„Ich sehe keinen Grund, warum man das nicht tun sollte“, entgegnete Thornnastor und richtete auf ihn ein zweites Auge. „Diese Angelegenheit ist zweifellos von grundlegendem Interesse und wäre für Kollegen, die vor ähnlichen Problemen gestanden haben oder demnächst stehen, bestimmt aufschlußreich. Manchmal sind Ihre Reaktionen nur schwer zu verstehen, Conway.“
Der Diagnostiker auf Probe blickte Murchison zornig an, die, wie er meinte, mit ihrem Chef viel zu offen über ihre grundlegend interessanten Probleme gesprochen hatte.
Doch warf sie ihm lediglich ein liebliches Lächeln zurück und sagte dann zu Thornnastor: „Sie müssen ihn entschuldigen, Sir. Ich glaube, er hat Hunger, und Hunger wirkt sich sowohl auf sein Bewußtsein als auch auf seinen Blutzuckerspiegel aus, wodurch er sich manchmal ein wenig unlogisch verhält.“
„Ah ja, auf mich hat Hunger die gleiche Wirkung“, pflichtete ihr der Tralthaner verständnisvoll bei und richtete das Auge wieder auf den Teller.
Murchison bestellte über die Tastatur bereits ein Sandwich, daß für sämtliche Gehirnpartner Conways optisch annehmbar war.
„Bestell bitte gleich drei davon“, bat Conway sie mit einem Lächeln.
Er machte sich gerade über das erste Sandwich her, als Thornnastor, der über den Vorteil verfügte, mit allen vier Mündern sprechen zu können, fortfuhr: „Offenbar muß ich Ihnen dazu gratulieren, wie Sie sich auf Operationsverfahren einstellen, für die chirurgische Kenntnisse anderer Spezies erforderlich sind.
Nicht nur, daß Sie sich dieses Wissen nach kurzer Besinnungszeit oder sogar auf Anhieb ins Gedächtnis gerufen haben, allem Anschein nach haben Sie obendrein neue Verfahren eingeleitet, die auf einer Verbindung von Erfahrungen verschiedener Lebewesen beruhen. Wie ich gehört habe, waren die operierenden Chefärzte höchst beeindruckt.“
In fliegender Hast zerkaute Conway den Sandwichbissen, schluckte ihn hinunter und antwortete: „Die eigentliche Arbeit haben ausschließlich die Chefärzte geleistet.“
„Da haben mir Hossantir und Edanelt aber etwas anderes erzählt“, erwiderte Thornnastor. „Doch vermutlich liegt es in der Natur der Sache, daß Chefärzte den Großteil der Arbeit leisten und Diagnostiker fast das gesamte Lob einstreichen — oder aber auch den Tadel, falls etwas schiefgeht. Wo wir gerade von Fällen sprechen, deren Verlauf sich womöglich nicht so günstig darstellt: Ich würde gerne mit Ihnen erörtern,
was Sie bezüglich des Ungeborenen vorhaben. Die innere Sekretion seines Elternteils und Beschützers ist eine höchst komplizierte Sache, und mich interessiert dieses Wesen außerordentlich. Jedenfalls sehe ich einige rein physische Probleme auf uns zukommen, die.“
Bei dieser Untertreibung blieb Conway fast das Essen im Hals stecken, und es dauerte einen Moment, bevor er wieder sprechen konnte.
„Darf man sich mit einem Terrestrier beim Essen nicht unterhalten?“ erkundigte sich. Thornnastor bei Murchison mit jenem Mund, der ihr am nächsten war. „Warum war Ihre Spezies nicht so vorausblickend, wenigstens eine zusätzliche Körperöffnung zur Nahrungsaufnahme zu entwickeln?“
„Entschuldigen Sie“, sagte Conway mit einem Lächeln. „Ich würde mich über jede Hilfe und jeden Ratschlag freuen, den Sie mir geben können. Nie zuvor sind wir einer Spezies begegnet, die sich einer Behandlung mit solcher Vehemenz widersetzt wie die Beschützer der Ungeborenen, und ich glaube nicht, daß wir schon alle Probleme erkannt, geschweige denn die Lösungen dafür gefunden haben. Im Grunde wäre ich Ihnen sogar äußerst dankbar, wenn Ihre Verpflichtungen es Ihnen gestatten würden, bei der Geburt zugegen zu sein.“
„Ich habe schon befürchtet, Sie würden mich nie mehr darum bitten, Conway“, knurrte Thornnastor.
