„Um mir diese Spritze zu geben, mußte sie sich psychisch ungeheuer anstrengen, vielleicht mehr, als ich es unter den gleichen Umständen gekonnt hätte“, merkte Conway an. „Wie nah ist sie denn an euch herangekommen, als ihr mich zur Landefähre gebracht habt?“
Murchison überlegte einen Augenblick lang und antwortete dann: „Als Lieutenant Haslam, der die Fähre geflogen hat, und ich von Wainright an der Schleuse empfangen wurden, hat sie sich uns bis auf etwa zwanzig Meter genähert. Als dann Naydrad, Prilicla und Danalta mit der Trage herausgekommen sind, wurde sie immer unruhiger und hat sich ungefähr auf die doppelte Entfernung zurückgezogen. Wainright hat uns erzählt, was zwischen dir und Khone alles vorgefallen ist. Natürlich haben wir nichts getan oder gesagt, was von ihr als feindlicher Akt ausgelegt werden konnte. Ehrlich gesagt hätte ich ihr für das, was sie dir angetan hat, trotzdem gerne einen Tritt in das Körperteil gegeben, wo sich bei ihr der Musculus glutaeus maximus befindet. Vielleicht hat sie einfach Angst vor der Strafe gehabt.“
„So gut, wie ich Khones Gefühle kenne, hätte sie die Strafe gerne auf sich genommen“, erwiderte Conway mit ernster Miene. Erneut atmete Murchison durch die Nase aus und setzte sich auf die Bettkante, wobei sie sich Conway mit dem Gesicht zuwandte und sich mit den Händen auf der Decke neben seinen Schultern abstützte. Auf ihrem Gesicht war nun auch nichts mehr von der kühlen Sachlichkeit zu sehen, und mit zittriger Stimme sagte sie: „Verdammt, Doktor, du hast dich beinahe umgebracht.“
Plötzlich hatten sich ihre Arme um ihn geschlungen, und ihr Gesicht befand sich nah an seinem. Ohne zu überlegen, zog Conway schnell den Kopf weg. Mit einem überraschten Blick richtete sich Murchison auf.
„Ich. ich bin heute nicht ganz auf dem Posten“, entschuldigte er sich. Wiederum ohne nachzudenken, hatte er sich der stehenden Redewendung bedient, die am Orbit Hospital die annehmbare Entschuldigung für merkwürdiges oder uncharakteristisches Verhalten darstellte.
„Du meinst, daß du ein Schulungsband im Kopf gespeichert hast und dich O'Mara nach Goglesk geschickt hat, ohne es zu löschen?“ fauchte Murchison ihn wütend an. „Was ist es denn, ein Tralthaner, ein Melfaner? Ich weiß, beide Spezies finden den Körper einer terrestrischen Frau alles andere als begehrenswert. Oder bist du freiwillig mit einem Schulungsband im Kopf in den Urlaub gegangen? Toller Urlaub!“
Conway schüttelte den Kopf. „Es ist kein Physiologieband, und O'Mara hat nichts damit zu tun. Ich hatte mit Khone einen sehr engen und ziemlich intensiven telepathischen Kontakt. Das ist ganz unvermutet passiert, ein Unfall, aber die gogleskanische FOKT-Klassiffkation besitzt einige außergewöhnliche Verhaltensmerkmale, und dazu gehört auch.“
Bevor sich Conway zurückhalten konnte, beschrieb er schon die Gesamtsituation auf Goglesk und seine Erlebnisse mit Khone und vor allem mit dem Gruppenwesen, das eine ganze Stadt zerstört hatte. Als eine der führenden Pathologinnen des Hospitals, über der nur noch der große Thornnastor höchstpersönlich stand, hätte diese Schilderung eigentlich Murchisons fachliches Interesse erregen müssen. Das sollte zwar auch noch kommen, doch in diesem Moment war deutlich zu erkennen, daß sie an nichts anderes dachte als an den Zustand, in dem sie Conway noch ein paar Stunden zuvor vorgefunden hatte.
„Der für mich wichtige Punkt ist, daß du niemanden an dich heranlassen willst, sofern er nicht wie ein bunter Heuhaufen aussieht“, sagte sie und versuchte dabei zu lächeln. „Als Entschuldigung ist das allemal besser als K opfschmerzen.“
Conway erwiderte das Lächeln. „Das stimmt überhaupt nicht. Körperkontakt kann jederzeit hergestellt werden, ohne einen Zusammenschluß herbeizuführen, vorausgesetzt, es steckt eine Absicht dahinter, die etwas mit Fortpflanzung zu tun hat.“ Mit der einen Hand griff er nach oben und zog Murchisons Gesicht mit sanftem Druck seiner Handfläche auf ihren Nacken zu sich herunter. „Möchtest du den letzten Satz noch mal hören?“
„Du bist äußerst geschwächt“, gab sie mit einem erleichterten Blick zu bedenken und versuchte, den Kopf unter seiner Hand herauszuziehen, wobei sie sich allerdings nicht sonderlich bemühte. Conway spreizte die Finger in ihrem Haar und ließ auch nicht los, als ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Du bringst mir noch die ganze Frisur durcheinander“, hauchte sie ihm ins Ohr.
