Caramon wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Ogern zu. Er war sicher, daß es Oger waren, obwohl sie merkwürdig aussahen. Sie waren kleiner und dicker und hatten strähnige, flachsfarbene Haare, fettig graue Haut und Hände und Füße mit Schwimmhäuten. Caramon war schockiert, Oger neben Minotauren laufen zu sehen, denn in alten Zeiten waren die Minotauren Sklaven der Oger gewesen, und die beiden grausamen Rassen waren eigentlich bis aufs Blut verfeindet.
Die Menschen trugen geflickte, wenn auch farbenprächtige Lumpen. Sie waren hager und von der Sonne verbrannt, aber offensichtlich kräftig. An ihren Gürteln baumelten Entermesser und verschiedene Seefahrerutensilien. Die Oger und Minotauren trugen ähnlich verräterische Werkzeuge und Waffen.
Caramon gab Sturm einen weiteren Stoß mit der Schulter. Diesmal merkte er, daß Sturms Kopf langsam hochkam. Er fühlte, wie Tolpan mit seinen Fesseln kämpfte, doch der Krieger wußte bereits, daß die Anstrengungen des Kenders vergeblich sein würden.
Die Minotauren drängten sich unter Einsatz der Ellenbogen an die Spitze der Enterer. Obwohl es nur vier oder fünf von ihnen waren, beherrschten die bullenhaften Wesen mit ihren edelsteinbesetzten Nasenringen die Gruppe. Über ihrem kurzen, rostroten Fell trugen sie Harnisch und Lendenschurz an ihren massigen Körpern. Die Hörner bogen sich oberhalb ihrer dicken Brauen scharf nach oben. Ihre gespaltenen Hufe klapperten laut über das Deck.
Zwei der Minotauren traten auf die drei Gefangenen zu, blieben aber ein paar Fuß entfernt stehen. Sie besprachen sich – für Minotauren – fast flüsternd, doch Caramon konnte die tiefen, rauhen Stimmen deutlich verstehen.
»Die drei hier?« knurrte einer. Er trug mehrere Äxte und ein bösartig wirkendes Messer, das in einem Lederriemen steckte.
»Dummkopf! Natürlich die hier. Glaubst du, der Nachtmeister würde einen solchen Fehler machen?«
Der üble Gestank der Enterer wirkte auf Caramon wie Riechsalz und klärte seine Sinne von der bisherigen Benommenheit.
Der zweite muß der Anführer sein, dachte Caramon. Um den dicken muskulösen Hals des Minotauren lag ein glänzendes, enges Halsband aus polierten Steinen. Um den Bauch hatte er einen Lendenschurz aus Metallgeflecht gelegt. Er hatte nur einen beschlagenen Flegel dabei.
»Sie sehen armselig aus. Was könnten die schon für eine Bedrohung darstellen?«
»Ich führe nur aus, was der Meister mir aufgetragen hat, Dogz. Ich lese nicht seine Gedanken.«
»Welcher ist es?«
»Das müssen wir jetzt herausfinden.«
Die anderen bildeten jetzt einen Kreis um sie herum. Die massigen, sieben Fuß großen Minotauren versperrten Caramon das Blickfeld. Der mit der Kapuze hielt sich im Hintergrund und war vom Nebel so eingehüllt, daß Caramon nur vage seinen Umriß erkennen konnte. Nur gelegentliches Zischen und fauchende Laute erinnerten ihn daran, daß dort hinten jemand oder etwas war.
Als er sich bemühte, sich aufzusetzen, sah Caramon durch den Dunst ein weiteres Schiff, das weiter hinten trieb. Er konnte nur das Topsegel erkennen, das oben aus den Nebelschwaden ragte. Seiner Schätzung nach war das Schiff etwa dreihundert Schritt entfernt.
»Caramon! Was ist denn hier los?« Das war Sturms Stimme.
Von seinem Blickwinkel aus konnte der Solamnier nicht viel sehen, und aus dem Klang seiner Stimme war zu erkennen, daß er noch nicht ganz bei sich war.
»Minotauren und Menschengesindel«, flüsterte Tolpan, obwohl der noch weniger sehen konnte als Sturm.
»Piraten«, murmelte Caramon.
»Ruhe!« bellte der Anführer. Der Minotaurus ließ seinen Flegel zucken. Er traf Caramon im Gesicht, wo er einen tiefen, erdbeerroten Schnitt auf seiner Wange hinterließ. »Wir sind keine Piraten, du Esel!«
Damit zogen sich die beiden Minotauren in den Nebel zurück, wo die vermummte Gestalt stand. Aus dem gedämpften Knurren, das durch die Luft drang, konnte man schließen, daß die Minotauren sich mit dem eigenartigen Wesen berieten. Die anderen kamen näher an den Mast heran. Der Kreis um die drei Gefangenen schloß sich. Die Augen dieser Leute hatten einen blutrünstigen Ausdruck, der Caramon entschieden beunruhigte.