„Es gibt mehrere Probleme“, fuhr Conway fort, wobei er sich leicht über den Bauch strich und sich fragte, ob eins der Probleme in einer plötzlichen Magenverstimmung bestehen könnte, weil er zu schnell gegessen hatte. In entschuldigendem Ton sagte er: „Aber im Moment bin ich in Gedanken immer noch bei dem hudlarischen Wissen und den Fragen, die durch meine kürzlichen Erlebnisse im hudlarischen OP und auf der Geriatriestation aufgeworfen worden sind. Dabei handelt es sich sowohl um psychologische als auch um physiologische Probleme, die mich so stark beschäftigen, daß ich Schwierigkeiten habe, den Kopf freizubekommen, um mir Gedanken zum Fall des Beschützers zu machen, auch wenn das albern klingt.“
„Ich finde das ganz verständlich, wenn man bedenkt, wie intensiv Sie sich noch vor kurzem mit der FROB-Lebensform beschäftigt haben“, entgegnete Thornnastor. „Falls Sie jedoch im Fall dieser Hudlarer vor ungelösten Problemen stehen sollten, wäre der einfachste Weg, den Kopf von den lästigen Gedanken daran zu befreien, sich sofort alle notwendigen Fragen zu stellen und so viele wie möglich davon zu beantworten. Selbst wenn es sich dabei vielleicht um unbefriedigende oder unvollständige Antworten handelt, treiben Sie die Angelegenheit auf diese Weise wenigstens so weit voran, wie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für Sie machbar ist. Damit wird sich dann Ihr Verstand abfinden und es Ihnen ermöglichen, an andere Dinge zu denken, auch an den ständig schwangeren Beschützer.
Außerdem ist Ihre momentane eigenartige Geistesverfassung alles andere als selten, Conway“, fuhr der Tralthaner fort, wobei er in seinen Vortragston verfiel. „Es muß einen äußerst triftigen Grund geben, warum sich Ihre Gedanken nicht von diesem Thema abwenden wollen. Vielleicht stehen Sie kurz vor wichtigen Schlußfolgerungen, und wenn das Problem jetzt beiseite geschoben wird, könnten die relevanten Überlegungen verblassen und unwiederbringlich verloren sein. Mir ist bewußt, daß ich langsam wie ein Psychologe klinge, aber man kann nicht im medizinischen Bereich tätig sein, ohne sich auch auf diesem Gebiet einige Kenntnisse anzueignen. Natürlich bin ich imstande, Ihnen bei den physiologischen Problemen der hudlarischen Lebensform behilflich zu sein, aber allmählich habe ich den Verdacht, der entscheidende Punkt ist der psychologische Aspekt. In dem Fall sollten Sie unverzüglich O'Mara konsultieren.“
„Sie meinen, ich soll mich gleich jetzt bei ihm melden?“ erkundigte sich Conway etwas zaghaft.
„Theoretisch darf ein Diagnostiker jederzeit jedes Personalmitglied des Hospitals um Hilfe bitten — und umgekehrt“, erwiderte der Tralthaner.
Conway blickte Murchison an, die ihn verständnisvoll anlächelte. „Ruf ihn ruhig an“, riet sie ihm. „Über den Kommunikator kann er seinem Jähzorn ja bloß mit Worten freien Lauf lassen.“
„Das beruhigt mich überhaupt nicht“, erwiderte Conway und griff nach dem Kommunikator.
Ein paar Sekunden später wurde der kleine Bildschirm von den finsteren Gesichtszügen des Chefpsychologen ausgefüllt, so daß man unmöglich sagen konnte, was O'Mara anhatte oder ob er überhaupt vollständig bekleidet war. „An der Geräuschkulisse und der Tatsache, daß Sie noch kauen, erkenne ich, daß Sie aus der Hauptkantine anrufen“, grummelte er in das Mikrophon. „Ich möchte darauf hinweisen, daß ich mich mitten in meiner Ruhepause befinde. Hin und wieder ruhe ich mich nämlich aus, nur um Ihnen und Ihresgleichen vorzugaukeln, ich sei bloß ein Mensch. Vermutlich gibt es für Ihren Anruf einen triftigen Grund, oder wollen Sie sich bei mir nur über das Essen beschweren?“
Conway öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort über die Lippen, da er sich einerseits einem aufgebrachten O'Mara gegenübersah und andererseits in Gedanken immer noch zu eifrig mit der Formulierung der Fragen beschäftigt war.
„Conway.“, drängte O'Mara mit übertriebener Geduld, „was, zum Teufel, wollen Sie?“
„Auskünfte“, antwortete Conway verärgert. Dann mäßigte er den Ton und fuhr fort: „Ich brauche Auskünfte, die möglicherweise bei der Arbeit in der hudlarischen Geriatrie behilflich sein könnten. Diagnostiker Thornnastor, Pathologin Murchison und ich beraten uns gerade über.“