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»Außer«, betonte Drei Weitblick-Augen, »vergeßt nicht das eine. Die Jalopwurz kommt auf Mithas und Karthay häufig vor, in anderen Teilen der Welt jedoch sehr selten, wenn überhaupt. Und wie andere Dinge auf Mithas erklären die Minotauren sie zu ihrem heiligen Eigentum und messen ihr bestimmten rituellen Nutzen zu.«

Sonnenfeder nickte weise.

Die Zeit verstrich. Jetzt brachte die junge Kyriefrau, deren Gesicht atemberaubend schön und deren rote Haare goldgetupft waren, Tassen und Schalen und stellte sie vor Caramon und die anderen.

Dem Beispiel der Kyrie folgend, tauchte Caramon seine Finger in ein Becken mit kaltem Wasser. Nach dem Waschen trocknete er sich die Hände ab. Aus den Schüsseln wählte er Nüsse, Beeren und Salat aus. Die ältere Frau tauchte hinter seinen Schultern auf und füllte ihm einen Haufen kleiner, roher Fleischwürfel auf den Teller.

Nachdem alle eine Weile gegessen hatten, sagte Wolkenstürmer: »Ein Posten hält sich ständig im Tunnel auf. Er bewacht Morgenhimmel, weil er trotz allem hofft, daß sich die Umstände ändern. Wir haben nur wenig mit ihm gesprochen, immer heimlich. Es wäre unklug, ein Risiko einzugehen. Wenn es Morgenhimmel möglich ist, spricht er mit uns. Selbst wenn die Minotaurenwachen ein paar Worte mitbekommen, verstehen sie unsere Muttersprache nicht, so daß sie es für Delirium halten. Auf diese Weise konnten wir Morgenhimmel von den zwei Menschen erzählen, die gefangengenommen und in den Kerker gebracht worden waren. Nachdem wir es mit ihm besprochen hatten, beschlossen wir, deine Befreiung zu riskieren.«

»Warum?« fragte Caramon nachdenklich.

»Zum einen habe ich gesehen, wie du dich meinem Bruder gegenüber verhalten hast«, antwortete Wolkenstürmer.

»Du hast mich gesehen?«

»Ich war im Tunnel. So nahe bei meinem Bruder konnte ich durch seine Augen sehen, durch die Steinwände hindurch. Mein Herz schlägt im gleichen Rhythmus wie seins. Mein Kopf teilt seine Gedanken. Ich hörte deine Worte und sah dich und glaubte, daß du ein guter, mitfühlender Mensch bist.«

Caramon schwieg. Er dachte an seinen eigenen Bruder, Raistlin. War es nicht auch so mit ihm und Raist? Daß sie mitunter durch die Augen des anderen sehen konnten? Daß auch ihre Herzen wie eines schlugen?

»Wir haben wenig Erfahrung mit Menschen«, warf Sonnenfeder diplomatisch ein. »Ich selbst habe in meinen dreihundert Jahren auf dieser Erde noch nie einen von Angesicht zu Angesicht gesehen.«

»Dreihundert Jahre!« rief Caramon aus. Der junge Krieger wußte, daß Zwerge und Elfen lange lebten, aber Sonnenfeder war bereits dreimal so alt, wie Caramon je werden konnte.

»Ja«, gab Sonnenfeder schmunzelnd zu. »Ich bin alt und nicht mehr ganz auf der Höhe. Wenn ich nicht mehr bin, wird es an Wolkenstürmer sein – «

»Vater!« rief Wolkenstürmer, der den Arm hochriß und eine ärgerliche Geste machte.

Die Kyriefrau sah betroffen aus. Drei Weitblick-Augen senkte den Blick. Sonnenfeder zog eine schuldbewußte Miene.

»Wolkenstürmer hat recht«, sagte der Anführer der Kyrie. »Es ist nicht recht, von Morgenhimmel zu reden, als wäre er bereits tot. Morgenhimmel ist der Erstgeborene und rechtmäßige Erbe der Herrschaft. Aber – « Seine Stimme brach.

Drei Weitblick-Augen wechselte eilends das Thema. »Die meisten Menschen, die wir kennen«, sagte Drei Weitblick-Augen freundlich, »sind Räuber oder Sklaven. Aber unsere Legenden erzählen, daß Menschen klug, einfühlsam und treu sein können. Außerdem war es uns das Risiko wert, die Stiermenschen zu beschämen. Die Nachricht einer Flucht aus ihren Gefängnis in Atossa wird sie tief entehren.«

»Werden sie nicht Morgenhimmel bestrafen?« sorgte sich Caramon.

