Nervös blickte er zu O'Mara hinüber — dem einzigen außer ihm sonst noch anwesenden Nichtdiagnostiker —, der neben dem riesigen Thornnastor zur einen Seite und der Kälte ausstrahlenden kugelförmigen Druckhülle von Semlic zu anderen, dem methanatmenden SNLU-Diagnostiker von den kalten Ebenen, geradezu winzig wirkte. Der Chefpsychologe erwiderte Conways Blick mit einem ausdruckslosen Starren. Genausowenig waren auch die Gesichtszüge der Diagnostiker zu entschlüsseln, die auf den für ihre körperliche Bequemlichkeit gebauten Möbeln im Raum verteilt saßen, kauerten, von ihnen herabhingen oder sie sonstwie belegten, obwohl mehrere von ihnen Conway neugierig musterten.
Ergandhir, einer der anwesenden melfanischen ELNTs, ergriff als erster das Wort. „Gibt es, bevor wir uns über die Unfallopfer aus dem Meneldensystem unterhalten, die bei uns eingewiesen worden sind und deren Behandlung von größter Dringlichkeit ist, weniger eilige Angelegenheiten, die einer allgemeinen Diskussion und einer Anleitung bedürfen? Conway, Sie müssen doch als das neueste Mitglied unseres Clubs der freiwillig Verrückten auf das eine oder andere Problem gestoßen sein, nicht wahr?“
„Und ob, auf einige sogar“, bestätigte Conway und fügte zögernd hinzu: „Im Moment handelt es sich dabei eher um technische Schwierigkeiten, um Dinge also, die zur Zeit außerhalb meines Bereichs liegen, oder um vollkommen unlösbare Probleme.“
„Bitte erläutern Sie das etwas genauer“, forderte ihn ein unbekannter Diagnostiker vom anderen Ende des Raums auf. Das konnte einer von den Kelgianern gewesen sein, deren Sprechöffinungen sich während eines Gesprächs kaum bewegten. „Es ist zu hoffen, daß all diese Probleme nur vorübergehend unlösbar sind.“
Einen Augenblick lang fühlte sich Conway wieder wie ein Assistenzarzt, der von einem ranghöheren Lehrer wegen unlogischen und gefühlsbetonten Denkens gerügt wird, und diese Kritik war wohlverdient. Er mußte sich wieder in den Griff bekommen und anfangen, mit all seinen fünf Gehirnen folgerichtig und logisch zu denken.
Klar und deutlich sagte er: „Die technischen Schwierigkeiten ergeben sich aus der Notwendigkeit, geeignete Umweltbedingungen und Behandlungseinrichtungen für den Beschützer des Ungeborenen bereitzustellen, bevor das Junge zur Welt kommt und.“
„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Conway“, fiel ihm Semlic ins Wort, „aber es ist unwahrscheinlich, daß wir Ihnen bei diesem Problem direkt helfen können. Bei der Bergung des Wesens aus seinem Schiff waren Sie behilflich, mit dem intelligenten Embryo standen Sie in kurzer telepathischer Verbindung, und deshalb sind Sie das einzige Lebewesen, das über ausreichende Kenntnisse aus erster Hand verfügt, um dieses Problem zu lösen. Vielleicht darf ich Ihnen — bei allem Mitleid — sagen, daß Sie dieses Problem gern für sich behalten können.“
„Obwohl ich nicht imstande bin, Ihnen direkt zu helfen“, mischte sich Ergandhir ein, „kann ich Ihnen Informationen über die Physiologie und das Verhalten einer ähnlichen melfanischen Lebensform zur Verfügung stellen, die wie der junge Beschützer voll entwickelt und verteidigungsfähig geboren wird. Die Mutter gebärt nur einmal im Leben, und zwar stets vier Junge. Diese Jungen greifen die Mutter an und versuchen, sie zu fressen, doch gewöhnlich gelingt es der Mutter, sich ausreichend zu verteidigen, und wenn schon nicht, um selbst zu überleben, dann wenigstens so, um noch ein oder zwei ihrer Nachkommen zu töten, die sich hin und wieder gegenseitig umzubringen versuchen. Wäre das anders, hätten sie meinen Planeten längst überschwemmt. Die Spezies ist nicht vernunftbegabt.“
„Dem Himmel sei Dank“, murmelte O'Mara dazwischen.
