Er bemühte sich, nicht einmal die Augen zu bewegen, damit Khone nicht zurückschreckte, und bemerkte deshalb aus seinem peripheren Blickwinkel ein großes Büschel steifen, gogleskanischen Haars und drei von Khones Greiforganen, die sich seitlich an seinem Kopf entlang bewegten und von denen zwei immer noch den Scanner hielten. Im Bereich der Schläfenarterie nahm er eine weitere leichte Berührung wahr; dann begann die Spitze eines Greiforgans ganz sanft die Windungen seines Ohrs zu ertasten.
Abrupt zog sich Khone zurück, und die Membrane vibrierte leicht vor unterdrückter Qual.
Conway dachte daran, welche ungeheuren inneren Kämpfe Khone mit sich selbst ausgefochten haben mußte, nur um ihn das erstemal zu berühren, und er empfand eine derart starke Bewunderung für das kleine rundliche Wesen und machte sich um die gogleskanische Spezies insgesamt solch große Sorgen, daß er eine ganze Weile Probleme hatte, überhaupt einen Ton von sich zu geben.
„Es tut mir aufrichtig leid, daß ich Ihnen derartige psychische Beschwerden bereite“, sagte Conway schließlich, „allerdings müßten die sich mit der Wiederholung der Berührungen verringern. Doch obwohl Sie wußten, daß ich Sie weder in Gefahr bringen wollte noch konnte, haben Sie hörbare Notsignale erzeugt. Mit Ihrer Zustimmung sollte die Außentür dieses Raums geschlossen werden, damit kein Mitglied Ihrer Spezies, das sich in Hörweite befindet, glaubt, Sie würden bedroht. Sonst kommt es noch womöglich hier herein, um sich mit Ihnen zusammenzuschließen.“
„Das ist verständlich und akzeptabel“, stimmte Khone dem Vorschlag sofort zu.
Auf dem Großbildschirm zeigte der Lieutenant das Video, in dem die von Tiefensonden enthüllte dichte Ansammlung von Versteinerungen zu sehen war. Dann veränderte er durch Drehen des Bildes den Blickwinkel und legte ein Maßstabgitter darüber, um das wirkliche Verhältnis von Formen und Größen sichtbar zu machen. Khone schenkte dem Bildschirm nur wenig Beachtung, weil, wie sich Conway klarmachte, eine Spezies mit einer derart primitiven Technologie nicht sofort die greifbare Realität begriff, wie sie von ein paar dünnen Linien auf einem dunklen Bildschirm repräsentiert wurde. Viel größeres Interesse bewies die Gogleskanerin hingegen für den dreidimensionalen und real existierenden Chefarzt, denn sie näherte sich ihm erneut.
Conway wiederum war brennend an den Darstellungen auf dem Bildschirm interessiert.
Während ihm Khone mit zwei Greiforganen sanft das Haar auf dem Scheitel teilte, behielt er den Bildschirm unentwegt im Auge. „Diese unvollständigen Versteinerungen sehen aus, als ob sie auseinandergerissen worden wären“, sagte er zum Lieutenant. „Wenn Sie den Computer eine diese Versteinerungen unter Verwendung der Daten, die uns über Khones Physiologie zur Verfügung stehen, rekonstruieren lassen, würde ich fast wetten, daß Sie einen deutlich erkennbaren FOKT vor der Entwicklung von Intelligenz erhalten werden. Aber was ist das da zwischen den Fossilien für eine. übergroße Pflanze?“
Wainright lachte. „Ich hatte gehofft, daß Sie mich das fragen werden, Doktor. Sie sieht wie eine entstellte Rose ohne Stiel aus, der an den Rändern einiger Blütenblätter so etwas wie Dornen oder Zähne wachsen, und riesengroß ist sie wirklich.“
„Die Form ergibt keinen Sinn“, sagte Conway leise, während die Gogleskanerin ihre Aufmerksamkeit auf eine seiner Hände richtete. „Als Meeresbewohner müßte das Tier eher Flossen als Glieder haben, aber es gibt keinerlei Anzeichen für eine in seiner Bewegungsrichtung verlaufende Stromlinienform oder auch nur für eine elementare Symmetrie rings um die.“
Er brach mitten im Satz ab, um eine Frage von Khone über das Haar auf seinem Handgelenk zu beantworten, und nahm die Gelegenheit wahr, die Gogleskanerin in ihrem tapferen Handeln noch mehr zu ermutigen, indem er ihr vorschlug, an ihm einen einfachen operativen Eingriff vorzunehmen. Dazu sollte das Entfernen eines kleinen Stücks Kopfhaut gehören sowie der Einsatz einer feinen Nadel in Verbindung mit dem Scanner, um aus einer unbedeutenden Vene in Conways Handrücken etwas Blut zu entnehmen. Er versicherte Khone, daß ihm der Eingriff keinerlei Schmerzen bereiten werde und ihm selbst eine etwas ungenau angesetzte Nadel keinerlei Schaden zufügen könne.