»Wo sind wir?« fragte Sturm mit leiser Stimme, die jetzt klarer klang.
»Ich hatte gehofft, darauf wüßtest du vielleicht eine Antwort«, erwiderte Caramon finster.
»Wenn ich nur einen Blick auf meine Karten werfen könnte«, mischte sich Tolpan ein.
Caramon schwieg. Lieber gar nichts sagen, dachte er bei sich. Wozu sollten diese Piraten erfahren, wie verwirrt sie waren. Der große Krieger hatte das Gefühl, daß jedes Zeichen der Schwäche ihre Lage nur verschlimmern würde.
Die beiden Minotauren, die mit der vermummten Gestalt beratschlagt hatten, kehrten zurück und bauten sich vor ihm auf. Der mit dem Namen Dogz langte mit seinen schweren, breiten Händen nach Caramon und ließ sie vorn und hinten über seinen Körper gleiten, als ob er nach etwas suchte. Caramon versuchte, sich zu wehren, doch er konnte wenig ausrichten. Trotzig spuckte er dem riesigen, stinkenden Minotaurus ins Gesicht.
Er hörte die Umstehenden kichern, als der Minotaurus überrascht zurückfuhr und den Majerezwilling mit der Kraft eines Schmiedehammers ins Gesicht trat. Caramon spuckte einen blutigen Zahn aus und krümmte sich vor Schmerz, während Sturm ausrief: »Bei meiner Ehre, diesen feigen Tritt wirst du noch bereuen!«
»Das gilt für mich um so mehr!« schrie Tolpan. »Wenn sein Bruder davon erfährt, könnt ihr von Glück sagen, wenn er euch nicht in eine fette Kröte verwandelt. Er wird – «
»Still, Tolpan!« brachte Caramon hervor.
Aber der Minotaurus achtete nicht auf ihn. Dogz war bereits weitergegangen, beugte sich über Sturm und durchsuchte Kleider und Ausrüstung des jungen Ritters mit seinen groben Händen. Der ist es auch nicht, dachte Dogz. Dieser Mensch hatte nichts bei sich, nicht einmal eine Waffe oder einen Beutel.
»Bäh«, grunzte Dogz, als er seine Hand hochnahm, die vom Blut aus der verklebten Wunde an Sturms Hinterkopf verschmiert war. Vor lauter Abscheu verpaßte er Sturm eine Ohrfeige. Der Solamnier nahm den Schlag stoisch hin.
»Das war’s!« kreischte Tolpan, der vergeblich an seinen Fesseln zerrte. »Jetzt kannst du nicht mehr zurück! Sturm hat sein ganzes Leben noch keinem Unbewaffneten etwas getan, jedenfalls nicht, solange ich ihn kenne! Und das sind Jahre, nämlich mindestens ein oder zwei bis jetzt. Und er ist so ziemlich der edelste, anständigste Mann, dem du je begegnen wirst, abgesehen von mir.«
Diesmal schien die Kenderstimme den Minotaurus zu überraschen, als hätte er sich bisher nicht dazu herabgelassen, Tolpan wahrzunehmen. Caramon hörte, wie Dogz Luft holte und zurücktrat, um mit seiner leisen, grollenden Stimme mit dem Anführer zu reden.
»Der dritte ist ein Kender, Sarkis.«
»Und?«
»Kender sind unrein. Sie wandern umher und leben vom Stehlen und Betrügen. Wenn man einen berührt, heißt es, zieht man Verachtung oder, schlimmer noch, eine Krankheit auf sich. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, den da zu durchsuchen.«
Hinter den beiden Minotauren ertönte ein wütendes Zischen. Hinter Caramon erhob sich Tolpans beleidigte Stimme:
»Unrein! He, du großer Hornochse! Ich möchte dir mitteilen, daß ich regelmäßig bade. Mein Gesicht habe ich gestern erst gewaschen, um genau zu sein – jedenfalls wenn ich recht vermute, daß heute der Tag nach gestern ist, was ich nicht sicher weiß, weil ich keine Ahnung habe, wo ich bin und wie lange es gedauert hat, mich hierher zu befördern. Aber wenn du persönliche Körperpflege zur Sprache bringen willst, dann schlage ich vor, du nimmst mal deine tellergroßen Nüstern, bückst dich und schnupperst an dir selbst!«
Sturm biß sich auf die Zunge.
Caramon verdrehte die Augen.
Der menschliche Abschaum und die Oger mit den Schwimmhäuten lachten höhnisch.
Der mit dem Namen Sarkis ging an Dogz vorbei und tauchte in den grauen Nebel bei der verhüllten Gestalt ein. Diesmal konnte Caramon kein einziges Wort verstehen, nur wildes Schnauben, das von gutturalen Silben und Zischen unterbrochen wurde. Der Anführer beriet sich offensichtlich mit der geheimnisvollen Gestalt.