Doch wie Conway sah, fühlten sich die ins Wasser gefallenen Gogleskaner offenbar keineswegs gestört und wurden durch die Fortbewegung der auf festem Boden befindlichen Teile des Gruppenwesens innerhalb weniger Minuten wieder herausgezogen.
„Blind sind die jedenfalls nicht“, stellte Conway fest, dem die massive Zerstörungswut des Gruppenwesens Angst einjagte. Er stand auf seinem Schalensitz, um einen besseren Überblick zu bekommen, und fuhr fort: „Um den Rand herum verfügen sie über genügend unverdeckte Augen, um zu sehen, wohin sie gehen, aber sie scheinen große Schwierigkeiten zu haben, sich für eine Richtung zu entscheiden. Du meine Güte! Die stampfen die Siedlung tatsächlich in Grund und Boden. Könnten Sie das Flugzeug starten und mir von den Vorgängen eine detaillierte Luftaufnahme machen lassen?“
„Kein Problem, Doktor“, antwortete der Lieutenant. Er sprach kurz in den Kommunikator und fuhr dann fort: „Es kommt zwar nicht direkt auf uns zu, aber es versucht immerhin, sich uns zu nähern. Wir sollten lieber den Standort wechseln.“
„Nein, warten Sie“, bat Conway, hielt sich am Rand des geöffneten Cockpits fest und lehnte sich hinaus, um besser den Rand des Gruppenwesens betrachten zu können, das sich jetzt stolpernd bis auf sechs Meter Entfernung genähert hatte. Dutzende von Augen schleuderten ihm eiskalte Blicke entgegen, und die langen Stacheln mit den gelben Spitzen riefen den Eindruck eines spärlich mit Heu bewachsenen Stoppelfelds hervor. „Die sind uns alle feindlich gesinnt, obwohl Khone selbst freundlich war. Aber warum?“
Conways Stimme wurde beinahe von dem brausenden Zischen des Gruppenwesens übertönt, einem Geräusch, das die Translatoren nicht als Sprachlaut erfaßten. Doch irgendwo in dem unverständlichen Brei erhob sich eine flüsternde Stimme der Intelligenz, die sich Bahn zu brechen versuchte, die Stimme der gogleskanischen Ärztin.
„Verschwinden Sie!“ ermahnte sie die beiden Terrestrier. „Verschwinden Sie!“
Conway ließ sich schnell in den Sitz fallen, damit Wainright das Cockpit schließen konnte, und dann fuhren sie davon.
Verärgert grummelte der Lieutenant: „Alles können Sie sich hier nicht erlauben!“
6. Kapitel
Um sich an den Zwischenfall zu erinnern, war das gedächtnisfördernde Medikament, das Conway seit dem Abflug vom Orbit Hospital eingenommen hatte, nicht erforderlich — der Vorfall stand ihm vollständig und in allen Einzelheiten vor Augen. Die Beweise waren unbestreitbar, und vor der vernichtenden Schlußfolgerung, daß er allein für den ganzen bedauernswerten Schlamassel verantwortlich war, gab es kein Entrinnen.
Auf den Videos mit den Luftaufnahmen vom Flugzeug war sofort, nachdem Wainright und Conway in dem Bodenfahrzeug den Schauplatz verlassen hatten, eine Abnahme der zerstörerischen Aktivitäten der herumwütenden Gogleskaner zu beobachten gewesen. Und innerhalb einer Stunde hatte sich das Gruppenwesen wieder in seine Einzelmitglieder aufgelöst, die reglos und weit voneinander entfernt dagestanden und einen hochgradig erschöpften Eindruck gemacht hatten.
Immer wieder hatte sich Conway das Video angesehen, wie auch die Scanneraufzeichnung von Khones Selbstuntersuchung und das später aufgenommene Material von dem verletzten FOKT, dessen Rettung die Vereinigung sämtlicher Gogleskaner der Gegend herbeigeführt hatte. Vergeblich versuchte er, wenigstens einen Anhaltspunkt, einen bloßen Hinweis oder den leisesten Fingerzeig zu entdecken, der die unglaubliche Reaktion der FOKTs auf seine Berührung eines Mitglieds ihrer Spezies erklären könnte.
Zu einem gewissen Zeitpunkt fiel ihm ein, daß er eigentlich zur Erholung hier war und um einen klaren Kopf zu bekommen, damit er wichtige Entscheidungen über seine Zukunft treffen konnte. Bei der Situation auf Goglesk handelte es sich um kein dringendes Problem, und O'Mara zufolge konnte er sich über die hier herrschenden Umstände entweder Gedanken machen oder sie schlichtweg ignorieren. Doch einfach über das Problem hinwegsehen konnte er nicht. Denn unabhängig von der Tatsache, daß er es zum Teil selbst verschlimmert hatte, reizte ihn die Auseinandersetzung mit solch einem fremdartigen Puzzle, bei dem ihm selbst seine langjährige Erfahrung mit dem Verhalten und den Denkweisen von Extraterrestriern im Orbit Hospital keine große Hilfe war, über alle Maßen.
