„Sehr gut, Doktor!“ Aber bevor Conway den Tralthaner nach dessen Namen fragen konnte, schwang die Einlaßschleuse der Station auf, und ein großes, kugelförmiges Fahrzeug auf Raupenketten rollte herein. Die Kugel war in der Waagerechten von etlichen Sensor- und Greifvorrichtungen umgeben und trug an einer sofort ins Auge fallenden Stelle auf der oberen Vorderfläche das Kennzeichen eines Diagnostikers. Conway deutete statt dessen also auf das Fahrzeug und fragte: „Kann jemand von Ihnen auch diesen Insassen klassifizieren?“
Diesmal meldete sich als erster einer der Kelgianer zu Wort.
„Nur durch Rückschlüsse und logische Ableitungen, Chefarzt Conway“, antwortete er, während ihm von der Nase bis zum Schwanz gleichmäßige Wellen über das Fell liefen. „Augenscheinlich handelt es sich bei der Kugel um ein Druckfahrzeug mit Eigenantrieb, das, nach der an der Kugel sichtbaren Außenversteifung zu urteilen, sowohl die Patienten und das medizinische Personal der Station als auch den Insassen selbst schützen soll. Die Fortbewegungsorgane, wenn der Insasse welche hat, sind durch die Druckhülle verborgen, und ich würde sagen, die Zahl der äußeren Sensor- und Greifvorrichtungen ist so groß, daß der Insasse aller Wahrscheinlichkeit nach nur wenige eigene Greif- und Sinnesorgane besitzt und die Außenvorrichtungen je nach Bedarf bedient. Da ich die Wanddicke des Druckfahrzeugs nicht kenne, verfüge ich über keinerlei genaue Informationen über die Größe und die Körpergestalt des Insassen.“
Der Kelgianer hielt kurz inne und lehnte sich auf seine hintersten Beine zurück, wobei er wie ein dickes, pelziges Fragezeichen aussah. Über seinen Rücken und die Flanken zogen weiterhin kleine silbrige Wellen, während das Fell seiner drei kelgianischen Studienkollegen wahllos zuckte, kleine Büschel bildete und sich wieder legte, als ob auf der Zuschauergalerie ein starker Wind bliese.
Die übrigen Gruppenmitglieder schienen von einer Unruhe befallen zu werden, die einer leichten Aufregung glich. Die Tralthaner hoben und senkten der Reihe nach die stämmigen, elefantenartigen Beine. Das ständige Klackern und Scharren stammte von den Melfanern, die mit ihren krabbenähnlichen Beinen auf den Boden pochten, während in den dunklen, behaarten Gesichtern der Orligianer die weißen Zähne schimmerten, wobei Conway hoffte, daß letztere Wesen nur lächelten.
„Mir sind nur zwei Lebensformen bekannt, die ein derartiges Druckfahrzeug benutzen“, fuhr der Kelgianer fort. „Von den benötigten Umweltbedingungen und der Physiologie her unterscheiden sie sich grundlegend, und von den gewöhnlicheren Sauerstoff- und chloratmenden Spezies würden sie in den exotischeren Kategorien eingeordnet werden. Bei der einen handelt es sich um einen kaltblütigen Methanatmer, der sich bei einer Umgebungstemperatur von nur wenigen Graden über dem absoluten Nullpunkt am wohlsten fühlt, da er sich auf einem der unter ständiger Dunkelheit liegenden Planeten entwickelt hat, die sich von ihrem ursprünglichen Sonnensystem getrennt haben und einsam durch den interstellaren Raum treiben.
Die Körpergröße der Methanatmer ist sehr gering“, setzte der Kelgianer seine Erklärungen fort, „und weist ungefähr ein Drittel der Körpergröße meiner Spezies auf Doch die große Kälte erzeugenden Lebenserhaltungsund Sinnesübertragungssysteme, die diese Wesen beim Kontakt mit fremden Spezies tragen müssen, sind riesengroß und kompliziert und müssen häufig wiederaufgeladen werden.“
Das ist jetzt schon der dritte, der sich so gut auskennt! dachte Conway und blickte sich nach dem Tralthaner um, der die DBLF im Schutzanzug richtig bestimmt hatte, und nach Danalta, dem melfanischen Studenten, der zuvor den FROB klassifiziert hatte, um die Reaktionen der beiden auf den äußerst gut unterrichteten Kelgianer zu beobachten — doch die Gruppenmitglieder liefen so wild durcheinander, daß er nicht genau sagen konnte, bei wem es sich um wen handelte. Gleich nachdem er an der Personaleinlaßschleuse des Hospitals die Leitung der Gruppe übernommen hatte, war ihm aufgefallen, daß an ihr irgend etwas ungewöhnlich war.
