Bisher ist diese Erscheinung zwar noch nicht ernst“, fuhr der Chefpsychologe schnell fort, bevor Conway reagieren konnte, „und im Grunde haben es bis jetzt weder die Kollegen noch der Betreffende selbst bemerkt, und es liegt kein Nachlassen der Fachkompetenz vor, aber ich habe Conways Fall sehr genau geprüft, und eine Zeitlang war es für mich offensichtlich, daß er allmählich in einen Trott verfällt und dringend.“
„In einen Trott? An diesem Krankenhaus?“ Conway mußte unwillkürlich lachen.
„Alles ist relativ“, entgegnete O'Mara gereizt. „Nennen wir es eine immer alltäglichere Reaktion auf das vollkommen Unerwartete, wenn Ihnen Trott zu simpel ist. Aber, um fortzufahren, ich bin der ernsthaften Ansicht, daß dieser Mensch völlig neue Aufgaben und Pflichten benötigt. Diesem Tätigkeitswechsel sollte die sofortige Entbindung von den Dienstpflichten auf dem Ambulanzschiff, ein wenig psychiatrischer Beistand und eine Phase der geistig-seelischen Neuorientierung vorausgehen.“
„Eine qualvolle Neuorientierung“, stöhnte Conway, wobei er erneut lachen mußte, ohne zu wissen, warum. „Neuorientierungen sollen nämlich immer qualvoll sein.“
Einen Moment lang musterte O'Mara ihn aufmerksam, dann atmete er langsam durch die Nase aus. Mit sarkastischem Unterton in der Stimme grummelte er: „Ich billige zwar kein unnötiges Leiden, Conway, aber wenn Sie sich bei Ihrer Neuorientierung unbedingt quälen wollen, nur zu.“
Wie Conway bemerkte, war der Major zu seiner normalen aggressiven Art zurückgekehrt. Offenbar betrachtete ihn O'Mara nun nicht mehr als Patienten — was auf angenehme beziehungsweise recht unangenehme Weise beruhigend war. Doch während Conway versuchte, die ganzen Auswirkungen dieser plötzlichen und dramatischen Veränderung seiner Situation in sich aufzunehmen und zu überdenken, fiel ihm nichts Vernünftiges dazu ein, und ihm wurde klar, daß er vorläufig zu keiner schlüssigen Antwort in der Lage war.
„Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken“, murmelte er schließlich.
„Natürlich“, pfichtete O'Mara ihm bei.
„Und ich möchte gerne noch einige Zeit auf der Rhabwar verbringen, um Prilicla Ratschläge zu.“
„Nein!“ O'Mara schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Um den größten Erfolg zu erzielen, muß Prilicla lernen, die Arbeit auf seine eigene Weise zu verrichten, so, wie es auch bei Ihnen der Fall gewesen ist. Sie werden sich vom Ambulanzschiff fernhalten und nicht mit dem Cinrussker sprechen, außer um ihm auf Wiedersehen zu sagen und viel Glück zu wünschen. Im Grunde möchte ich Sie so schnell wie möglich aus dem Hospital heraushaben. Von dieser Minute an gerechnet, fliegt in dreißig Stunden ein Aufklärungsschiff des Monitorkorps in Kurierdiensten ab, folglich werden Sie kaum Zeit für lange Abschiedsarien haben.
Daß es für mich irgendeine Möglichkeit gibt, Sie daran zu hindern, Murchison eine längere Abschiedsarie zu widmen, glaube ich allerdings kaum“, fuhr der Chefpsychologe in hämischem Ton fort. „Die Nachricht von Ihrer unmittelbar bevorstehenden Abreise wird Ihrer Frau bereits Prilicla beigebracht haben, und ich kann mir niemanden vorstellen, der das schonender bewerkstelligen könnte, denn Prilicla ist über das, was Sie in den nächsten paar Monaten erwartet, bereits unterrichtet worden.“
„Ich wünschte bloß, irgendwer würde auch mich davon unterrichten“, warf Conway mürrisch ein.