Dabei hatte sich Khone als Individuum so normal verhalten.
Gereizt ließ er sich mit aufs Bett fallen, wobei er sich unentwegt den Scanner vor die Augen hielt und versuchte, aus den FO^-Aufzeichnungen irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Eigentlich war es praktisch kaum möglich, ein Bett unbequem zu finden, dessen Schwerkraftregulieriing auf einen Bruchteil der Erdanziehungskraft eingestellt war, doch Conway warf sich von einer Seite auf die andere, wälzte sich hin und her und schaffte es tatsächlich, sich vollkommen unbehaglich zu fühlen.
Es gelang ihm, die dicht unter der Haut befindlichen Wurzeln der vier FOKT-Stacheln ausfindig zu machen, die zu der Zeit, als sich Khone selbst untersucht hatte, flach am Scheitel angelegen hatten und teilweise vom Haupthaar verdeckt gewesen waren, und die Lage der feinen Kanäle zu erfassen, die die Stacheln mit der Giftblase verbanden. Außerdem bestand eine Nervenverbindung zwischen der Gehirnbasis und den Muskeln, die die Stacheln aufrichteten und die Giftblase zusammenzogen, aber er hatte keine Ahnung, welcher Reiz die Muskelaktivität auslöste. Auch bezüglich der langen, silbrigen Strähnen, die sich zwischen dem gröberen Haar auf dem Kopf befanden, tappte er noch vollkommen im dunkeln.
Seinen ersten Gedanken, daß es sich bei ihnen lediglich um ein Anzeichen fortschreitenden Alters handelte, mußte er revidieren, als eine genauere Untersuchung ergab, daß sich der Aufbau der Follikel vollkommen von der Struktur der ringsum wachsenden Haare unterschied und die Strähnen, genau wie die Stacheln, unter der Haut mit Muskeln und Nerven verbunden waren, durch die sie sich unabhängig bewegen konnten. Die Strähnen waren jedoch länger, feiner und biegsamer als die Stacheln.
Leider konnte Conway die unter der Haut befindlichen Nervenverbindungen, falls diese überhaupt vorhanden waren, nicht aufspüren, da der Scanner nicht auf eine derart feine Abtastung eingestellt gewesen war. Schließlich hatte er lediglich die Absicht gehabt, die gogleskanische Ärztin durch die Bilder ihrer eigenen größeren inneren Organe zu beeindrucken, und keine noch so starke Vergrößerung konnte beim Abspielen der Aufnahme Einzelheiten sichtbar machen, die nicht bereits vorhanden, das heißt, zuvor aufgezeichnet worden waren.
Hätten die FOKTs nicht dieses höchst eigenartige Verhalten an den Tag gelegt, wäre Conway mit den physiologischen Daten, die er sich auf diese Weise verschafft hatte, dennoch sehr zufrieden gewesen. Doch in diesem Fall wollte bei ihm keine Zufriedenheit aufkommen. Er mußte sich unbedingt noch einmal mit Khone treffen und sich mit ihr eingehender befassen, und das sowohl in klinischer als auch in informeller Hinsicht.
Nach dem heutigen Debakel bestanden dafür allerdings denkbar geringe Chancen.
„Verschwinden Sie!“ hatte ihn Khone von irgendwoher aus dem herumwütenden Mob von Gogleskanern aufgefordert. Und auch vom Lieutenant war ihm verärgert „Alles können Sie sich hier nicht erlauben!“ zugerufen worden.
Wie Conway durchaus bewußt war, mußte er allmählich eingeschlafen sein, als er plötzlich merkte, daß er sich nicht mehr auf Goglesk befand. Die Umgebung hatte sich zwar verändert, war ihm aber dennoch vertraut, und die Probleme, mit denen er sich in Gedanken beschäftigte, waren viel einfacher geworden. Er träumte nicht besonders oft — beziehungsweise träumte er, wie ihn O'Mara immer wieder gern erinnerte, genauso häufig wie jedes andere sogenannte intelligente Lebewesen, habe aber das Glück, sich nur an sehr wenige seiner Träume zu erinnern. Der gegenwärtige Traum war angenehm, unkompliziert und hatte keinen Bezug zu seiner momentanen Situation.
Zumindest schien es zunächst so.