„…die zweite Lebensform lebt auf einem feuchten Planeten mit hoher Schwerkraft, der in sehr geringem Abstand um seine Sonne kreist“, fuhr der Kelgianer unbeirrt fort. „Diese Spezies atmet heißen Dampf und besitzt einen recht interessanten Metabolismus, über den ich allerdings nur lückenhaft informiert bin. Auch bei ihr handelt es sich um eine kleine Lebensform, und die enorme Größe der Druckhülle erklärt sich aus der für das Wohlergehen des Insassen unumgänglichen Installation von Heizgeräten sowie von Kühlaggregaten und einer Oberflächenisolierung, damit andere Lebewesen in unmittelbarer Nähe des Gefährts überleben können.
Die Luft auf der Hudlarer-Station ist warm und hat einen hohen Feuchtigkeitsgehalt. Die von einem methanatmenden SNLU benötigte niedrige Innentemperatur würde unabhängig von der Wirksamkeit der Isolierung in einem gewissen Maß bis zur Außenhaut des Druckfahrzeugs geleitet werden, auf der dann kondensiertes Wasser zu sehen wäre. Da dies nicht der Fall ist, enthält das Fahrzeug höchstwahrscheinlich einen Vertreter der unter hohen Temperaturen lebenden Spezies, von der es hier im Hospital einen Diagnostiker geben soll.
Diese Bestimmung ist zwar nur das Ergebnis von logischen Folgerungen, Vermutungen und einem gewissen Grad an Vorwissen, Chefarzt Conway“, schloß der Kelgianer seine Ausführungen, „aber trotzdem würde ich den Fahrzeuginsassen der physiologischen Klassifikation TLTU zuordnen.“
Conway betrachtete eingehend die langsamen, gleichmäßigen Fellbewegungen des außerordentlich gut unterrichteten und ungewöhnlich sachlichen DBLF und warf dann einen Blick auf den aufgewühlten Pelz der kelgianischen Studienkollegen. Da ihm die Gedanken mit Höchstgeschwindigkeit durch den Kopf schossen und nur wenige davon zum Aussprechen geeignet waren, sagte Conway langsam: „Die Antwort ist richtig, ganz gleich, wie Sie zu ihr gelangt sind.“
Er dachte über die DBLF-Klassifkation und insbesondere über ihr ausdrucksfähiges Fell nach. Aufgrund der unzulänglichen Anatomie der kelgianischen Sprechorgane wies die gesprochene Sprache dieser DBLFs keine Intonation und Akzentuierung und damit keinerlei emotionale Ausdrucksfähigkeit auf Doch das wurde durch das äußerst bewegliche Fell ausgeglichen, das die Empfindungen des Sprechers, zumindest für einen zweiten Kelgianer, vollständig, aber auch unwillkürlich widerspiegelte. Deshalb waren diesen Wesen Begriffe wie Lüge, Diplomatie, Taktgefühl oder gar Höflichkeit vollkommen fremd. Ein DBLF sagte genau das, was er meinte oder fühlte, da das Fell ständig seine Empfindungen verriet und es einfach dumm gewesen wäre, sich anders zu verhalten.
Auch über die melfanischen ELNTs und ihren Fortpflanzungsmechanismus, der die Geburt von Zwillingen ausschloß, und über die Wortwahl der freiwillig von Danalta und den anderen beiden Studenten gegebenen Antworten machte sich Conway Gedanken, insbesondere über die des Kelgianers, der zu verstehen gegeben hatte, daß die TLTU-Lebensform nicht besonders exotisch sei. Von dem Moment ihres Eintreffens an hatte Conway gespürt, daß an der Gruppe etwas ausgesprochen Ungewöhnliches war. Er hätte sich auf seinen Spürsinn verlassen sollen.
Dann erinnerte er sich an den ersten Anblick der Neuankömmlinge zurück und hielt sich vor Augen, wie sie seither zu verschiedenen Zeitpunkten ausgesehen und sich verhalten hatten; insbesondere dachte er an ihre Nervosität und daran, daß von ihnen praktisch keine allgemeinen Fragen zum Orbit Hospital gestellt worden waren. War etwa irgendeine Art Verschwörung im Gange? Ohne sich zu auffällig zu verhalten, musterte er der Reihe nach jeden einzelnen Studenten.
Vier kelgianische DBLFs, zwei duwetzische EGCLs, drei tralthanische FGLIs, drei melfanische ELNTs und zwei orligianische DBDGs — insgesamt also vierzehn Studenten.