Einige Sekunden lang schwieg Conway, während er sich sowohl in den Gehirnaufzeichnungen seiner Alter egos als auch im eigenen Kopf um Objektivität bemühte — wenn er an Belanglosigkeiten dachte, brachten seine Gehirnpartner immer wieder ihre Bagatellen vor. Schließlich sagte er: „Die zusätzliche körperliche Verletzungsgefahr ist vielleicht gar nicht so groß, weil Prilicla schon sein ganzes Leben lang physischen und psychologischen Gefahren aus dem Weg geht, und dieser Zustand würde sich fortsetzen, selbst wenn er anfangs von einer Reihe von Gehirnpartnern durcheinandergebracht werden könnte. Diese Verwirrung mag nicht so schlimm sein, wie ich zuerst angenommen habe, da er als Empath bereits mit den Empfindungen einer äußerst großen Bandbreite verschiedener physiologischer Typen vertraut ist, und es ist ja gerade das Vorhandensein dieser fremdartigen Gedanken und Gefühle, die bei uns Nichtempathen die größte geistige Verwirrung hervorrufen.
Im Laufe meiner langjährigen engen Zusammenarbeit mit Prilicla habe ich die Anwendung seiner speziellen Talente beobachtet und dabei festgestellt, daß er in immer größerem Maße Verantwortung übernommen hat, die ihm oft starke emotionale Beschwerden bereitete“, fuhr Conway fort. „Als letztes hat er die Bergung beim Unfall im Meneldensystem organisiert und geleitet und wertvolle Hilfe bei der Entbindung des Ungeborenen geleistet. Ich kann mir niemanden vorstellen, der die Gogleskanerin Khone nach ihrem Eintreffen besser beruhigen könnte und.“
Da er merkte, daß er vom Thema abkam, brach er den Satz ab und erklärte abschließend einfach: „Ich glaube, Prilicla wird ein guter Diagnostiker.“
Im stillen fügte er hinzu: Ich wünschte, es wäre jemand hier, der über mich etwas Nettes sagen würde.
Der Chefpsychologe musterte ihn mit einem langen, forschenden Blick und sagte dann: „Schön, daß wir einer Meinung sind, Conway. Dieser kleine Empath kann sowohl seinen Untergebenen als auch seinen Vorgesetzten Höchstleistungen abverlangen, und zwar ohne dabei das kleinste bißchen unangenehm zu werden, wie es einige von uns nicht vermeiden können.“ Er lächelte säuerlich und sagte dann: „Trotzdem braucht Prilicla noch mehr Zeit. Er muß wenigstens noch ein Jahr als Leiter des medizinischen Teams auf der Rhabwar arbeiten und zwischen den Rettungseinsätzen zusätzliche Verantwortung auf den Stationen übernehmen.“
Conway schwieg, und O'Mara setzte seine Ausführungen fort. „Wenn Ihre FOKT-Freundin im Hospital aufgenommen worden ist und sie mir für die gesamte Palette psychologischer Tests zur Verfügung steht, wird es mir mit ziemlicher Sicherheit gelingen, die Eindrücke auszulöschen, die Sie in Khones Kopf hinterlassen haben und Khone in Ihrem. Ich will jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen, aber diese störenden gogleskanischen Empfindungen werden Sie nicht mehr allzu lange belasten.“
O'Mara blickte ihn offenbar in Erwartung eines dankbaren Worts oder irgendeiner Antwort neugierig an, aber Conway brachte keinen Ton heraus. Er dachte über das einsame, geduldige, von Alpträumen verfolgte und dennoch nicht ganz unglückliche Individuum nach, das die Gedanken mit ihm teilte und seine Handlungen beeinflußte, und das manchmal auf so feine Weise, daß er es kaum bemerkte, und er dachte darüber nach, wie unkompliziert das Leben wäre, wenn sein Kopf wieder einzig und allein ihm gehörte — das heißt, bis auf die Gehirnströme der Wesen vom Band, die jederzeit gelöscht werden konnten. Er stellte sich Khone im Krankenhaus vor, die jedesmal das große Zittern befallen würde, sobald eine nichtgogleskanische Lebensform vorbeikäme, was im Orbit Hospital sehr oft geschah, und er erwog die Bedeutung, die ihr Besuch für das Finden einer Lösung der bei der gesamten Spezies verbreiteten Psychose hatte. Aber hauptsächlich dachte er an Khones einzigartige Fähigkeit, die Gedanken in den Hintergrund zu rücken und aufzusplittern, und an ihren beständig von Neugier und Vorsicht bestimmten Standpunkt, der in Conway den Wunsch erweckte, all seine Gedanken und Handlungen noch einmal zu überprüfen, und der nach der Umsetzung von O'Maras Vorschlag nicht mehr da wäre, um ihn zu bremsen. Schließlich seufzte er und entgegnete bestimmt: „Nein, die möchte ich behalten.“
Von der Tischrunde wurden eine ganze Reihe unübersetzbarer Laute ausgestoßen, während O'Mara Conway weiterhin unerschrocken musterte.
