„Ich habe die Außentür geöffnet, Doktor“, schrie der Lieutenant, der die Lautstärke des Kommunikators aufgedreht hatte, damit er durch den von Khone veranstalteten Lärm zu hören war. „Ich öffne Ihre Riemen, jetzt! Laufen Sie nach draußen!“
„Ich befinde mich nicht in Gefahr“, rief Conway, aber seine Stimme wurde von dem ohrenbetäubenden Notsignal und den übermäßig verstärkten Ausrufen des Lieutenant verschluckt. Gelogen hatte er sowieso, denn als sich die Riemen geöffnet hatten, schwebte er sogar in furchtbarer Gefahr.
Er konnte sich wieder bewegen, war nicht mehr hilflos und stellte daher für Khone eine potentielle Bedrohung dar.
In dem Augenblick, bevor sich der Fühler zurückzog, wußte er zwar, daß ihn Khone nicht stechen wollte, doch bei einer reinen Reflexhandlung machte das überhaupt keinen Unterschied'. Während er sich verzweifelt auf den Boden rollte, spürte er in der Schulter den dumpfen Stich der stumpfen Stachelspitze. Als er wegzukriechen versuchte, hatte sich einer der Knöchel
in den Fußriemen verheddert, und ein weiterer Stich riß ihm den Overall auf und ritzte ihn am Oberschenkel. Erneut versuchte er, zur Außentür zu kriechen, aber erst bekam er einen Krampf im rechten Arm und dann im linken Bein. Zu keiner Bewegung fähig, fiel er auf die Seite und landete mit dem Gesicht zur durchsichtigen Trennwand auf dem Boden. Die beiden betroffenen Gliedmaßen schienen in hellen Flammen zu stehen.
Nun befiel der Krampf auch die Muskeln im Nacken und im Bereich des Schulterblatts, und das Feuer breitete sich vom Einstich in der Hüfte bis zu den Bauchmuskeln aus. Ängstlich fragte er sich, ob das Gift auch die nicht dem Willen unterworfenen Muskeln in Mitleidenschaft ziehen würde, insbesondere diejenigen, die zur Funktion von Herz und Lunge erforderlich waren. Sollte das der Fall sein, hatte er nicht mehr lange zu leben. Die Schmerzen waren dermaßen stark, daß ihn der Gedanke an den Tod nicht so sehr erschreckte, wie er es eigentlich erwartet hätte. Voller Verzweiflung versuchte er, sich etwas einfallen zu lassen, was er noch vor dem Ohnmächtigwerden tun könnte.
„Wainright…“, stammelte er mit schwacher Stimme.
Khones Notruf war leiser geworden, und die Ärztin hatte keinen weiteren Versuch unternommen, ihn zu stechen — offensichtlich stellte Conway keine Bedrohung mehr für sie dar. Etwa einen Meter von ihm entfernt stand die Gogleskanerin, deren Haar von den flach am Kopf anliegenden Stacheln hin- und herbewegt wurde. Sie sah wie ein harmloser bunter Heuhaufen aus. Conway versuchte es noch einmal.
„Wainright“, sagte er langsam und mit Mühe. „Die gelb-schwarze Phiole. Injizieren Sie mir den gesamten Inhalt.“
Aber der Lieutenant befand sich nicht mehr auf der anderen Seite der Trennwand, und die Verbindungstür war immer noch geschlossen. Vielleicht hatte Wainright vor, um das Gebäude herum zur Außentür zu eilen und Conway nach draußen zu ziehen, aber er schaffte es nicht mehr, sich herumzudrehen, um nachzusehen. Allmählich fiel es ihm schwer, überhaupt noch etwas zu sehen.
Bevor er ohnmächtig wurde, bemerkte er noch regelmäßige Helligkeitsschwankungen in der Beleuchtung, die ihn an etwas erinnerten. Eine große Energiebelastung, dachte er mit letzter Kraft, wie man sie braucht, um einen Funkspruch durch den Hyperraum zu senden.
9. Kapitel
Als er aus dem ungewohnten Blickwinkel des Patienten zu den Displays aufblickte und das angenehme Gefühl genoß, seine von den qualvollen Krämpfen befreiten Gliedmaßen in voller Länge ausgestreckt zu haben, gewann Conway den Eindruck, an jedes Meß- und Überwachungsgerät in der Anlage angeschlossen zu sein, das zur Verfügung stand. Er bewegte die Augen und erblickte Prilicla, der ihn von der Decke aus aufmerksam betrachtete, sowie Murchison und Naydrad, die auf der einen Seite am Bett standen und ebenfalls auf ihn heruntersahen. Zwischen ihnen befand sich ein auf einem langen, röhrenförmigen Stiel sitzendes großes Auge, das Danalta in derselben Absicht voll ausgefahren hatte.
