Thornnastor und Murchison sahen ihn aufmerksam an, sagten aber beide nichts.
„Da wir ihm dreidimensionale und erschreckend detaillierte Bilder seiner natürlichen Umgebung zeigen und ihn — chirurgisch gesehen — mit einer Heftigkeit angreifen werden, die er bestimmt noch nie erlebt hat, hoffe ich, ihm und seinem endokrinen Drüsensystem weiszumachen, seine Gliedmaßen würden immer noch den Angriff abwehren oder davor zu ffiehen versuchen“, fuhr Conway fort. „Schließlich wehren sich die Glieder gegen die Mittel zur Ruhigstellung, und die dafür erforderliche Muskelanstrengung ist vergleichbar.
Wir werden ihn mit einem großen Kaiserschnitt attackieren, den wir — ohne Narkose — nicht im Unterleibsbereich anlegen, sondern durch den Rückenpanzer führen werden, und ich rechne fest damit, daß der Beschützer genügend Schmerzen haben und im Kopf ausreichend verwirrt sein wird, um zu vergessen, daß sich der Körper nicht in Bewegung befindet, zumindest für die relativ kurze Zeit, die für die Vollendung der Operation nötig ist.“
Murchison starrte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an, das jedoch so bleich wie ihre weiße Uniform war. Jetzt erst ging Conway die volle Bedeutung dessen, was er gerade gesagt hatte, auf, und ihm wurde regelrecht schlecht. Er schämte sich. Die Äußerung stand im direkten Widerspruch zu allem, was man ihm als Arzt und Wohltäter beigebracht hatte.
Um Güte zu beweisen, muß man grausam sein, hatte ihm zwar irgend jemand mal gesagt, aber zweifellos war damit nicht eine derartige Grausamkeit gemeint gewesen.
„Der terrestrische Teil meines Gehirns ist über ein solch beispielloses Benehmen erschüttert und empört“, bemerkte Thornnastor schwerfällig.
„Dieser DBDG“, entgegnete Conway und tippte sich dabei selbst ärgerlich auf die Brust, „empfindet dasselbe. Aber Ihr DBDG vom Band mußte auch keinen Beschützer entbinden.“
„Das mußte auch sonst noch niemand“, stellte Thornnastor fest.
Murchison wollte gerade etwas sagen, als es gleich eine doppelte Unterbrechung gab.
„Die Geburtsöffnung beginnt sich zu weiten“, berichtete die kelgianische Schwester, „und die Lage des Fötus hat sich ein klein wenig verändert.“
„Die emotionale Ausstrahlung beider Lebewesen erreicht einen Höchststand“, meldete Prilicla über den Kommunikator. „Sie werden nicht mehr lange warten müssen, Freund Conway. Machen Sie sich keine Sorgen, schließlich kann man sich normalerweise stets auf Ihre medizinischen Überlegungen verlassen.“
Der Cinrussker findet doch immer das passende Wort, dachte Conway dankbar, als ihm Thornnastor zum Operationsgestell folgte.
Zuerst untersuchten sie die Körperunterseite und gingen dabei so dicht wie möglich an den Beschützer heran, wichen jedoch gleichzeitig den wild um sich schlagenden Beinen und dem Hudlarer aus, der mit einer Metallstange auf die Bestie einschlug, um die Angriffe des kleinen Raubtiers mit den scharfen Zähnen vom Heimatplaneten des Beschützers zu simulieren. Die mit den Beinen verbundenen Muskeln befanden sich in ständiger zuckender Bewegung, und im mittleren Bereich des Körpers wurde die Geburtsöffnung langsam länger und breiter.
