»Ich möchte nicht als Mann geboren sein, ich bin sehr zufrieden damit, eine Frau zu sein. Letztlich erwartet ihr doch von uns nur, daß wir gut kochen. Andererseits erwartet man alles von den Männern, absolut alles − sie sollen das Geld für den Haushalt heranschaffen, Liebe machen, die Nachkommenschaft schützen und füttern, und sie sollen Erfolg haben.«
»Darum geht es nicht: Ich bin mit mir selber sehr zufrieden. Ich mag dich um mich haben, aber ich bin überzeugt davon, daß es nicht gutgehen wird.«
»Du magst mich um dich haben, aber du haßt es, mit dir allein zu sein. Du suchst immer das Abenteuer, um an die wichtigen Dinge nicht denken zu müssen. Du rennst hinter dem Adrenalinkick her und vergißt darüber, daß in deinen Adern Blut fließen soll und nichts weiter.«
»Ich laufe nicht vor den wichtigen Dingen davon. Was wäre denn wichtig, zum Beispiel?«
»Ein Buch zu schreiben.«
»Das kann ich jederzeit tun.«
»Dann tu es doch. Hinterher trennen wir uns, wenn du willst.«
Ich finde ihre Bemerkung absurd, ich kann jederzeit ein Buch schreiben, ich kenne Verleger, Journalisten, Leute, die mir einen Gefallen schulden. Esther ist wieder nur eine Frau, die Angst hat, mich zu verlieren, sie erfindet das alles bloß. Ich sage, es reiche mir, unsere Beziehung sei am Ende, es gehe um Liebe, nicht darum, was mich ihrer Meinung nach glücklich machen würde.
»Was ist Liebe?« fragt sie. Ich versuche mehr als eine halbe Stunde lang, es ihr zu erklären, und merke dann, daß es mir nicht gelingt.
Sie meint, daß ich, solange ich die Liebe nicht definieren könne, versuchen sollte, ein Buch zu schreiben.
Ich antworte ihr darauf, diese beiden Dinge hätten nichts miteinander zu tun, ich würde noch heute die Wohnung verlassen, sie könne bleiben, so lange sie wolle. Ich würde ins Hotel ziehen, bis ich eine andere Wohnung gefunden hätte. Sie meint, sie sehe da kein Problem, ich könne jetzt gehen, noch vor Ablauf eines Monats sei die Wohnung wieder frei − sie werde noch am nächsten Tag nach etwas suchen. Ich packe meine Koffer, und sie liest dabei ein Buch.
Ich sage, es sei schon spät, ich würde morgen gehen. Sie schlägt vor, ich solle sofort gehen, denn morgen würde ich mich schwächer fühlen, weniger entschlossen. Darauf frage ich sie, ob sie mich loswerden wolle. Sie lacht, sagt, ich sei es gewesen, der Schluß machen wollte. Laß uns schlafen.
Am nächsten Tag ist der Wunsch, zu gehen, schon nicht mehr so groß, ich beschließe, es mir noch einmal zu überlegen. Esther meint allerdings, die Sache sei noch nicht beendet: Solange ich nicht alles für das riskieren würde, was ich für den wahren Sinn meines Lebens hielte, würden Tage wie dieser immer wieder kommen, sie würde am Ende unglücklich sein und schließlich mich verlassen. Nur würde sie dann ihre Absicht umgehend in die Tat umsetzen und alle Brücken, die ihr erlauben könnten zurückzukehren, hinter sich abbrechen. Ich frage sie, was sie damit sagen wolle.
Einen anderen Liebsten finden, mich verlieben, ist ihre Antwort.
Sie geht zur Arbeit in die Redaktion, und ich beschließe, mir den Tag freizunehmen. (Außer als Songtexter arbeite ich zur Zeit bei einer Plattenfirma.) Ich setze mich an die Schreibmaschine. Ich stehe wieder auf, lese die Zeitungen, beantworte zuerst einmal die wichtigen Briefe, und als ich damit fertig bin, fange ich mit den weniger wichtigen an.
Ich notiere, was ich noch tun muß, höre Musik, mache einen Spaziergang um den Block, unterhalte mich mit dem Bäcker, komme nach Hause zurück, der Tag ist um, und ich habe auf der Schreibmaschine keinen einzigen Satz zustande gebracht. Ich komme zu dem Schluß, daß ich Esther hasse, weil sie mich zwingt, Dinge zu tun, die ich hasse.
Als Esther aus der Redaktion kommt, fragt sie gar nicht erst, sondern erklärt gleich, ich hätte nichts geschrieben, mein Blick sei noch genauso wie gestern.