»Sie werden meinen Bruder niemals hinrichten«, sagte Wolkenstürmer grimmig. »Sie werden ihn am Leben erhalten, solange sie können.«

Nachdem das Mahl vorüber war, holte die Kyriefrau Pfeifen, Kautabak und eine Schüssel mit dicken, aufgeschnittenen Stücken einer gummiartigen Wurzel heraus. Wolkenstürmer wählte eine Pfeife mit langem Stiel, füllte sie mit etwas aus einem Beutel und saugte sinnend daran. Drei Weitblick-Augen kaute Tabak. Sonnenfeder griff nach der Wurzel, und Caramon schloß sich ihm aus Gründen der Höflichkeit an.

Draußen war es dunkel und still geworden. Die ältere Frau ging in der Höhle herum. Sie griff nach einigen kleinen Kugeln an der Wand, die durch ihre Berührung magisch entzündet wurden und ein blaßblaues Licht von sich gaben.

Caramon kaute auf der Wurzel herum, ohne an etwas Bestimmtes zu denken. Sie hatte einen milden, angenehmen Geschmack. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Sein Körper schmerzte, und sein Geist ebenso.

Beim Kauen strömte ein Kitzeln durch seinen Körper. Caramon merkte, wie sich seine Muskeln entspannten. Sein Geist schwebte frei herum. Er fühlte sich nicht mehr müde und traurig. Seine Gedanken wanderten zu Raistlin. Er fragte sich, wo sein Zwillingsbruder war und ob Raist irgendeine Ahnung hatte, wo Caramon steckte.

Er machte sich Sorgen um seinen Bruder. Kitiara hatte ihm eingebleut, daß es seine Sache war, sich um seinen Zwillingsbruder zu sorgen, auch wenn Caramon wußte, daß Raistlin sich im Moment wohl ebenso viele Gedanken um ihn machte. Caramon hoffte von Herzen, daß er für diese Kyrie ein guter Vertreter der Menschheit war, da sie wie Sonnenfeder nie zuvor einen Menschen kennengelernt hatten. Bestimmt hätte Raistlin die Lage besser begriffen und wäre ein eindrucksvollerer Vertreter der Menschen gewesen.

Caramon dachte an Tolpan. Armer Tolpan. Wahrscheinlich war der Kender tot. Was konnten die Minotauren von ihm gewollt haben? Etwas Dunkles, Unangenehmes, da war sich Caramon sicher. Tolpan war nicht im Gefängnis gewesen, auch nicht in Atossa, sonst hätten die Kyrie ihn bestimmt bemerkt, überlegte Caramon. Kender übersieht man nicht so leicht.

Der junge Krieger sah sich unter den Kyrie in der Höhle um, die ihm zunickten. Er fragte sich, ob sie seine Gedanken lesen konnten. Im gleichen Augenblick war es fast so, als könnte er ihre lesen. Er spürte ihre tiefe Verzweiflung wegen Morgenhimmel und zugleich das Störrische, Unverwüstliche an diesem Volk. Sie waren eine bemerkenswerte Rasse. Es erfüllte ihn mit Stolz, als Gast bei den alten Kyrie zu sein.

Caramons Gedanken wandten sich Sturm zu. Sturm hätte sich hier oben in den Bergen weniger wohl gefühlt, trotz des guten Essens und dieser angenehmen Wurzel zum Nachtisch – nicht solange sein Freund Caramon derjenige war, der im Gefängnis zurückgelassen worden war.

Die Minotauren würden ihre Verärgerung vielleicht nicht an Morgenhimmel auslassen, erkannte Caramon urplötzlich. Aber sie würden vielleicht – wahrscheinlich – Sturm foltern.

»Ich muß zurück«, erklärte der Mann aus Solace plötzlich, wodurch er die Kyrie erschreckte, denn er brach die harmonische Stille, die in der Höhle geherrscht hatte. Caramon machte ein entschlossenes Gesicht. »Ich muß zurück und meinen Freund Sturm retten.«

Die Gesichter um ihn herum waren voller Ablehnung. »Das wäre unklug«, sagte Sonnenfeder.

»Dumm«, sagte Wolkenstürmer, der seine Pfeife hinlegte.

»Ich – ich – « Caramon versagte die Stimme. Er war nicht so beredsam wie sein Bruder. »Ich muß zurück«, wiederholte Caramon. »Sturm Feuerklinge würde gewiß versuchen, mich zu retten. Kein Risiko würde ihn davon abhalten, keine hundert, ach was, tausend Minotauren. Er würde es als Gebot der Ehre ansehen. Ich kann nur versuchen, genauso zu handeln wie er.«

»Aber wie kommst du in das Gefängnis?« fragte Drei Weitblick-Augen voller Mitgefühl. »Und, was wichtiger ist, wie kommst du heraus?«