Für die Aufnahmegeräte berichtete Conway: „Aus dieser Öffnung wird das Junge nicht herauskommen. Normalerweise ist für einen Kaiserschnitt ein langer Schnitt im Unterleib erforderlich, durch den der Fötus entnommen wird. Doch in diesem Fall erscheint ein solches Verfahren aus zwei Gründen als schädlich. Erstens müßten dafür mehrere Beinmuskeln durchtrennt werden, und da dieses Wesen nicht in der Lage ist, ein verletztes Glied während des Heilungsprozesses zu schonen, würde die klinische Verletzung nie heilen, und die betroffenen Gliedmaßen trügen bleibende Schäden davon. Zweitens kämen wir mit dem Schnitt sehr nah an die beiden Drüsen heran, die, wie wir praktisch mit Sicherheit wissen, die Sekrete zur Umkehr der Lähmung vor der Geburt und der Auslöschung des Verstands enthalten. Beide Drüsen sind, wie Sie auf dem Scanner sehen können, mit der Nabelschnur verbunden und entleeren ihren Inhalt im Verlauf der späteren Stadien des Geburtsvorgangs in den Fötus. Bei dieser physiologischen Klassifikation würde ein traditioneller Kaiserschnitt die Drüsen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorzeitig zusammendrücken, und der Zweck der Operation, die Entbindung eines intelligenten Ungeborenen, wäre vereitelt. Deshalb müssen wir es auf die harte Tour machen, indem wir einen Schnitt in einem Winkel durch den Rückenpanzer führen, der die darunterliegenden lebenswichtigen Organe so wenig wie möglich beeinträchtigt.“
Während die Schwester den Beschützer für die Operation in die richtige Lage gebracht hatte, waren die Bewegungen des Ungeborenen nicht wahrnehmbar gewesen, doch jetzt zeigte der Scanner ein langsames, stetes Vorrücken in Richtung des Geburtskanals. Conway mußte sich zwingen, auf die andere Seite des Operationsgestells zu gehen, da er plötzlich den Instinkt verspürte, lieber einfach davonzulaufen; dann vergewisserte er sich, daß sich Thornnastor und Murchison in Position befanden, und sagte leise: „Stellen Sie den Patienten ruhig.“
Die vier Rückententakel waren zu voller Länge ausgestreckt und fast reglos, bis auf ein ganz leichtes Zittern, das von der Anstrengung herrührte, die Mittel zur Ruhigstellung zu überwinden. Conway versuchte, nicht an die Verwüstung zu denken, die schon eins dieser Glieder unter dem OP-Personal anrichten könnte, falls es ihm gelänge, sich zu befreien, und auch nicht daran, daß er am nächsten stand und das erste Opfer wäre.
„Es ist wünschenswert — genaugenommen vielleicht sogar lebensnotwendig —, vor dem Abschluß der Operation telepathischen Kontakt mit dem Ungeborenen herzustellen“, sagte Conway über das Surren seiner Operationssäge hinweg. „Beim ersten Zustandekommen eines derartigen Kontakts waren nur Lebewesen einer physiologischen Klassifikation zugegen, die terrestrischen DBDGs Pathologin Murchison,
Captain Fletcher von der Rhabwar und ich. Möglicherweise erschwert die Vielfalt physiologischer Typen und der Gedankenstrukturen die Herstellung einer Verbindung, oder vielleicht ist es ein wenig einfacher, mit DBDGs in telepathischen Kontakt zu treten. Deshalb müssen.“
„Soll ich gehen?“ fragte Thornnastor.
„Nein“, antwortete Conway entschieden. „Ich brauche Ihre Hilfe, sowohl als Arzt als auch als Endokrinologe. Aber es wäre nützlich, wenn Sie versuchen würden, den terrestrischen Teil Ihres Gehirn in den Vordergrund zu rücken und sich auf dessen Gedankengänge zu konzentrieren.“
„Ich verstehe“, willigte der Tralthaner ein.
Thornnastor und Conway arbeiteten rasch und schnitten ein großes dreieckiges Stück aus dem Panzer heraus. Dann legten sie eine Pause ein, um eine geringfügige Blutung der darunterliegenden Blutgefäße zu stillen. Murchison assistierte zwar nicht direkt, konzentrierte sich jedoch voll und ganz auf den Scanner, damit sie die beiden Operateure warnen konnte, falls es Anzeichen dafür geben sollte, daß das Operationstrauma eine Frühgeburt auslöste. Conway und Thornnastor drangen tiefer ein, indem sie die dicke, beinahe durchsichtige Membrane rings um die Lunge durchschnitten und nach hinten festklemmten.