„Nein, warten Sie!“ widersprach Conway energisch. „Ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Wäre die Geburt normal verlaufen, wären beide Drüsen beim Herauskommen des Ungeborenen zusammengedrückt und die Sekrete direkt durch die Kanäle in die Nabelschnur geleitet worden. Angesichts des Ausmaßes der momentanen Schwellung und der offenbar straff gespannten Haut der Drüsen würde möglicherweise selbst der sanfteste Druck eher zu einem plötzlichen als zu einem allmählichen Ausströmen der Sekrete führen. Meine ursprüngliche Idee, die Absonderung durch leichtes Drücken und durch die Beobachtung der Wirkung auf den Patienten zu dosieren, war nicht gut. Zudem besteht die Möglichkeit, daß beide Drüsen den gleichen Wirkstoff enthalten und dieser beide Funktionen erfüllt.“
„Äußerst unwahrscheinlich“, widersprach Thornnastor. „Dazu sind die Wirkungen zu unterschiedlich. Leider hat die Substanz eine komplexe und unstabile biochemische Struktur, die sich sehr schnell aufspaltet; sonst hätte der Leichnam Ihres ersten Beschützers für uns genügend Rückstände zum Synthetisieren enthalten. Dies ist das erstemal, daß Proben von einem lebenden Beschützer zur Verfügung stehen, aber die Analyse wäre ein langwieriger Prozeß, und in der gegenwärtigen Verfassung leben die Patienten möglicherweise nicht mehr lange.“
„Ich bin voll und ganz Ihrer Meinung“, mischte sich Prilicla ungewöhnlich leidenschaftlich ein. „Der Beschützer gerät in Panik. Er wird sich allmählich des anomalen Zustands vollkommener Bewegungslosigkeit bewußt und weist Anzeichen einer sich rasch und allgemein verschlechternden Verfassung auf. Sie müssen sich aus der Wunde zurückziehen und den Schnitt schließen, mein Freund, und zwar schnell!“
„Ich weiß“, erwiderte Conway und fuhr dann heftig fort: „Denken Sie! Denken Sie an den neugeborenen Beschützer, an die Umstände, in denen er sich befindet, an unsere Schwierigkeiten, an das, was wir für ihn zu tun versuchen. Ich brauche den telepathischen Kontakt, bevor ich es riskieren kann.“
„Ich spüre unregelmäßige, krampfartige Kontraktionen, die immer heftiger werden“, fiel ihm Thornnastor ins Wort. „Dabei handelt es sich wahrscheinlich um anomale, mit der Panik zusammenhängende Bewegungen, aber es besteht die Gefahr, daß sie die Drüsen vorzeitig zusammendrücken. Außerdem glaube ich nicht, daß der telepathische Kontakt mit dem Neugeborenen bei der Identifizierung der richtigen Drüse helfen wird. Schließlich besitzt ein Neugeborenes in der Regel keine detaillierten anatomischen Kenntnisse seines Elternteils.“
„Der Beschützer wehrt sich nicht mehr gegen die Mittel zur Ruhigstellung“, meldete Murchison von der anderen Seite des Operationsgestells.
„Freund Conway!“ rief Prilicla. „Der Patient verliert das Bewußtsein.“
„Also schön!“ fluchte Conway. Verzweifelt versuchte er, allein an das Neugeborene zu denken, doch all seine Alter ego bemühten sich ebenso angestrengt zu denken und verwirrten ihn. Einige der Lösungsvorschläge, die sie vorbrachten, ließen sich nicht anwenden, andere waren albern, und einer — Conway hatte keine Ahnung, von wem er stammte — war so lachhaft simpel, daß er einfach ausprobiert werden mußte.
„Klemmen Sie die Nabelschnur so dicht wie möglich an den Drüsen ab, um einer unbeabsichtigten Absonderung der Sekrete vorzubeugen“, sagte Conway schnell. „Dann trennen Sie die Schnur auf der anderen Seite der Klammer durch, um Elternteil und Neugeborenes zu trennen. Ich werde den Rest der Nabelschnur herausziehen, und Sie stechen bitte zwei Nadeln in die Drüsen. Saugen Sie den jeweiligen Inhalt ab und füllen Sie die Sekrete zum späteren Gebrauch in getrennte Behälter. Vielleicht müssen Sie das Absaugen durch gleichzeitiges Zusammendrücken der Drüsen beschleunigen. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber da drinnen ist nicht viel Platz.“
Thornnastor antwortete nicht. Er nahm bereits eine der Absaugnadeln von seinem Instrumententablett, während Murchison probeweise die Pumpe einschaltete und mit zwei kleinen sterilen Behältern verband. Innerhalb weniger Minuten waren die Absaugnadeln eingeführt, und beide aufgeblähten Drüsen schrumpften sichtbar zusammen.
