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Es waren sowohl minotaurische als auch menschliche Gefangene, wie der Zwilling überrascht feststellte. Trotz der Demütigung durch die Gefangenschaft starrten die gefangenen Minotauren Caramon voll bitterer Verachtung an. Obwohl er ihnen brachte, was sie lebensnotwendig brauchten, war Caramon für sie nur ein Angehöriger der minderwertigen Rasse Mensch.

Die meisten Gefangenen waren Abtrünnige, Piraten oder Schlimmeres. Manche waren so müde, krank oder verletzt, daß sie nicht einmal reagierten, wenn Caramon ihr Essen brachte. In mindestens einem Fall war Caramon sich sicher, daß der Gefangene, der einsam in einer Ecke zusammengekugelt lag und von Insekten bekrabbelt wurde, längst tot war. Er sagte dies der Minotaurenwache, die immer in der Nähe war, um ihn zu beobachten.

Der Wächter reagierte gleichgültig, sah allerdings näher hin und schrieb etwas in ein ledergebundenes Buch, das an seiner Seite hing.

Am hintersten Ende des einen Gangs lag eine einzelne Zelle, die mehrere hundert Fuß von ihrem nächsten Nachbarn entfernt war. Das war der seltsamste Fall von allen. Eine elende Gestalt war an der Innenwand so festgezurrt, daß sie aufrechtgehalten wurde und weder sitzen noch liegen konnte. Der Körper wirkte gebrochen. Der Kopf hing herunter. Der Mann mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um aufzuschauen, als Caramon taumelnd mit den Fleisch- und Wassereimern zu ihm kam.

Caramon konnte in der schwach erleuchteten Zelle kaum etwas sehen, doch er erkannte, daß der Mann einen ovalen Kopf hatte. Seine Augen waren winzige, schwarze Löcher. Eiter und Blut quollen ihm aus Schultern und Rücken, als ob man ihm etwas Lebenswichtiges abgerissen hätte. So wie er da hing, sah er nicht so aus, als ob er überhaupt noch am Leben sein könnte, doch beim Anblick von Caramon brachte er ein neugieriges, tapferes Lächeln zustande.

Caramon fragte sich, wie der gebrochene Mann herkommen sollte, um sein Fleisch zu essen und sein Wasser zu trinken. Nachdem er die Eimer abgestellt hatte, zögerte der Krieger.

»Na los«, knurrte die Minotaurenwache einige Fuß hinter Caramon. »Hin und wieder lassen wir ihn essen. Ansonsten kann er es ansehen und riechen, wie es verfault. Das gehört hier alles zum Service.«

Caramon ließ sich Zeit, während er das Fleisch abmaß und etwas Wasser in den Trog des Mannes schöpfte. Wie erwartet hatte sich die Minotaurenwache müßig umgedreht und war einige Schritte den Korridor heruntergewandert. Der Wächter beobachtete sie nicht mehr genau.

»Warum hat man dich angekettet?« wisperte Caramon leise.

»Damit ich mich nicht selbst töte«, sagte der gebrochene Mann. »Ich ziehe den Tod der Unterwerfung vor.«

»Warum bist du hier?«

»Ich werde verhört«, antwortete der Mann in merkwürdig belustigtem Ton.

»Was hast du getan?«

»Ich gehöre nicht zu ihnen. Das reicht.«

Caramon drehte sich um.

»Warte!« flüsterte der Mann. »Bist du einer von den neuen Menschen?«

Caramon schaute ihn erstaunt an. Er warf einen Blick auf die Wache. Der Stiermensch achtete nicht auf ihn. Er kehrte ihnen den Rücken zu und schlug müßig mit dem Schwert gegen die Wände des Gangs.

Caramon beugte sich zu dem gebrochenen Mann hin. »Was meinst du?«

»Bist du einer von den Menschen, die aus dem Meer gezogen wurden?«

»Ja«, sagte Caramon verwundert. »Woher weißt du das?«

»Pst. Nicht jetzt. Ein andermal.«

Die Minotaurenwache drehte sich um, weil das Warten sie langweilte. »He, du, keine Bummelei! Mach schon!«

Mit einem Nicken verabschiedete ihn der angekettete Mann. Widerstrebend folgte Caramon dem Minotaurus. Seine Arme und Schultern schmerzten vom Tragen der schweren Eimer.Obwohl man sie nicht gezielt beobachtete, beschlossen Caramon und Sturm, sich nur nachts zu unterhalten, wenn es dunkel war. Caramon erzählte Sturm im Flüsterton von dem seltsamen Mann, der in der Zelle angekettet war, und wie er anscheinend von den Menschen gewußt hatte, die man »aus der See gefischt« hatte. Sturm dachte darüber nach, doch er konnte sich nicht vorstellen, wie der Gefangene von ihnen erfahren haben konnte. Er mußte sie mit anderen verwechseln, beschloß der junge Solamnier.