Conway schob ihr die andere Hand um die Hüfte. „Keine Angst. Dadurch bekommst du viel mehr Ähnlichkeit mit einem begehrenswerten Heuhaufen…“
Er hatte keinerlei Beschwerden und fühlte sich auch nicht besonders geschwächt, aber auf einmal zitterte er, als ihn der verspätete Schock von dem Zwischenfall mit Khone überkam. Plötzlich erinnerte er sich an die qualvollen Muskelkrämpfe, und erst jetzt wurde ihm bewußt, wie nah er dem Tod gewesen war. Murchison hielt ihn fest, bis das Zittern aufgehört hatte, und auch noch eine lange Zeit danach.
Daß sich der sanfte und verständnisvolle Prilicla in seiner Unterkunft zwei Decks über ihnen über die emotionale Ausstrahlung jedes Lebewesens auf dem Schiff im klaren war, wußten sie beide. Der Empath würde schon dafür sorgen, daß sie niemand störte, bis diese Art der Heilbehandlung abgeschlossen war.
Zehn Stunden später — die Rhabwar hatte es nicht nötig gehabt, auf dem Rückfug irgendwelche Rekorde zu brechen — dockte das Ambulanzschiff an der Unfallaufnahmeschleuse auf Ebene einhundertdrei an. Oberschwester Naydrad, die es mit den Bestimmungen manchmal geradezu fanatisch genau nahm, bestand darauf, Conway mit der Trage auf die Beobachtungsstation zu bringen. Conway beharrte seinerseits genauso nachdrücklich darauf, wenigstens das Verdeck zurückzuschieben und beim Transport aufrecht zu sitzen, um die terrestrischen und extraterrestrischen Kollegen zu beruhigen, die in der Einlaßschleuse warteten und sich beunruhigt nach seinem Zustand erkundigten. Murchison hatte ihn verlassen, um Thornnastor Bericht zu erstatten, und Prilicla war vorausgegangen, um den etwas ungestümen Emotionen zu entgehen, die um Conways Trage herum ausgestrahlt wurden.
Doch auf der Beobachtungsstation brauchten der leitende Arzt und sein Stab weniger als eine Stunde, um die Untersuchung abzuschließen und Conways Selbstdiagnose zu bestätigen, daß er körperlich in jeder Hinsicht in guter Verfassung war.
Wiederum eine Stunde später befand sich Conway im Büro von Major O'Mara, der sich um die körperliche Verfassung des Chefarztes keine übermäßigen Sorgen machte.
„Das ist nicht der übliche Eindruck, den die Schulungsbänder hervorrufen“, sagte der Chefpsychologe, als Conway seine Erlebnisse mit Khone beschrieben hatte. „Normalerweise sind auf einem Schulungsband ja sämtliche Gehirnströme desjenigen Wesens aufgezeichnet, von dem es zur Verfügung gestellt worden ist, und trotz der psychologischen Streiche, die demjenigen gespielt werden, der das Band im Kopf gespeichert hat, ist die Persönlichkeit auf dem Band völlig von der des Empfängers getrennt. Die Aufnahme kann nicht verändert werden. Darum ist es möglich, das Band ohne schädliche Auswirkungen auf die Persönlichkeit oder die Geistesverfassung des Empfängers wieder aus dessen Kopf zu löschen. Doch zwischen Ihnen und dieser Khone hat ein vollständiger Austausch stattgefunden, und das bedeutet, Sie haben einen ganz schönen Schwall an Erinnerungen, Gefühlen und Denkprozessen in den kargen Nährboden Ihres Verstands aufgenommen, und die bedauernswerte Khone — Gott stehe ihrer geistigen Gesundheit bei! — hat wiederum einen ziemlich großen Teil Ihrer Welt abbekommen. Sowohl Ihr als auch Khones Verstand war sich des Vorgangs bewußt und wurde durch ihn verändert. Aus diesem Grund sehe ich keine Möglichkeit, bei Ihnen gezielt die gogleskanischen Eindrücke zu entfernen, ohne Schäden an Ihrer Persönlichkeit zu riskieren, so geschädigt diese bereits auch sein mag. Psychologisch gesehen hat, von beiden Gehirnen ausgehend, eine gegenseitige Beeinflussung stattgefunden.