»Noch eine Nacht und ein Tag«, schätzte Kirsig, die hinter dem Majerezwilling aufgetaucht war.
»Wo ist Flint?« fragte ich sie.
»Da drüben.« Die Halbogerin zeigte stolz auf einen Mast, wo Flint im Sitzen völlig durchnäßt mit mürrischem, aber entschlossenem Gesicht eines der Seile festhielt, die die Seitenruder hielten.
Eine Nacht, die uns an die Grenzen unseres Durchhaltevermögens brachte. Der Wind heulte, als er die See in einen schwarzen Vorhang aus blendendem Sprühregen verwandelte. Der Donner krachte pausenlos, und einmal trafen Blitzkugeln das Deck, fällten einen Nebenmast und brachen den Hals des armen Seemanns, der darunter stand. Wir mußten uns an Stangen und Haken binden, um nicht in das tobende Wasser gespült zu werden. Keiner schlief. Selbst eine kurze Pause wurde durch brutale Unterbrechungen unmöglich gemacht – ein Blitzschlag, ein Donnergrollen, peitschender Regen oder etwas Hartes, das der unaufhörliche Wind uns ins Gesicht schleuderte.
Immer noch klammerten sich Kapitän Nugeter und Yuril am Ruder fest.
Zwei Mitglieder der Mannschaft haben wir im Kampf mit dem Blutmeer verloren. Der Rest sehnt sich angesichts der Aussichten auf das nicht enden wollende Unwetter fast danach, sich dem wütenden Mahlstrom, zu ergeben.
Raistlin ist fast den ganzen Tag erschöpft in seiner Kabine geblieben. Flint wurde mit tiefliegenden Augen und triefnassen Brauen von Yuril nach unten geschickt, als sie seine Benommenheit bemerkte.
Gegen Mittag flaute der Sturm kurz ab. Inzwischen wußten wir schon, daß es anschließend einen furchtbaren, neuen Ausbruch geben würde.
In der Stille hörten wir Stöhnen, Schreie und gackerndes Lachen, das vom Wind herangetragen wurde. Das Schiff begann, sich mit erschreckender Geschwindigkeit zu drehen. Es war schlimmer als alles, was wir bisher erlebt hatten.
Die Mannschaft stand fast hysterisch da und zeigte ins aufgewühlte Wasser. Ich sah nichts, aber sie erzählten von grausigen Dingen – grinsenden Fratzen, Klauenhänden und spitzen Hörnern –, die gegen das Schiff stießen, damit es sich um sich selbst drehte.
Yuril befahl ihnen laut, an ihre Posten zurückzukehren. Kapitän Nugeter selbst war ebenfalls kreidebleich vor Entsetzen, doch seines rührte nicht von Einbildungen her.
»Wir sind zu weit! Wir sind im Strudelring und nähern uns der See der Schrecken!« schrie er mit angstverzerrtem Gesicht. »An die Ruder! Werft den Anker! Fertigmachen – «
Seine Stimme ging in dem sich erhebenden Tosen fast unter. Ein roter Nebel erhob sich aus dem Meer, trieb über das Deck und drang durch die Ruderlöcher herein. Kleine, rote Blutteufel mit ledrigen, fledermausartigen Flügeln, gegabelten Schwänzen und gekrümmten Hörnern erhoben sich aus dem Nebel und schwärmten die Masten hoch, um an der Takelage zu zerren und Seile zu lockern. Ihre Haut war dunkelrot wie das Blutmeer selbst, ihre langen Zähne glänzten weiß.
Mit ihrem Gekicher, Geschrei und Getobe entfesselten sie eine Panik auf dem Schiff.
Einige Männer rannten los, um gegen die Männchen zu kämpfen, doch der Kapitän rief ihnen zu: »Ihr Dummköpfe, das sind Illusionen!«
Illusionen, na gut, aber im nächsten Augenblick sah ich, wie zwei von ihnen einen Seemann packten und über Bord warfen.
Ich konnte Raistlin ausmachen, der auf der Treppe zu unseren Kabinen stand. Er senkte den Kopf, bewegte die Hände und murmelte einen Spruch. Zu meinem Erstaunen verschwanden die Klabautermänner, obwohl der rote Nebel blieb. Gleich darauf war der junge Magier nicht mehr zu sehen. Kaum einer hatte mitbekommen, was er getan hatte.
In der Zwischenzeit brach der Sturm mit aller Wucht wieder los.
Flint kämpfte sich zu mir durch. So entsetzt hatte ich ihn noch nie erlebt. »Was sollen wir machen?« schrie er.
Einen Augenblick lang war ich unsicher. »Da!« schrie ich. Wir sahen, wie sich Yuril mit ein paar anderen Seeleuten abmühte, den schweren, klauengleichen Anker zu lösen, was durch den heftigen Wind und den Regen um so schwieriger war. Wir liefen hin und landeten neben Kirsig, die sich zu einem Grinsen zwang, als sie ihre ganze Kraft in die Arbeit einbrachte.