Schließlich brach Colonel Skempton das Schweigen. „Welche besonderen Probleme kommen durch diese Gogleskanerin auf meine Abteilung zu?“ erkundigte er sich. „Nach dem Beschützer und dem Kraftraum für das Junge und der plötzlich immens steigenden Nachfrage nach Gliedmaßenprothesen für Hudlarer würde ich es vorziehen, wenn.“
„Es gibt keine besonderen Anforderungen, Colonel“, unterbrach ihn Conway lächelnd, „bis auf einen kleinen Isolierraum mit einer beschränkten Besucherliste und der normalen Umgebung für einen warmblütigen S auerstoffatmer.“
„Na, dem Himmel sei Dank!“ rief Skempton erleichtert aus.
„Und was die Prothesen für Hudlarer betrifft“, meldete sich Thornnastor zu Wort, wobei er ein Auge auf den Colonel richtete, „wird es wegen der von Conway angeregten Amputationen bei noch nicht alterskranken Hudlarern, die inzwischen die Zustimmung des Chefpsychologen und offenbar auch die aller alternden FROBs gefunden haben, an die O'Mara herangetreten ist, zu einer zusätzlichen Nachfrage kommen. Es wird jedoch viel mehr Freiwillige für die Amputation geben, als das Hospital aufnehmen kann, deshalb werden wir Ihre Abteilung nicht an der Massenproduktion von Prothesen für Hudlarer beteiligen, sondern.“
„Da fällt mir ja ein noch größerer Stein vom Herzen“, warf der Colonel ein.
„…diese nach unseren Entwürfen auf Hudlar selbst herstellen lassen“, fuhr Thornnastor fort. „Auch die Operationen werden dort durchgeführt werden, und zwar von hudlarischen Ärzten, die wir hier am Hospital in den erforderlichen Operationstechniken ausbilden werden. Das zu organisieren wird eine gewisse Zeit dauern, Conway, aber ich unterstelle die Angelegenheit Ihrer Verantwortung und möchte Sie bitten, diese besonders vordringlich zu behandeln.“
Conway dachte an den einzigen hudlarischen Arzt, der derzeit am Hospital ausgebildet wurde, und an die große Zahl auszubildender Ärzte derselben Spezies, die hinzustoßen würden, und fragte sich, ob sie eine ähnliche persönliche Ausstrahlung und ebensolche Charaktereigenschaften besäßen. Doch dann hielt er sich die regelrechte Hölle vor Augen, die die Patienten auf der Hudlarergeriatrie durchmachten, die bei voll funktionierendem Verstand in ihren von Krankheit heimgesuchten, verfallenden und schmerzgeplagten Körpern gefangen waren, und entschloß sich, dem Ausbildungsprogramm auch persönlich besonderen Vorrang einzuräumen.
„Ja, natürlich“, sagte er schließlich zu Thornnastor, und an O'Mara gewandt fügte er hinzu: „Dankeschön.“
In beunruhigender Weise verbog Thornnastor die Augenstiele, um alle Anwesenden gleichzeitig anzusehen, und sagte: „Lassen Sie uns diese Besprechung so bald wie möglich beenden, damit wir uns wieder dem Führen des Hospitals zuwenden können, anstatt endlos darüber zu reden. O'Mara, Sie haben noch etwas zu sagen?“
„Nur noch die Vervollständigung der Liste mit den Beförderungs- und Ernennungsvorschlägen“, murmelte der Chefpsychologe und fuhr mit fester Stimme fort: „Ich werde mich kurzfassen. Es steht noch ein Name drauf, der von Conway, der — vorbehaltlich des zufriedenstellenden Ergebnisses der mündlichen Befragung durch die Anwesenden — in seinem derzeitigen Dienstgrad bestätigt und zum leitenden Diagnostiker der Chirurgie ernannt werden soll.“
Thornnastor warf einen kurzen Blick in die Runde, bevor er sich wieder an O'Mara wandte und sagte: „Nicht nötig. Keine Einwände. Bestätigt.“
Nach den Glückwünschen saß Conway nur da und starrte den Chefpsychologen verdutzt an, während die größeren und schwereren Kollegen in der Überzeugung hinausgingen, der frischgebackene Diagnostiker werde hochzufrieden mit sich sein, sobald sich der erste Schreck erst einmal gelegt habe. O'Mara starrte seinerseits mit so grimmiger und vergrätzter Miene zurück wie immer, aber in seinen Augen lag ein Ausdruck, der sehr große Ähnlichkeit mit väterlichem Stolz hatte.