Der Korridor vor O'Maras Büro zählte zu den belebtesten im gesamten Hospital. Zu den verschiedensten physiologischen Klassifikationen gehörende Mitglieder des Arzt- und Wartungspersonals gingen, krochen, fuhren oder schlängelten sich in beiden Richtungen vorbei. Da sie Conways Diagnostikerarmbinde sahen und — in seinem Fall zu Recht — bei ihm von einem gewissen Maß an geistiger Verwirrung und fehlender körperlicher Koordination ausgingen, machten sie um ihn einen so großen Bogen wie möglich. Selbst der TLTU, der in einer auf schweren Raupenketten montierten Druckkugel saß, fuhr mit mehr als einem Meter Abstand an ihm vorbei.
Kurz darauf kam ihm ein tralthanischer Chefarzt entgegen, den Conway zwar kannte, der seinen Gehirnpartnern aber kein Begriff war, was seine Reaktionszeit erheblich verlangsamte. Als er den Kopf wandte, um den Gruß des Tralthaners zu erwidern, wurde ihm plötzlich schwindlig, weil der Hudlarer und der Melfaner in seinem Gehirn Lebensformen waren, deren Kopf sich nicht drehen ließ. Unwillkürlich streckte er den Arm aus, um sich an der Korridorwand abzustützen. Doch statt des harten, spitz zulaufenden Tentakels eines Hudlarers oder der glänzenden schwarzen Zange eines Melfaners handelte es sich bei der Gliedmaße, mit der er sich abstützte, um einen schlaffen rosa Gegenstand mit fünf stummeligen Fingern. Als er sich sowohl seelisch als auch körperlich wieder gefangen hatte, wurde er eines terrestrischen DBDG im Grün des Monitorkorps gewahr, der geduldig darauf wartete, von ihm bemerkt zu werden.
„Sie haben nach mir gesucht, Lieutenant?“ fragte Conway.
„Schon seit ein paar Stunden“, antwortete der Offizier. „Aber Sie haben sich beim Chefpsychologen Bänder einspeisen lassen und durften nicht gestört werden.“
Conway nickte. „Worum geht es denn?“
„Es gibt Schwierigkeiten mit dem Beschützer“, erwiderte der Lieutenant und fuhr schnell fort: „Der Bewegungsraum, wie wir ihn jetzt nennen, obwohl er immer noch eher wie eine Folterkammer aussieht, bekommt zu wenig Energie. Um ihn an die Hauptleitung anzuschließen, die diesen Abschnitt mit Energie versorgt, müßten wir durch vier Ebenen hindurch, von denen nur eine mit warmblütigen Sauerstoffatmern belegt ist. Da wir Vorkehrungen gegen Verseuchungen der verschiedenen Atmosphären treffen müßten, insbesondere was die illensanischen Chloratmer betrifft, wären die Umbauten in den übrigen drei Ebenen äußerst zeitaufwendig. Als Lösung käme eine kleinere Energiequelle in Frage, die im Bewegungsraum installiert werden müßte. Aber falls sich der Beschützer befreit, hält möglicherweise die Abschirmung des Energieaggregats nicht stand, und in dem Fall müßten wegen der Strahlungsgefahr fünf Ebenen — über und unter dem Raum — evakuiert werden, und noch viel zeitraubender wäre die anschließende Reinigung der.“
„Der Raum liegt nahe an der Außenhaut“, unterbrach ihn Conway, der das Gefühl nicht loswerden konnte, daß gerade in diesem Moment eine Menge Zeit damit vergeudet wurde, einen Arzt um Rat in rein technischen Fragen zu bitten, die obendrein auch noch ziemlich einfach waren. „Sie können doch bestimmt einen kleinen Reaktor an der Außenhaut anbringen, wo er vor dem Beschützer sicher ist, und dann eine Leitung nach innen.“ „Das ist die Lösung, auf die ich auch schon gekommen war“, schnitt ihm der Lieutenant das Wort ab, „was allerdings weitere Probleme aufwerfen würde, die nicht soviel mit Technik, sondern eher mit der Verwaltung zu tun haben. Es gibt nämlich haargenaue Bestimmungen, welche Konstruktionen auf der Außenhaut angebracht werden dürfen und welche nicht, und durch einen Reaktor an einer Stelle, wo sich noch nie einer befunden hat, könnten Änderungen an den Regelungen des Hospitals für den Flugverkehr erforderlich werden. Kurz gesagt, es findet ein ziemlich wilder Papierkrieg statt, den ich gewinnen kann, wenn ich mir die Zeit dafür nehme und alle Beteiligten nett und in dreifacher Ausfertigung um die Genehmigung bitte. Aber Sie, Doktor, könnten denen angesichts der Dringlichkeit Ihres Projekts einfach sagen, was Sie brauchen.“
