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Gerade wurde irgend etwas an den Atemöffnungen eines gogleskanischen Patienten gemacht — wie Conway erkennen konnte, handelte es sich dabei um eine nichtoperative Untersuchung, die mit langen hölzernen Sonden und Dehnsonden vorgenommen wurde, gefolgt von der oralen Verabreichung eines Medikaments, wofür ebenfalls ein langstieliges Instrument eingesetzt wurde. Bei diesem Vorgang befanden sich Patient und Ärztin in zwei kleinen, voneinander abgeteilten Räumen. Erst mehrere Minuten später kam Khone nach draußen und bemerkte die beiden Terrestrier.

„Es besteht Interesse an dem Spezialgebiet des Heilens auf Goglesk“, sagte Conway, als sie alle drei an den Eckpunkten eines unsichtbaren gleichseitigen Dreiecks mit einer Kantenlänge von mehr als drei Metern vor dem Gebäude standen. „Man könnte Vergleiche der unterschiedlichen Kenntnisse und Behandlungen, der Krankheiten, Verletzungen und nichtkörperlichen Störungen anstellen und insbesondere die Operationsund anatomischen Untersuchungsmethoden erörtern.“

„Auf Goglesk gibt es keine operativen Heilbehandlungen“, antwortete Khone, wobei sich ihre Aufmerksamkeit auf den freien Raum zwischen Wainright und Conway richtete. „Anatomische Untersuchungen sind nur an von Stacheln und Restgiften befreiten Leichnamen möglich. Außer zur Fortpflanzung oder Betreuung von Kindern ist persönlicher Körperkontakt sowohl für den Arzt als auch für den Patienten äußerst gefährlich. Ein gewisser Mindestabstand ist für die Durchführung der ärztlichen Aufgaben unerläßlich.“

„Aber wieso?“, fragte Conway und näherte sich dabei unwillkürlich der Ärztin. Dann sah er, daß sich Khones Fell in heftiger Bewegung befand und die über den ganzen Körper verteilten Stacheln zitterten. Etwas unbeholfen wandte er sich dem Lieutenant zu und sprach ausdrücklich nur ihn an.

„In meinem Besitz befindet sich ein Instrument, das es einem geübten Arzt ermöglicht, die Lage und Funktion innerer Organe zu betrachten sowie die Lage der Knochen und den Verlauf der Hauptblutgefäße zu erfassen“, erklärte er und holte aus einer großen Hängetasche einen Scanner hervor.

Langsam zog er ihn mit der rechten Hand am linken Arm entlang und führte ihn dann zum Kopf, zur Brust und zum Bauch, wobei er im unpersönlichen Tonfall einer Vortragsstimme die Funktion der auf dem Scannerdisplay sichtbaren Organe, des Knochenbaus und der damit verbunden Muskulatur beschrieb. Anschließend zog er den Teleskopgriff des Scanners ganz heraus und brachte ihn näher an Khone heran.

„All diese Informationen liefert schon allein dieses Gerät, ohne daß man dabei den Körper des Patienten berühren muß, falls das von entscheidender Bedeutung ist“, fügte er hinzu.

Während der Vorführung des Scanners war Khone ein wenig nähergekommen und hatte den Körper gedreht, damit sie mit dem Auge hinter der Korrekturlinse das Display genauer betrachten konnte, das Conway so angewinkelt hielt, daß die Gogleskanerin nun in der Lage war, ihre eigene innere Körperstruktur zu sehen, er selbst jedoch nicht. Allerdings hatte er den Scanner auf Aufnahme geschaltet, um das Material später studieren zu können.

Ihm fiel auf, wie die Stacheln der Ärztin zuckten und wie sich das lange, vielfarbige Haar mehrmals pro Minute starr aufstellte und sich wieder flach anlegte. Einige Strähnen lagen im rechten Winkel zu anderen und riefen so ein buntkariertes Muster hervor. Zwar drang aus den Atemöffnungen ein ängstlich anmutendes Zischen, aber Khone vergrößerte den Abstand zum Scanner nicht und wurde allmählich ruhiger.

„Das reicht“, sagte sie, wobei sie Conway überraschenderweise mit ihrem grotesk bebrillten Auge direkt anblickte. Eine lange Stille trat ein, in der sich die Gogleskanerin, wie deutlich zu sehen war, zu einem Entschluß durchrang.

„Auf diesem Planeten ist die Heilkunst einzigartig, und wahrscheinlich gilt das auch für andere Orte“, setzte sie schließlich zu einer Erklärung an. „Bei der Behandlung eines Patienten untersucht der Arzt möglicherweise heikle Bereiche und Geistesverfassungen und stochert in peinlichem oder sogar schmachvollem, doch stets persönlichem Material herum. Dieses normalerweise verbotene und gefährliche Verhalten ist erlaubt, weil der Arzt über keine der gewonnenen Erkenntnisse sprechen darf, es sei denn gegenüber einem anderen Arzt, der im Interesse des Patienten zu Rate gezogen wird.“

Hippokrates hätte es nicht besser sagen können, dachte Conway.