Bei diesem Eingriff, so erklärte er darüber hinaus, handele es sich um die Art Untersuchung, die am Orbit Hospital jeden Tag unzählige Male an vielen verschiedenen Patienten durchgeführt werde. Die spätere Analyse der entnommenen Proben sage nämlich eine ganze Menge über den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten aus, und in vielen Fällen trügen die erhaltenen Daten zur Heilung bei.
Bei der Probenentnahme könne es kaum zu einer direkten Körperberührung kommen, weil Khone den Scanner, Tupfer, eine Schere und eine Spritze benutzen werde. Ermutigend fügte er fast beiläufig hinzu, daß es genauso selten zu einer Körperberührung kommen werde, sobald er ähnliche Untersuchungen an der Gogleskanerin vornähme.
Einen Moment lang glaubte Conway, er habe die Sache zu sehr übereilt, da Khone zurückgewichen war, bis sie direkt an der Innenseite der geschlossenen Außentür stand. Dort blieb sie, und ihr Haar zuckte, während sie offensichtlich erneut heftige innere Kämpfe ausfocht, doch dann kehrte sie langsam zur Trage zurück. Während er auf eine Antwort von ihr wartete, warf Conway einen raschen Blick auf das erstaunlich lebensechte Bild, das auf Wainrights Bildschirm allmählich Gestalt annahm.
In die Darstellung hatte der Lieutenant sowohl sämtliche Daten über die FOKTs als auch die Informationen aufgenommen, die er schon vorher über die prähistorische Vegetation auf dem Meeresboden gesammelt hatte. Die Versteinerungen, die der Computer als nur etwas kleinere Ebenbilder der heutigen Gogleskaner rekonstruiert hatte, befanden sich einzeln oder zu kleinen Gruppen zusammengeschlossen zwischen den sanft wogenden Meerespflanzen und wurden von hellem grünlichgelben Sonnenlicht bestrahlt, das durch die von Wellen gekräuselte Wasseroberfläche über ihnen hindurchdrang. Nur bei dem riesigen, rosenähnlichen Gegenstand in der Bildmitte mangelte es noch an Details. In Conways Hinterkopf nahm dazu langsam eine Idee Gestalt an, doch bevor sie sich entwickeln konnte, wurde er von Khone durch eine Frage abgelenkt.
Die Gogleskanerin interessierte sich immer noch nicht für den Bildschirm.
„Falls diese Untersuchung Schmerzen bereiten sollte, welche Gegenmaßnahme wäre dann angezeigt?“ erkundigte sie sich auf ihre zurückhaltende Weise. „Und wäre es unter den gegebenen Umständen nicht vorzuziehen, sich die Blutprobe selbst zu entnehmen?“
Ein sehr hilfsbereites, aber auch äußerst achtsames Wesen diese Khone, dachte Conway und bemühte sich, nicht zu lachen, als er antwortete: „Wenn bei einem Eingriff mit Beschwerden zu rechnen ist, wird eine gewisse Menge der Flüssigkeit, die sich in einer der mit gelben und schwarzen Schrägstreifen versehenen Phiolen befindet in die Spritze gesogen und in die entsprechende Stelle injiziert. Dabei hängt die benötigte Menge von der Zeitdauer und der zu erwartenden Stärke der Beschwerden ab.
Bei der besagten Flüssigkeit handelt es sich sowohl um ein schmerzstillendes Mittel für meine Spezies als auch um ein Muskelrelaxans“, fuhr er fort. „Doch in meinem Fall wird es bestimmt nicht benötigt.“
Während er weitere Anleitungen zur Entnahme der Blutprobe gab, erklärte er Khone, daß ein solcher Eingriff viel leichter an jemand anderem durchzuführen sei als an sich selbst. Zu diesem Zeitpunkt erwähnte er noch nicht, daß er, falls er Khone eine Blutprobe entnehmen sollte, als erstes herausfinden wollte, ob sich das gelb-schwarz markierte Medikament oder eins der ähnlichen Präparate in seiner Ausrüstung für den gogleskanischen Metabolismus überhaupt eignete. Sollte dies der Fall sein und sich eine Gelegenheit ergeben, das entsprechende Präparat zu injizieren könnte er Khone in einen derart schmerzfreien, entspannten und ruhigen Zustand versetzen, daß nachfolgende und weit vielversprechendere Untersuchungen überhaupt kein Problem mehr darstellen würden.