Am nächsten Tag gehe ich zur Arbeit, aber abends setze ich mich wieder an die Schreibmaschine. Ich lese, sehe fern, höre Musik, setze mich erneut an die Schreibmaschine, und so vergehen zwei Monate, es sammeln sich Seiten über Seiten mit einem »ersten Satz«, aber es gelingt mir nie, einen Absatz zu beenden.
Ich führe alle nur möglichen Entschuldigungen ins Feld − in diesem Land liest keiner, oder ich habe noch nicht den Plot, der mir vorschwebt, oder ich habe zwar eine großartige Geschichte, weiß aber noch nicht, wie ich sie erzählen soll. Außerdem würde ich bis über beide Ohren in Arbeit stecken, müsse diesen Artikel und jenen Songtext fertigschreiben. Weitere zwei Monate gehen ins Land, und eines Tages kommt Esther mit einem Flugticket nach Hause.
»Es reicht«, sagt sie. »Hör auf, so geschäftig zu tun, und rede mir nicht von Verantwortung oder davon, daß die Welt auf das wartet, was du gerade machst. Reise eine Zeitlang.« Später könne ich immer noch Chefredakteur der Zeitung werden, in der ich ein paar Reportagen veröffentlicht habe, könne immer noch Präsident der Plattenfirma werden, für die ich die Songtexte schreibe und die mich nur eingestellt hat, damit ich nicht auch die Konkurrenz beliefere. Auch könne ich später wieder das tun, was ich zur Zeit mache, aber mein Traum könne nicht länger warten. Entweder würde ich ihn jetzt annehmen oder ihn für immer vergessen.
»Wohin geht der Flug?«
»Spanien.«
Ich rege mich mächtig auf, die Tickets seien teuer, ich könne jetzt nicht weg, sei gerade dabei, Karriere zu machen, und müsse mich darum kümmern. Ich würde viele Partner im Musikgeschäft verlieren, das Problem sei nicht ich, das Problem sei unsere Ehe. Wenn ich ein Buch schreiben wolle, könne mich niemand daran hindern.
»Du kannst, du willst, aber du tust es nicht«, sagt sie. »Da das Problem nicht meins, sondern deins ist, bleibst du besser eine Zeitlang allein.«
Sie zeigt mir eine Landkarte. Ich würde nach Madrid fliegen und von dort weiter mit dem Bus in die Pyrenäen fahren, bis an die französische Grenze. Dort beginne der letzte Abschnitt eines mittelalterlichen Pilgerwegs, des Jakobswegs: Ich solle ihn zu Fuß zurücklegen. An seinem Ende werde sie auf mich warten und dann alles akzeptieren, was ich dann sagen würde: daß ich sie nicht mehr liebte, daß ich noch nicht genug erlebt hätte, um ein literarisches Werk zu schaffen, daß ich nie wieder auch nur daran denken würde, Schriftsteller zu werden, daß dies alles nur ein Jugendtraum gewesen sei und nichts weiter.
Es ist nicht zu fassen! Die Frau, mit der ich seit zwei langen Jahren zusammen bin − eine wahre Ewigkeit für mich in einer Liebesbeziehung −, maßt sich an, über mein Leben zu entscheiden, will mich dazu bringen, meine Arbeit aufzugeben, ein ganzes Land zu Fuß zu durchqueren! Das ist dermaßen verrückt, daß ich beschließe, sie ernst zu nehmen.
Ich betrinke mich ein paar Nächte lang, sie ist bei mir und betrinkt sich auch, obwohl sie das Trinken haßt. Ich werde aggressiv, sage, sie sei nur neidisch auf meine Unabhängigkeit, auf diese verrückte Idee sei sie nur gekommen, weil sie gesagt habe, sie wolle mich verlassen. Darauf entgegnet sie, alles sei nur so gekommen, weil ich schon als Schüler davon geträumt hätte, Schriftsteller zu werden, jetzt hätte ich es lange genug aufgeschoben, entweder würde ich mich mir selber stellen oder den Rest meines Lebens damit verbringen, zu heiraten und mich wieder scheiden zu lassen, über meine Vergangenheit hübsche Geschichten zu erzählen und immer mehr abzubauen.
Selbstverständlich kann ich nicht zugeben, daß sie recht hat − aber es stimmt, was sie sagt. Und je deutlicher mir dies wird, um so aggressiver werde ich. Sie nimmt die Aggressionen widerspruchslos hin − sie erinnert mich nur daran, daß der Tag der Abreise näher rückt.
Eines Nachts − mein Flug geht in wenigen Tagen − weigert sie sich, mit mir zu schlafen. Ich rauche einen ganzen Joint, trinke zwei Flaschen Wein und breche mitten im Wohnzimmer ohnmächtig zusammen. Als ich aufwache, wird mir klar, daß ich jetzt ganz unten, endgültig am Boden bin und jetzt nur wieder auf die Füße kommen muß.