Ihre einzige Sicherheit bestand in der Schwerelosigkeit der Schleusenvorkammer, und der Beschützer prallte von jeder Wand und jedem Hindernis ab, gegen die oder das er mit den wild umherschlagenden Tentakeln stieß, und wirbelte hilflos in der Kammer herum, was seine Wut und die Brutalität seines Angriffs nur noch verstärkte. Andererseits wurde es dadurch schwieriger, die gerade stattfindende Geburt zu beobachten. Doch die Heftigkeit des Angriffs des Beschützers ließ langsam nach. Durch die Schwerelosigkeit sowie die während der Zusammenstöße mit den Besatzungsmitgliedern des Schiffes erlittenen Verwundungen und den darauffolgenden Defekt des bordeigenen Lebenserhaltungssystems hatte der Beschützer kaum noch genügend Kraft, die Geburt zu beenden, die bereits ein gutes Stück vorangeschritten war. Jetzt bot der sich langsam drehende FSOJ einen guten, wenn auch immer wieder unterbrochenen Blick auf das allmählich sichtbar werdende Ungeborene.
Conway dachte an einen Aspekt der Geburt, den die Aufzeichnung nicht wiedergeben konnte — an die letzten Momente des telepathischen Kontakts mit dem Fötus, bevor dieser den Körper seines Elternteils verließ und ebenfalls zu einem wilden, brutalen und zu keinerlei Vernunft fähigen jungen Beschützer wurde —, und einen Augenblick lang war ihm der Hals wie zugeschnürt.
Dieses Problem des Diagnostikers auf Probe mußte Thornnastor geahnt haben, denn er langte an Conway vorbei und hielt die Aufzeichnung an. Im schwerfälligen Vortragston sagte er: „Wie Sie sehen, sind der Kopf und ein Großteil des Panzers zum Vorschein gekommen, und die daraus hervortretenden Gliedmaßen sind noch schlaff und reglos. Das liegt daran, daß die Sekrete, die abgesondert werden, um die vor der Geburt bestehende Lähmung aufzuheben und gleichzeitig sämtliche, nicht dem Überleben dienende Gehirntätigkeiten zu unterbinden, noch nicht wirken. Bis zu diesem Punkt ist einzig und allein das Elternteil für das Herauskommen des Ungeborenen verantwortlich.“
In der für Kelgianer typischen direkten Art fragte eine der Schwestern: „Wird das nicht vernunftbegabte Elternteil als entbehrlich erachtet?“
Thornnastor schwenkte ein Auge herum, um Conway zu betrachten, dessen Gedanken immer noch fest auf die Umstände der damaligen Geburt gerichtet waren.
„Das liegt keineswegs in unserer Absicht“, antwortete der Tralthaner, als Conway nicht reagierte. „Auch das Elternteil war einmal ein vernunftbegabtes Ungeborenes und ist in der Lage, bis zu drei weitere Ungeborene zur Welt zu bringen. Sollten Umstände eintreten, in denen entschieden werden muß, ob man die Geburt des vernunftbegabten Jungen auf Kosten des momentan nicht vernunftbegabten Elternteils unterstützen oder sie ihren normalen Lauf nehmen lassen soll, so daß schließlich zwei nicht vernunftbegabte Beschützer vorhanden sind, dann muß die Entscheidungsgewalt beim verantwortlichen Chirurgen liegen.
Für die zweite Möglichkeit spräche, wenn man sie in Betracht zöge, daß wir mit zwei Beschützern, einem jungen und einem alten, die im Laufe der Zeit beide telepathische Embryos tragen werden, eine oder mehrere weitere Chancen hätten, um das Problem zu lösen“, fuhr Thornnastor mit einem immer noch auf Conway gehefteten Auge fort. „Doch dazu müßte man die beiden FSOJs langen Schwangerschaftsperioden in einem höchst künstlichen Lebenserhaltungssystem aussetzen, was sich langfristig schädlich auf die neuen Embryos auswirken könnte und nichts anderes als ein Aufschieben der Entscheidung bedeuten würde. Dann müßte die gesamte Prozedur wiederholt werden, wobei aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe Entschluß von einem anderen verantwortlichen Chirurgen zu treffen wäre.“
Auch Murchisons Augen ruhten auf Conway. Sie wirkte höchst beunruhigt. Die letzten Worte des Tralthaners waren ein wenig mehr als eine direkte Antwort auf die Frage der Schwester; sie stellten so etwas wie eine berufliche Warnung dar. Durch sie wurde Conway daran erinnert, daß er sich immer noch sehr stark auf dem Prüfstand befand und der leitende Diagnostiker der Pathologie trotz des höheren Rangs keineswegs die endgültige Verantwortung für diesen Fall übernehmen wollte. Conway brachte kein Wort über die Lippen.