Ich merkte, wie unter uns die Ruder zu ziehen begannen, aber ich hörte auch, wie einige von ihnen in der Wucht der Strömung und der Wellen zerbrachen.
Das Schiff tanzte wild hin und her. Einige von uns, einschließlich mir, fielen aufs Deck.
»Jetzt!« rief Kapitän Nugeter.
Nachdem wir wieder standen, gelang es uns, den Anker über die Seite zu hieven. Das dicke Seil spulte sich so schnell ab, daß einer der Matrosen einen Eimer Wasser darüber ausleerte, damit es sich nicht entzündete. Minutenlang sackte es in blutrotes Wasser und erreichte fast das Ende des Rads, ehe es endlich den Grund traf.
Erstaunt rief Yuril aus: »Noch nie habe ich von einer solchen Tiefe gehört!«
Wie Kapitän Nugeter erwartet hatte, stabilisierte der Anker das Schiff kurzfristig. Aber wegen des Winds und des Sturms zerrte die Castor am Ankerseil und drohte es durchzureißen.
Flint stand daneben und hielt eines seiner kurzen Beile bereit. Als Kapitän Nugeter »Jetzt!« schrie, schlug der Zwerg zu und durchtrennte das Ankertau mit einem sauberen Hieb. Die Spannung des Seils war so stark, daß das Schiff jetzt praktisch mehrere hundert Fuß durch die Luft sprang und so dem Sog entkam.
Zur selben Zeit waren Yuril und ich bei den Matrosen auf dem Achterdeck angelangt, die die Extraruder bereithielten.
Gerade als das Schiff herunterkrachte und bevor es wieder in der Strömung gefangen werden konnte, ließen wir die neu gebauten Ruder los. Bei einem Blick über die Seite konnte ich sehen, wie sie ins Wasser fielen und wie Delphine hinter dem Schiff hertanzten.
»Jetzt!« schrie Kapitän Nugeter wieder über das Toben des Sturms.
Ich merkte, wie die Rudermannschaft mit vereinten Kräften pullte, und diesmal sauste das Schiff aus eigener Kraft in nordöstliche Richtung. Indem jeder verfügbare Seemann und jede Frau an den Rudern saß, hielt die Mannschaft die Castor auf Kurs Nordost und schob sie weiter und weiter vom gefährlichen Kern des Blutmeers weg.
Das Schlimmste war vorbei. Jetzt hielten wir über Feuerwasser auf Mithas und Karthay zu. Die Seeleute feierten ihren Sieg über den Mahlstrom. Seltsam wild sahen sie aus mit ihren salzverkrusteten Lippen und den Tangfetzen in den Haaren.
Kapitän Nugeter ließ jedem von uns eine Ration Brandy als eine Art Belohnung zukommen.
Das Schiff hatte überraschend wenig Schaden genommen, wenn man bedachte, welch eine Schlacht wir hinter uns hatten. Ein Mast und eine Reihe Ruder waren gebrochen. Teile, die der Sturm herumgeweht hatte, hatten einige Segel zerfetzt, obwohl sie aufgerollt gewesen waren. Kirsig machte sich beim Nähen nützlich, und auch ich kenne mich damit etwas aus. Gemeinsam flickten wir die Segel. Die Männer rissen sich gerne ihre Hemden vom Leib, um grobe Flicken zu liefern.
Ein paar Matrosen durchstreiften das Schiff und kümmerten sich um Lecks, die aber alle harmlos waren.
Flint setzte sich in den Kopf, einen Ersatzanker zu bauen, der reichen mußte, bis die Castor wieder einen Hafen anlief. Nachdem er Bleistücke und anderes weiches Metall aus dem Schiff zusammengesucht hatte, schmolz er alles in einem riesigen Topf zusammen und konnte es zu einem gesprenkelten Senkgewicht hämmern, das Yuril zufriedenstellend fand. Der neue Anker wurde an die Stelle des alten gelegt.
Die Wellen waren weiterhin hoch und stürmisch. Das Wasser hatte sich nur leicht geklärt; es hatte immer noch jene beunruhigende, rostrote Farbe. Obwohl es harte Arbeit war, die Castor zu reparieren und auf Kurs zu halten, fühlten wir uns alle sehr erleichtert.
Wir hatten starken Rückenwind. Über uns schien eine Sonne, die täglich heißer wurde. Am Himmel bildete sich Dunst, der nicht weichen wollte.
Raistlin ist über Tag in seiner Kabine geblieben und läuft nachts an Deck auf und ab. Flint und ich haben festgestellt, daß er uns nicht alles gesagt hat, was ihn beschäftigt.