Einen Moment lang schwieg Conway. Er erinnerte sich an die Bemerkungen des Chefpsychologen vor der Speicherung der Bänder, kurz bevor die Betäubung zu wirken begonnen hatte. „Jetzt verfügen Sie über den höchsten Rang im Hospital, Conway, obwohl sich dieser Zustand bei Ihnen womöglich nur als ein vorübergehender Zustand herausstellen könnte“, hatte O'Mara ihm mit einem säuerlichen Lächeln gesagt. „Gehen Sie und gebrauchen Sie ihn. Mißbrauchen Sie ihn sogar, wenn Sie wollen. Zeigen Sie mir einfach, ob Sie was damit anfangen können.“
Um den Ton eines Diagnostikers bemüht, dem niemand im Hospital etwas abschlagen würde, entgegnete Conway: „Ich verstehe, Lieutenant. Ich bin zwar auf dem Weg in die hudlarische Geriatrie, aber ich werde diese Angelegenheit am ersten Kommunikator regeln, an dem ich vorbeikomme. Haben Sie noch ein anderes Problem?“
„Klar habe ich Probleme“, antwortete der Lieutenant. „Jedesmal, wenn Sie einen neuen Patienten ins Hospital einliefern, bekommt die gesamte Wartungsabteilung Magengeschwüre! Frei schwebende Brontosaurier, rollende Dramboner, und jetzt einen Patienten, der noch nicht einmal geboren ist und in einem, einem Berserker steckt!“
Überrascht blickte Conway seinen Gesprächspartner an. Normalerweise verhielten sich Offiziere des Monitorkorps in Fragen der Disziplin und des Respekts sowohl gegenüber militärischen als auch medizinischen Vorgesetzten tadellos. „Magengeschwüre können wir ohne Probleme heilen“, erwiderte er trocken.
„Sie müssen schon entschuldigen, Doktor“, sagte der Lieutenant kleinlaut, „aber in den letzten zwei Jahren bin ich Leiter einer Arbeitsgruppe von Kelgianern gewesen und habe völlig vergessen, was Höflichkeit bedeutet.“
„Aha.“ Conway lachte. Da er selbst gerade ein Kelgianerband im Kopf gespeichert hatte, besaß der Lieutenant sein Mitgefühl. „Bei dem Problem kann ich Ihnen nicht helfen. Haben Sie noch weitere?“
„Oh, ja“, antwortete der Lieutenant. „Die sind zwar unlösbar, aber auch unwichtig. Die beiden Hudlarer haben immer noch etwas dagegen, den Beschützer ununterbrochen zu schlagen. Ich habe O'Mara eindringlich darum gebeten, jemand anderen für diese Arbeit zu finden, jemanden, der psychisch weniger darunter leidet. Daraufhin hat mir der Chefpsychologe geantwortet, er würde sich sofort zur Ruhe setzen, falls jemand, der gegenwärtig am Hospital arbeite, seiner Überprüfung entgangen sein sollte. Deshalb habe ich jetzt diese Hudlarer und ihre verdammte Musik am Hals, bis die neue Unterkunft fertig ist.
Die beiden beteuern, die Musik helfe ihnen dabei, sie von ihrer Arbeit abzulenken, aber haben Sie schon mal ununterbrochen, tagaus, tagein, hudlarische Musik gehört?“
Conway gab zu, bisher noch keine derartige Erfahrung gemacht zu haben, und für den Weg durch die neblig gelben Ebenen der illensanischen Chloratmer und die wassergefüllten Stationen der Meeresbewohner von Chalderescol, die zwischen ihm und den hudlarischen Stationen lagen, stieg er in einen der leichten Anzüge. Obwohl er solche Ausrüstungsgegenstände des Hospitals schon einige tausendmal angelegt hatte und mit geschlossenen Augen dazu in der Lage war, überprüfte er sämtliche Verschlüsse zweimal und las sich mehrmals die Checkliste durch. Aber in diesem Moment war er nicht ganz er selbst, und nach den Vorschriften mußten alle Mitglieder des medizinischen Personals, die ein Schulungsband im Kopf gespeichert hatten und deshalb unter einem gewissen Maß an geistiger Verwirrung litten, die Checkliste mit größter Aufmerksamkeit durchgehen.
Der Lieutenant stand noch immer geduldig neben ihm.
„Gibt's noch was?“ fragte Conway.
Der Offizier nickte. „Nur noch etwas ziemlich Leichtes, Doktor. Hardin, der leitende Ernährungsspezialist, möchte gern die Zusammensetzung der Nahrung für den Beschützer wissen. Wie er sagt, könne er zwar eine synthetische Masse herstellen, die in jeder Hinsicht auf die Ernährungsbedürfnisse des Beschützers zugeschnitten ist, aber bei der Nahrungsaufnahme gäbe es einen psychologischen Aspekt zu berücksichtigen, der für das allgemeine Wohlbefinden dieses speziellen Patienten von Bedeutung sein könnte. Sie hätten mit einem von ihnen in kurzem telepathischen Kontakt gestanden und verfügten deshalb zu diesem Thema über Informationen aus erster Hand. Hardin möchte gerne Ihren Rat hören.“