„Sie werden beobachten, daß sich die Tentakel des Ungeborenen zu bewegen beginnen, wenn auch langsam“, fuhr Thornnastor fort. „Und jetzt zieht es sich allmählich aus dem Geburtskanal heraus.“
In genau diesem Moment hatte damals die lautlose telepathische Stimme in Conways Kopf die Klarheit verloren. Schmerz, Verwirrung und tiefe Besorgnis hatten den verständlichen Mitteilungsfluß getrübt. Doch die letzte Botschaft des Ungeborenen war ganz einfach gewesen.
Geboren zu werden bedeutet sterben, meine Freunde, hatte die leise Stimme gesagt. Meine Gedanken und meine telepathische Fähigkeit werden nun zerstört. Ich werde jetzt selbst zum Beschützer eines eigenen Ungeborenen, das wachsen, denken und mit Ihnen in Kontakt treten wird. Bitte kümmern Sie sich um ihn.
Das Dumme bei telepathischer Kommunikation war, daß — anders als bei der Verständigung durch Worte — die Vieldeutigkeit fehlte und keine Irreführungen und diplomatischen Lügen möglich waren, dachte Conway bitter. Bei einem telepathisch gegebenen Versprechen blieb kein Hintertürchen offen. Eins zu brechen war ohne einen schweren Verlust an Selbstachtung unmöglich.
Und nun war das Ungeborene, mit dem Conway in telepathischem Kontakt gestanden hatte, sein Patient und ein Beschützer mit einem eigenen Ungeborenen, für das zu sorgen Conway versprochen hatte und das kurz vor dem Eintritt in die äußerst komplizierte und fremde Welt des Orbit Hospitals stand. Wie er am besten weitermachen sollte — beziehungsweise richtiger: welche von mehreren unbefriedigenden Möglichkeiten er wählen sollte —, dessen war er sich immer noch nicht sicher.
Ohne jemanden direkt anzusprechen, sagte er plötzlich: „Wir wissen nicht einmal, ob der Fötus unter den hiesigen Bedingungen normal herangewachsen ist. Vielleicht ist unsere Reproduktion der Umwelt nicht exakt genug gewesen. Womöglich hat das Ungeborene keine Vernunft entwickelt, ganz zu schweigen von telepathischen Fähigkeiten. Bisher hat es keine Anzeichen für.“
Als eine Folge von melodischem Schnalzen und gerollten Lauten von der Decke über ihren Köpfen ertönte, brach er den Satz ab. Aus den Translatoren kamen die Worte: „Ihre Annahme ist möglicherweise nicht ganz korrekt, Freund Conway.“
„Prilicla!“ rief Murchison und fügte überflüssigerweise hinzu: „Sie sind wieder da?“
„Geht es Ihnen. gut?“ fragte Conway. Er dachte an die Opfer des Unfalls im Meneldensystem und wie furchtbar es für einen Empathen gewesen sein mußte, die Leitung über deren Klassifizierung übertragen zu bekommen.
„Mir geht es gut, mein Freund“, antwortete Prilicla, wobei die Beine, mit denen er an der Decke klebte, vom Bad in der Welle freundschaftlicher und besorgter Gefühle, die von den Anwesenden unter ihm ausgingen, erbebten. „Ich habe darauf geachtet, die Arbeiten aus größtmöglicher Entfernung zu leiten, so, wie ich auch großen Abstand zu Ihrem Patienten auf der äußeren Station halte. Die emotionale Ausstrahlung des Beschützers ist für mich unangenehm, aber bei der des Ungeborenen ist das nicht der Fall.
Ich nehme eine hochgradige Geistestätigkeit wahr“, fuhr der Cinrussker fort. „Leider bin ich eher ein Empath als ein echter Telepath, aber ich kann bei dem Ungeborenen eine Frustration spüren, die, so würde ich vermuten, durch die Unfähigkeit verursacht wird, sich mit den Lebewesen außerhalb des Körpers des Elternteils zu verständigen. Außerdem nehme ich vor allem noch Verwirrung und Ehrfurcht wahr.“
„Ehrfurcht?“ wiederholte Conway ungläubig und fügte dann hinzu: „Falls sich das Ungeborene mit uns zu verständigen versucht hat, haben wir jedenfalls nichts gespürt, nicht einmal das leiseste Kitzeln.“