Als der Scanner sie als abgeflachte rote Flecken auf gegenüberliegenden Seiten des Gebärgangs zeigte, sagte Conway: „Das reicht. Ziehen Sie die Nadeln raus. Ich helfe Ihnen beim Vernähen. Und falls Sie noch eine Gehirnwindung frei haben, benutzen Sie die bitte, um an das Neugeborene zu denken.“
„Meine Gehirnwindungen sind zwar alle von anderen Leuten belegt, aber ich werde es versuchen“, entgegnete Thornnastor.
Das Verlassen des Operationsfelds war viel einfacher als das vorherige Eindringen, weil der Beschützer bewußtlos war, die Muskeln sich gelockert hatten und es keine inneren Spannungen mehr gab, die die Nähte beim Anlegen auseinanderzuziehen versuchten. Den Einschnitt, der an der Gebärmutter vorgenommen worden war, schloß Thornnastor wieder; dann drückten sie gemeinsam die vorübergehend verschobenen Organe vorsichtig in ihre Lage zurück und vernähten die dicke Membran rings um die Lungenflügel. Alles, was nun noch zu tun blieb, war das Wiedereinsetzen des dreieckigen Panzerstücks mit Hilfe der Edelmetallklammern, die für die harte und biegsame Haut der hudlarischen FROBs benutzt wurden.
Conway hatte das Gefühl, daß die Operationen an den Hudlarern Jahre zurückzuliegen schien, als Thornnastor plötzlich aufgeregt mit den Füßen aufzustampfen begann.
„Ich habe starke Beschwerden im Schädelbereich“, sagte der Diagnostiker. Während er sprach, steckte sich Murchison einen Finger ins Ohr und bewegte ihn wild hin und her, als würde sie versuchen, einen tief sitzenden Juckreiz zu lindern. Dann spürte es auch Conway, der mit den Zähnen knirschte, da seine Hände anderweitig beschäftigt waren.
Die Empfindungen waren genau dieselben wie diejenigen, die er erlebt hatte, als der Beschützer, zu jener Zeit noch ein Ungeborenes, bei der damaligen Schiffsbergung telepathischen Kontakt hergestellt hatte. Es handelte sich um eine Mischung aus Schmerzen, starker Verärgerung und einer Art mißtönender, unhörbarer Stimme, die immer lauter wurde. Nach diesem ersten Erlebnis hatte Conway einige Theorien darüber aufgestellt und war zu dem Schluß gekommen, daß man eine Fähigkeit, die entweder schlummerte oder verkümmert war, zwingen mußte, sich zu entfalten. Wie bei einem lange nicht benutzten Muskel kam es zu Schmerzen, Steifheit und zu einer Art Protest gegen die Veränderung der alten bequemen Ordnung der Dinge.
Damals, beim erstenmal, hatten sich die Beschwerden bis zu einem Höhepunkt gesteigert, und dann.
Schon seit ein paar Augenblicken vor meiner Entbindung bin ich mir der Gedanken der Wesen Thornnastor, Murchison und Conway bewußt, sagte eine deutliche, leise und eindringliche Stimme in ihren Köpfen, aus denen der unerträgliche geistige Juckreiz plötzlich verschwunden war. Auch Ihr Vorhaben, ein telepathisches Ungeborenes zur Welt zu bringen, das ohne Verlust der Fähigkeiten zum jungen Beschützer wird, ist mir klar, und für Ihre Bemühungen bin ich Ihnen äußerst dankbar, egal, wie das Ergebnis schließlich aussehen wird. Weiterhin kenne ich die gegenwärtigen Absichten des Wesens Conway, und ich möchte Sie dringend bitten, schnell zu handeln. Das wird meine einzige Chance sein. Meine Geisteskräfte lassen nach.
„Vergessen Sie den Patienten erst einmal, und bereiten Sie eine Infusion für das Junge vor“, ordnete Conway in bestimmtem Ton an.
Er gab ihnen nicht die Anweisung, sich zu beeilen, weil sowohl Murchison als auch Thornnastor dieselbe telepathische Mitteilung erhalten hatten. Mit etwas Glück würde es nach Conways Ansicht zu keiner bleibenden Beeinträchtigung der Fähigkeiten des Neugeborenen kommen, da das Nachlassen der Geisteskräfte daran liegen konnte, daß das neugeborene FSOJ genauso reglos wie sein Elternteil war. Während Murchison und Thornnastor arbeiteten, entfernte Conway das überschüssige Ende der Nabelschnur und brachte den Transportkäfig für das Junge an eine geeignetere Stelle, damit er, sollte das beabsichtigte Vorgehen gelingen, für einen plötzlich aktiven und gefährlichen Beschützer bereitstand. Als Conway damit fertig war, hatten Thornnastor und Murchison die Infusionsnadel, die über einen dünnen Schlauch mit einem der sterilen Behälter mit den abgesaugten Drüsensekreten verbunden war, bereits in das abgeschnittene Ende der Nabelschnur des Ungeborenen gesteckt.