„Vielleicht ist es möglich, derartige Fragen mit einem außerplanetarischen Arzt zu erörtern“, fuhr Khone fort. „Dabei muß aber klar sein, daß diese Dinge nur für die Ohren eines anderen Arztes bestimmt sind.“

„Als medizinischer Laie weiß ich, wann ich unerwünscht bin“, warf der Lieutenant lächelnd ein. „Ich warte im Fahrzeug.“

Conway beugte das linke Knie, damit sich seine Augen auf gleicher Höhe mit denen der Gogleskanerin befanden. Wenn sie sich als gleichberechtigte Kollegen unterhalten wollten, könnte es eine erhebliche Hilfe sein, wenn — er nicht weit über Khone aufragte, deren Haare und Stacheln erneut heftig zitterten. Inzwischen waren sie weniger als zwei Meter voneinander entfernt, und Conway entschloß sich, die Initiative zu ergreifen.

Er mußte darauf achten, Khone nicht mit unnötigen Darstellungen einer medizinischen Superwissenschaft einzuschüchtern. Deshalb begann er damit, in ganz einfachen Worten die Arbeit des Orbit Hospitals zu beschreiben, wobei er jedoch immer wieder die Vielfalt der behandelten Spezies hervorhob und das für die Durchführung der Behandlungen erforderliche hohe Maß an fachlicher Zusammenarbeit unterstrich. Von dort aus tastete er sich langsam zum Thema Zusammenarbeit im allgemeinen und ihrer Bedeutung in außermedizinischen Bereichen vor.

„Verschiedene Beobachtungen lassen, darauf schließen, daß der hiesige Fortschritt aus Gründen gehemmt worden ist, die bezüglich der hohen Intelligenz der einzelnen Gogleskaner einem Außenstehenden völlig unklar sind“, fuhr Conway fort. „Könnte dazu vielleicht eine Erklärung gegeben werden?“

„Fortschritt ist unmöglich, weil keine Zusammenarbeit möglich ist“, antwortete Khone und wurde auf einmal weniger unpersönlich. „Conway, wir kämpfen unaufhörlich gegen uns selbst und gegen die Verhaltensmuster, die uns durch unsere Überlebensinstinkte aufgezwungen werden. Diese müssen sich nach meinem Dafürhalten zu einer Zeit entwickelt haben, als wir noch nichtintelligente Meeresbewohner waren und sämtlichen Meeresraubtieren auf unserem Planeten als Beute dienten. Um diese Instinkte wirksam zu bekämpfen, ist für unser Denken und Handeln ein hohes Maß an Selbstdisziplin erforderlich, wenn wir unser derzeitiges, äußerst bescheidenes, ja sogar rückständiges kulturelles Niveau nicht ganz einbüßen wollen.“

„Falls die genaue Art des Problems im einzelnen erklärt werden könnte“, begann Conway und verfiel dann ebenfalls in eine persönlichere Ausdrucksweise, „würde ich Ihnen gerne helfen, Khone. Möglicherweise könnte ein ganz fremder Arzt mit einem völlig neuen, vielleicht sogar außerplanetarischen Blickwinkel einen Lösungsvorschlag machen, auf den die Betroffenen sonst nicht gekommen wären und.“ Da weiter landeinwärts ein unregelmäßiges, eindringliches Trommeln begonnen hatte, brach er mitten im Satz ab.

Khone entfernte sich wieder ein Stück von ihm und sagte mit lauter Stimmer: „Entschuldigung wegen des plötzlichen Aufbruchs. Es gibt dringende medizinische Arbeit.“

Wainright lehnte sich aus dem Bodenfahrzeug heraus. „Falls es Khone eilig haben sollte.“, begann er, berichtigte sich aber sogleich: „Falls ein schnelles Transportmittel erforderlich ist, steht es zur Verfügung.“

Der Heckladeraum stand bereits offen, und die Laderampen wurden ausgefahren.

Nach einer der haarsträubendsten Fahrten, die Conway je erlebt hatte — die Gogleskanerin hatte wahrscheinlich wegen ihrer von Natur aus langsamen Fortbewegungsart immer erst dann die Anweisung gegeben, um eine Ecke zu biegen, wenn sie sich schon längst auf der betreffenden Kreuzung befunden hatten —, trafen sie nach etwa zehn Minuten am Unfallort ein. Nachdem Wainright das Fahrzeug neben einem von Khone bezeichneten dreigeschossigen Gebäude, das teilweise zerstört war, aufgesetzt hatte, fragte sich Conway jedenfalls, ob er zum erstenmal im Erwachsenenalter tatsächlich an Reisekrankheit leiden sollte.