„Verschwinden Sie!“ hatte Khone ihn aufgefordert, als sein verfehlter Versuch zu helfen fast zur Vernichtung einer Stadt geführt und wahrscheinlich auch unermeßliche psychologische Schäden verursacht hatte. Und „Alles können Sie sich hier nicht erlauben!“ hatte ihm der Lieutenant entgegengehalten.
Aber heute war er kein verängstigter, trauernder kleiner Junge mehr, und er weigerte sich einfach, zu glauben, daß er hier nichts tun konnte.
Beim Baden, beim Anziehen und während er das Zimmer in den Tageszustand versetzte, dachte er über die Lage nach, wurde aber am Ende nur auf sich selbst sauer und fühlte sich noch hilfloser als zuvor. Schließlich war er Arzt, sagte er sich, und kein Kulturkontaktspezialist. Bislang war er zumeist auf Extraterrestrier gestoßen, die sich aufgrund einer Krankheit oder wegen der Verletzungen und Haltegurte im Untersuchungszimmer nicht bewegen konnten und die den engen Körperkontakt und die Untersuchung als selbstverständlich betrachteten. Aber auf Goglesk war das anders.
Dabei war er von Wainright vor der krankhaften Eigenwilligkeit der FOKTs von vornherein gewarnt worden, aber offensichtlich mußte er sie erst einmal selbst erlebt haben. Obendrein hatte er sich von seinen terrestrischen Instinkten und Gefühlen leiten lassen, als er sie hätte unterdrücken müssen — zumindest so lange, bis er ein wenig besser über die Umstände Bescheid gewußt hätte.
Und nun wollte ihn das einzige Wesen, das ihm dabei hätte helfen können, die hiesigen Probleme zu verstehen, nämlich Khone, nicht wiedersehen, es sei denn, um ihm gegenüber womöglich gewalttätig zu werden.
Möglicherweise könnte er es noch einmal mit einem anderen Gogleskaner in einer anderen Gegend versuchen, vorausgesetzt, Wainright war damit einverstanden, daß er sich für längere Zeit das einzige Flugzeug des Stützpunktes auslieh — außerdem dürften die FOKTs in dem Fall über kein Langstreckenkommunikationsmittel verfügen. Wahrscheinlich hatte man auf den Funkfrequenzen der Basisstation keine Nachricht mitgehört und auch keine Spur von Ton- oder Bildübertragungssystemen entdeckt, genausowenig wie Hinweise auf intelligente oder nichtintelligente Wesen, die Mitteilungen zu Land oder durch die Luft beförderten.
Als Conway gerade darüber nachdachte, ob eine Spezies, die unmittelbaren körperlichen Kontakt derart blindwütig vermied, überhaupt daran interessiert war, über weite Entfernungen in Verbindung zu bleiben, piepste plötzlich der Kommunikator.
„Ihren Raumsensoren zufolge sind Sie bereits wieder auf den Beinen und laufen in Ihrem Zimmer herum“, meldete sich Wainrights lachende Stimme. „Sind Sie auch geistig einigermaßen wach, Doktor?“
Conway war überhaupt nicht zum Lachen zumute, egal über was, und er hoffte nur, der wohlmeinende Lieutenant war nicht darauf aus, ihn aufzuheitern. „Ja“, antwortete er gereizt.
„Khone ist draußen“, flüsterte Wainright, als hätte er Schwierigkeiten, seinen eigenen Worten zu glauben. „Sie behauptet, sie sei verpflichtet, unseren gestrigen Besuch zu erwidern und sich für alle physischen und psychischen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die uns der Vorfall bereitet haben könnte. Doktor, sie möchte sich insbesondere mit Ihnen unterhalten.“
Extraterrestrier stecken doch immer wieder voller Überraschungen, dachte Conway nicht zum erstenmal in seinem Leben. Und dieser hier hatte womöglich auch ein paar Antworten parat. Er verließ das Zimmer in einem Tempo, das nur wenig an die würdevolle Gangart eines Chefarztes erinnerte, sondern vielmehr an eine ausgehungerte Katze auf der Jagd nach einer Maus.