„Also schön“, willigte der Chefpsychologe ein und lehnte sich genüßlich im Stuhl zurück. „Sie sind für unbestimmte Zeit einem Planeten zugeteilt, der — in sehr frei nachempfundenen Lauten — Goglesk heißt. Dort steht man vor einem großen Problem. Die Einzelheiten sind mir zwar nicht bekannt, aber Sie werden nach Ihrer Ankunft jede Menge Zeit haben, sich selbst darüber zu informieren, falls es Sie interessiert. Die Lösung des Problems wird in diesem Fall nicht von Ihnen erwartet; Sie werden sich lediglich ausruhen und.“
O'Maras Gegensprechanlage summte, und eine Stimme sagte: „Entschuldigen Sie, Sir, aber Doktor Fremvessith ist zu früh zur Verabredung erschienen. Soll ich ihn bitten, später wiederzukommen?“
„Das ist der PVGJ, bei dem das Kelgianerband gelöscht werden soll. Da gibt es Probleme“, erklärte O'Mara und sagte dann in die Gegensprechanlage: „Nein, bitten Sie ihn zu warten, und geben Sie ihm, falls erforderlich, ein Beruhigungsmittel.“
An Conway gewandt fuhr er fort: „Wie ich schon gesagt habe, möchte ich, daß Sie sich während Ihres Aufenthalts auf Goglesk schonen, ganz gründlich über Ihre berufliche Zukunft nachdenken und sich viel Zeit für die Entscheidung nehmen, was Sie am Orbit Hospital tun oder nicht tun wollen. Um Ihnen dabei zu helfen, werde ich Ihnen ein Medikament zu Verfügung stellen, das das Erinnerungsvermögen verbessern und die Rückbesinnung auf Träume unterstützen soll. Langfristige Nebenwirkungen hat es nicht. Wenn Sie schon eine geistig-seelische Bestandsaufnahme machen, dann kann ich Ihnen wenigstens das ein oder andere Licht mitgeben, mit dem Sie die dunkleren Winkel Ihres Unterbewußtseins ausleuchten können.“
„Aber wieso?“ fragte Conway, und plötzlich war er sich nicht einmal mehr sicher, ob er die Antwort darauf überhaupt wissen wollte.
O'Mara musterte ihn aufmerksam. Sein Mund war ein dünner, ausdrucksloser Strich, doch in seinen Augen lag ein mitfühlender Blick. „Zu guter Letzt fangen Sie doch noch an, den Zweck dieser Unterredung zu begreifen, Conway. Aber um Ihr überanstrengtes Gehirn vor Abnutzung zu schützen, werde ich es für Sie einfach machen.
Das Orbit Hospital gibt Ihnen die Chance“, schloß er in sehr ernsten Worten, „sich um die Beförderung zum Diagnostiker zu bemühen.“
Zum Diagnostiker…!
Wie die Mehrheit der Ärzte am Orbit Hospital hatte auch Conway schon oft die beunruhigende Erfahrung gemacht, sein Gehirn mit einem fremdartigen Alter ego zu teilen. Bei einem dieser Anlässe war, wenn auch nur scheinbar, für einen relativ kurzen Zeitraum die Kontrolle über seinen Verstand sogar gleich von mehreren Extraterrestriern übernommen worden. Trotzdem hatte O'Mara nach diesem Erlebnis mehrere Tage damit verbringen müssen, die geistig-seelischen Bruchstücke des ursprünglichen Conways wieder zusammenzufügen.
Zwar besaß das Orbit Hospital die notwendige Ausstattung, jede der galaktischen Föderation bekannte intelligente Lebensform zu behandeln, aber kein einzelnes Wesen hätte auch nur einen Bruchteil der für diesen Zweck benötigten physiologischen Daten im Kopf behalten können. Chirurgisches Geschick war eine Frage der Fähigkeiten und der Ausbildung, doch sämtliches Wissen über die physiologische Beschaffenheit eines Patienten wurde durch ein sogenanntes Schulungsband vermittelt. Auf einem solchen Band waren einfach die Gehirnströme einer medizinischen Kapazität aufgezeichnet worden, die der gleichen oder einer ähnlichen Spezies angehörte wie der zu behandelnde Patient.
Wenn zum Beispiel ein terrestrischer Arzt einen kelgianischen Patienten zu behandeln hatte, speicherte er ein DBLF-Physiologieband im Gehirn und behielt es so lange bei sich, bis die Behandlung abgeschlossen war. Danach ließ er es wieder löschen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Regel stellten Chefärzte mit Lehraufträgen dar, deren geistige Stabilität erwiesen war, und natürlich die Diagnostiker.
Ein Diagnostiker gehörte zur geistigen Elite und war eines jener seltenen Wesen, deren Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurden, permanent sechs, sieben oder gar zehn Bänder gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln.
Mit einem Schulungsband wurden einem aber nicht nur die physiologischen Fakten einer Spezies ins Gehirn eingeimpft, sondern auch die Persönlichkeit und das Gedächtnis des Wesens, das dieses Wissen besessen hatte. Praktisch setzte sich ein Diagnostiker somit freiwillig einer höchst drastischen Form multipler Schizophrenie aus. Die fremden Persönlichkeiten, die seinen Geist scheinbar mit ihm teilten, konnten unangenehme und aggressive Wesen mit allen Arten von Reizbarkeit und Phobien sein — schließlich sind Genies nur selten charmante Persönlichkeiten. Bei der Durchführung einer Operation oder Behandlung machte sich das normalerweise nicht bemerkbar. Die schlimmsten Momente aber waren oftmals die, wenn sich der Bandbesitzer zum Einschlafen entspannen wollte.