Conway befeuchtete sich die Lippen und fragte: „Was ist denn passiert?“
„Das ist eigentlich erst die zweite Frage“, entgegnete Murchison. „Die erste lautet stets: Wo bin ich?“
„Ich weiß, wo ich bin, verdammt noch mal. Auf dem Unfalldeck der Rhabwar. Und warum bin ich immer noch an dieses Ding angeschlossen? Du kannst doch bestimmt sehen, daß die Biosensoren ein optimales Niveau aller Lebensfünktionen anzeigen. Was ich wissen will, ist, wie ich hierhergekommen bin.“
Die Pathologin atmete schwach durch die Nase aus. „Das Denken und das Gedächtnis sind offensichtlich nicht beeinträchtigt worden, und du, braust genauso leicht auf wie immer. Aber du mußt dich ausruhen. Die Wirkung des gogleskanischen Gifts ist zwar neutralisiert worden, aber trotz der Displayanzeigen bist du körperlich noch merklich erschöpft und könntest aufgrund eines schweren geistigen Traumas durchaus noch einen verspäteten Schock erleiden. Darum ist äußerste Ruhe angezeigt, und zwar wenigstens so lange, bis wir ins Hospital zurückgekehrt sind und dich dort einer gründlichen Gesamtüntersüchung unterzogen haben.
Und glaub bloß nicht, du könntest mir gegenüber den Chefarzt spielen,
nur um aus dem Bett zu kommen“, fuhr sie mit säuselnder Stimme fort, als Conway in genau dieser Absicht den Mund öffnete. „Diesmal bist du der Patient und nicht der Arzt, Doktor.“
„Dies ist ein guter Augenblick, um uns zurückzuziehen und es Ihnen zu ermöglichen, die Ruhe zu finden, die Sie brauchen, mein Freund“, warf Prilicla an dieser Stelle ein. „Wir sind alle sehr erleichtert und freuen uns, daß Sie sich auf dem Weg der Besserung befinden, und ich glaube, es wäre weniger anstrengend für Sie, wenn wir jetzt alle hinausgehen, damit Freundin Murchison Ihre Fragen allein beantworten kann.“
Der GLNO eilte an der Decke entlang auf den Eingang zu, Naydrad murmelte irgend etwas vor sich hin, das der Translator nicht übersetzte, und folgte dem Empathen. Danalta zog den Augenstiel ein, verfestigte sich zu einer dunkelgrünen, ungleichmäßigen Kugel und rollte hinterher. Schweigend und mit mehr Konzentration, als die Arbeit normalerweise verdiente, nahm Murchison dem Chefarzt die überflüssigen Biosensoren ab und schaltete die Monitore aus.
„Was ist denn nun passiert?“ fragte Conway leise. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: „Dieses Gift. Ich habe versucht, mich selbst zu verknoten. Wainright sollte mir das Muskelrelaxans injizieren, aber er war nicht da. Dann, glaube ich mich zu erinnern, wurde das Licht schwächer, und ich wußte, daß er den Hyperraumfünk benutzte. Aber ich habe nicht damit gerechnet, auf derRhabwar aufzuwachen.“
… oder überhaupt wieder aufzuwachen, fügte er in Gedanken hinzu.
Noch immer ohne ihn anzublicken, erklärte Murchison, daß das Ambulanzschiff gerade mit der kompletten Besatzung an Bord direkt außerhalb der Sprungdistanz zum Orbit Hospital neue Geräte getestet habe. Da ihnen die genauen Koordinaten von Goglesk bekannt gewesen seien, als der Hyperraumfunkspruch des Lieutenant einging, hätten sie mit startbereiter Landefähre in unmittelbarer Nähe des Planeten in den Normalraum eintreten können, und seien so in der Lage gewesen, Conway in etwas weniger als vier Stunden zu erreichen.
Als sie ihn gefunden hätten, habe er immer noch versucht, sich zu verknoten, doch seien die Muskelkrämpfe durch die Verabreichung einer starken Dosis des Relaxans DM82 wesentlich verringert worden. Dadurch hätten sich die Verkrampfungen in Grenzen gehalten, so daß er sich keine Knochen gebrochen oder irgendwelche Muskeln oder Sehnen gerissen habe. Er habe sehr großes Glück gehabt.
Conway nickte und entgegnete mit ernster Stimme: „Also hat es der Lieutenant tatsächlich noch geschafft, mit dem Muskelrelaxans rechtzeitig zu mir zu gelangen. Ich würde sagen, keine Sekunde zu spät.“
Murchison schüttelte den Kopf. „Es war die einheimische Gogleskanerin namens Khone, die dir das DM82 verabreicht hat. Nachdem sie dich um ein Haar umgebracht hätte, hat sie dir das Leben gerettet! Als wir dich von dort fortgeschafft haben, hat sie uns ständig von weitem gefragt, ob du auch wirklich wieder gesund wirst, und erst damit aufgehört, als die Einstiegsluke geschlossen war. Da hast du dir ja eine merkwürdige Freundin angelacht, Doktor.“