7. Kapitel
Trotz des furchtbar langsamen und unpersönlichen Sprachstils und der langen Pausen zwischen den Sätzen war es offensichtlich, daß sich Khone unterhalten wollte. Was noch wichtiger war, sie beabsichtigte, Fragen zu stellen. Doch fiel es ihr außerordentlich schwer, diese Fragen in Worte zu kleiden, da sie offenbar zu einer Sorte gehörten, die ihre Spezies noch nie vorgebracht hatte.
Conway kannte viele Mitgliedspezies der galaktischen Föderation, deren Standpunkte und Verhaltensmuster äußerst fremd und für einen Terrestrier sogar häufig abstoßend waren, und das selbst für einen terrestrischen Arzt mit reicher extraterrestrischer Erfahrung wie ihm selbst. Deshalb konnte er sich umgekehrt gut vorstellen, welche enorme Mühe sich Khone nun geben mußte, um diesen schrecklichen Außerplanetarier zu verstehen, der sich — neben seinen weiteren merkwürdigen Angewohnheiten — gar nichts dabei dachte, ein Lebewesen aus anderen Gründen als zur Paarung oder Kinderpflege zu berühren. Für ein solches Wesen, das einen derartigen Kampf mit sich selbst austragen mußte, brachte er viel Mitgefühl und auch eine Menge Geduld auf.
In einer der scheinbar endlosen Pausen versuchte er, das Gespräch voranzutreiben, indem er die Schuld für das, was geschehen war, auf sich nahm. Khone tat die Entschuldigung allerdings mit der Bemerkung ab, daß es, wenn die Außerplanetarier die Katastrophe nicht heraufbeschworen hätten, durch irgendeine unglückliche Verkettung gogleskanischer Ereignisse sowieso dazu gekommen wäre. Dann berichtete sie ausführlich von dem angerichteten Schaden. Der werde zwar mit der Zeit behoben, und auch das zerstörte Schiff werde man neu bauen, doch wäre sie nicht einmal überrascht, wenn noch vor Beendigung der Arbeiten wieder ein ähnliches Unglück über die Gogleskaner hereinbrechen würde.
Wie sie weiterhin ausführte, verlören sie mit jedem Gruppenzusammenschluß ein wenig mehr an Boden, bliebe ihnen immer weniger von ihrer Technologie übrig — so primitiv diese nach den Maßstäben von Außerplanetariern auch sein mochte —, so daß selbst die geringen Fortschritte, die sie hatten erzielen können, langsam, aber sicher zunichte gemacht würden. Nach den Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben worden seien, und nach den Fragmenten der Geschichtsschreibung zu urteilen, die die regelmäßigen Selbstzerstörungsorgien überlebt hätten, sei dies schon immer so gewesen, schloß Khone ihre Ausführungen.
„Falls in irgendeiner Weise geholfen werden kann, sei es nun durch Informationen, Ratschläge oder durch medizinische Mittel oder Geräte, ist nichts weiter als eine einfache Bitte nötig, um all das zur Verfügung zu stellen“, schlug Conway im unpersönlichen Sprachstil der Gogleskaner vor.
„Der Wunsch lautet, daß unsere Spezies von dieser Last befreit wird“, entgegnete Khone nachdenklich. „Die erste Bitte erstreckt sich auf Informationen.“
Da Khone die gestrigen Vorfälle so gnädig verziehen hatte, störte es sie wahrscheinlich nicht allzusehr, wenn Conway die lästigen sprachlichen Feinheiten wegließ, die immerhin einen Teil der Barriere zwischen ihnen ausmachten. „Sie können mir jede Frage zu jedem Thema stellen, ohne dabei befürchten zu müssen, mich zu kränken“, sagte er.
Zwar zuckten Khones Haare, als sie so direkt angesprochen wurde, trotzdem antwortete sie prompt. „Es werden Informationen über andere außerplanetarische Spezies aus Ihrem Erfahrungsschatz erbeten, die ähnliche Probleme haben, wie sie auf Goglesk bestehen. Besonderes Interesse besteht dabei natürlich an denjenigen Spezies, die diese Probleme bereits gelöst haben.“
Auch die Ärztin war in ihrer Formulierung ein bißchen weniger unpersönlich geworden. Conway staunte über die Mühe, die es die Gogleskanerin gekostet haben mußte, ihre lebenslange geistig-seelische Ausrichtung zu durchbrechen oder zumindest an dieser ein wenig zu kratzen. Das Problem war nur, daß er die verlangten Informationen nicht besaß.