stand. Darüber hinaus entdeckte Conway, daß es am Hinterkopf noch über zwei weitere Augen verfügte — offensichtlich hatte diese Spezies in vorgeschichtlicher Zeit sehr wachsam sein müssen —, und plötzlich wurde ihm der Zweck des Metallreifs klar: Er diente als Einfassung einer Korrekturlinse vor einem der gogleskanischen Augen, war also eine Art Monokel.
Trotz der Körpergestalt war die Gogleskanerin eine warmblütige Sauerstoffatmerin und keine intelligente Pflanze, und Conway ordnete sie der physiologischen Klassifikation FOKT zu. Bevor sie den Raum verließ, blieb sie kurz im Türrahmen stehen und zuckte kurz mit einer Gruppe ihrer Fingerbüschel.
„Einen einsamen Aufenthalt“, wünschte sie.
5. Kapitel
Aus Sicht der Kulturkontaktspezialisten handelte es sich bei Goglesk um einen Grenzfall. Der eingehende Kontakt mit einer in technologischer Hinsicht derart rückständigen Zivilisation war gefährlich, weil man sich, wenn die Monitorkorpsschiffe wie aus heiterem Himmel auf die Planetenoberfläche fielen, nie sicher sein konnte, ob man den Einheimischen, wie in diesem Fall den Gogleskanern, eine erstrebenswerte Zukunft bieten oder einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex bereiten könnte. Doch die Einheimischen waren trotz ihrer Rückständigkeit in den Naturwissenschaften und der verheerenden Rassenpsychose, die sie am Fortschritt hinderte, zumindest als Individuen psychologisch gefestigt, und der Planet hatte viele tausend Jahre lang keinen Krieg mehr erlebt.