„….. und wird es höchstwahrscheinlich auch nie werden“, fuhr Ergandhir fort. „Ich habe Ihre Berichte über den Beschützer mit großem Interesse gelesen, Conway, und würde mich freuen, dieses Thema mit Ihnen zu erörtern, falls Sie das für hilfreich halten. Aber Sie haben noch von weiteren Problemen gesprochen.“
Conway nickte, während die melfanischen Kenntnisse in seinem Gehirn mit Bildern der kleinen, eidechsenähnlichen Tiere an die Oberfläche kamen, die die Nahrungsanbaugebiete auf Melf befielen und den umfangreichsten und ausgeklügeltsten Ausrottungsbemühungen zum Trotz überlebt hatten. Die Parallelen zwischen diesen Tieren und den Beschützern erkannte er, und er wollte sich auf jeden Fall mit dem melfanischen Diagnostiker darüber unterhalten, sowie sich eine Gelegenheit dazu ergeben sollte.
„Das anscheinend unlösbare Problem ist Goglesk“ fuhr er fort. „Dabei handelt es sich eigentlich nicht um ein dringendes Problem, außer für mich selbst, weil es eine persönliche Verwicklung mit dem Fall gibt. Deshalb sollte ich Ihre kostbare Zeit lieber nicht länger in Anspruch nehmen, nur um.“
„Ich war mir gar nicht bewußt, daß ein gogleskanisches Band überhaupt zur Verfügung steht“, bemerkte einer der beiden anwesenden illensanischen PVSJs und zuckte dabei unruhig in seinem Chloranzug.
Für einen Moment hatte Conway ganz vergessen, daß der Ausdruck persönliche Verwicklung zu jenen Redewendungen gehörte, mit denen sich Diagnostiker und Chefärzte mit einem Band im Kopf darüber in Kenntnis setzten, daß sie die Gedächtnisaufzeichnung eines Mitglieds der zur Debatte stehenden Spezies im Kopf gespeichert hatten. Bevor er antworten konnte, ergriff O'Mara schnell das Wort.
„Ein derartiges Band ist nicht vorhanden“, sagte er. „Die Gedächtnisübertragung ist versehentlich und unfreiwillig erfolgt, als Conway zu Besuch auf dem Planeten war. Vielleicht möchte er die Einzelheiten zu einem späteren Zeitpunkt mit Ihnen erörtern, aber ich kann ihm nur zustimmen, daß eine solche Diskussion im Moment zeitraubend und ergebnislos wäre.“
Alle Anwesenden starrten Conway an, aber es war Semlic, der ihm die Frage als erster stellte, nachdem er die Linsen der Außenkamera seiner Druckkugel gewechselt hatte, um ihn in stärkerer Vergrößerung zu sehen.
„Soll ich das etwa so verstehen, daß Sie eine Gedächtnisaufzeichnung im Kopf haben, die nicht gelöscht werden kann, Conway?“ erkundigte er sich. „Für mich ist das eine äußerst beunruhigende Vorstellung. Mir selbst bereitet mein überfülltes Gehirn schweren Kummer, und ich habe schon ernsthaft erwogen, durch die drastische Reduzierung von Bändern im Kopf lieber wieder den Rang eines Chefarzts einzunehmen. Doch meine Alter ego sind lediglich Gäste, die jederzeit zum Verschwinden gezwungen werden können, falls ihre Gegenwart unerträglich werden sollte. Aber eine Gedächtnisaufzeichnung, die sich im Kopf häuslich niedergelassen hat und nicht gelöscht werden kann, ist mehr als genug. Keiner der hier anwesenden Kollegen hätte eine weniger hohe Meinung von Ihnen, wenn Sie sich zu dem Schritt entschließen würden, den ich bereits für mich in Erwägung ziehe, nämlich sich die anderen Bänder aus dem Kopf löschen zu lassen.“
„Das behauptet Semlic schon seit sechzehn Jahren von sich, und zwar alle paar Tage“, warf O'Mara mit ausgeschaltetem Translator ein, so daß nur Conway ihn verstehen konnte. „Trotzdem hat er recht. Wenn die gogleskanischen Erinnerungen den anderen entgegenwirken und Sie deshalb ernsthafte Schwierigkeiten haben, lassen Sie die Bänder lieber löschen. Das würde Ihnen keine Schande machen und Ihnen zumindest von den anderen hier Anwesenden nicht als Charakterschwäche ausgelegt werden — und wäre im Grunde sogar vernünftig. andererseits kann man Sie wirklich nicht gerade als vernünftig bezeichnen.“
„…und unter den Gästen in meinem Gehirn“, sagte Semlic gerade, als Conway seine Aufmerksamkeit wieder dem SNLU zuwandte, „befinden sich einige Wesen, die ein. nun, ich möchte mal sagen, sehr interessantes und unorthodoxes Leben geführt haben. Mit all diesen nichtmedizinischen Erfahrungen, über die ich verfüge, könnte ich Ihnen vielleicht sogar Ratschläge geben, falls Sie auf persönliche Schwierigkeiten mit Pathologin Murchison stoßen sollten.“