Sehnsüchtig redeten sie von Solace und ihren Freunden, Tanis, Flint und Raistlin, Caramons Zwillingsbruder.

Sie fragten sich, was aus Tolpan geworden war, und warum die Minotauren, die das Wrack der Venora geentert hatten, den Kender lebend haben wollten. Nachdem Sturm mögliche Gründe durchdacht hatte, sagte er, daß Tolpan bestimmt einen schlechten Sklaven abgeben würde, falls er noch lebte. Und als Gladiator gegen minotaurische Gegner hatte er wohl auch wenig Chancen.

»Oh, ich weiß nicht«, widersprach Caramon mit breitem Grinsen. »Wenn die Tolpan mit seinem Hupak losschlagen lassen, hat er durchaus eine Chance.«

Beide mußten kichern, als sie sich vorstellten, wie Tolpan seinen Hupak gegen so einen Stiermenschen einsetzen würde.

Sturm stellte fest, daß es das erste Mal seit über einer Woche war, daß einer von ihnen gelächelt oder gelacht hatte. »Was glaubst du, wie lange es her ist«, fragte er Caramon, »seit wir vom Kapitän der Venora verraten wurden und in diesem Teil der Welt gelandet sind?«

»Ich hab’ nicht mehr mitgezählt. Ich würde sagen, zehn, zwölf Tage.«

»Das klingt ungefähr richtig«, sagte Sturm entmutigt. »Glaubst du, Raistlin und die anderen suchen uns? Glaubst du, wir kommen je hier raus?«

Caramon sah seinen Freund an, weil ihn der trübsinnige Ton überraschte. In der Finsternis konnte er nur gelegentlich einen Widerschein von Sturms Augen sehen. Diesmal war es der Zwilling, der Zuversicht fühlte. Er streckte die Hand aus und berührte den jungen Solamnier an der Schulter. »Vertrau auf die Götter«, sagte Caramon.

»Ja«, wiederholte Sturm. »Vertrau auf die Götter.«

Sie schliefen auf dem Steinboden, so gut es ging, und wärmten sich gegenseitig den Rücken.

Vier weitere Tage und Nächte vergingen mit quälender Langsamkeit. Manchmal hörten sie Geräusche, die so klangen, als würden tote Körper herausgeschleift.

Einmal kam der wichtige Minotaurus mit den Abzeichen zurück, um sie noch einmal zu begutachten. Diesmal war ein knochiger Menschensklave bei ihm, der Lumpen und dicke Sandalen trug. Der Minotaurus sagte nichts, sondern starrte sie nur mit verschränkten Armen abschätzig an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war undurchschaubar. Der Menschensklave scharwenzelte und sabberte zu seinen Füßen herum und murmelte unverständliche Laute. Der Minotaurus streichelte ihm wie einem Hund den Kopf. Schließlich machte der Minotaurus auf dem Absatz kehrt und ging. Der Menschensklave sprang ihm hinterher.

Diesmal hatte Sturm während des Begutachtens seine Zunge im Zaum gehalten, denn er hatte beschlossen, sich seinen Zorn aufzusparen, bis er wirklich eine Chance hatte, zurückzuschlagen.

Caramon war der Glücklichere. Einmal am Tag ließ man ihn aus der Zelle, damit er Wasser und Fleisch an die anderen Gefangenen verteilen konnte. Durch die Arbeit kam er rasch wieder zu Kräften, und die Eimer schienen jeden Tag leichter.

Der Ablauf war immer gleich: Zwei Wachen ließen ihn heraus, dann zog sich die eine wieder auf den Posten am Eingang des Kerkers zurück, während die andere Caramon auf seiner Runde begleitete und immer in der Nähe blieb.

Am Posten waren Tag und Nacht stets mindestens ein Dutzend bewaffnete Minotauren stationiert. Dort hinauszurennen, wäre Selbstmord gewesen. Es schien keine Möglichkeit zur Flucht zu geben.

Am zweiten Tag seiner neuen Arbeit hatte Caramon den gebrochenen Mann wieder gesehen. Er war eindeutig während der Nacht gefoltert worden. Schultern und Rücken bluteten stark.

Schlaff und bewußtlos hing der Mann in seinen Fesseln. Wieder sprach Caramon ihn flüsternd an, doch diesmal erhielt er keine Antwort.

Die Minotaurenwache schrie den Majerezwilling an, sich zu beeilen.