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Caramon hatte darauf keine Antwort. Er wandte sich an Wolkenstürmer. »Du sagst, ihr habt die ganze Zeit einen Posten im Tunnel?«

»Ja«, erwiderte Wolkenstürmer. »Tag und Nacht.«

»Dann werde ich seine Berichte anhören, achtgeben und warten. Ich werde eine Gelegenheit finden. Selbst, wenn sich nichts ändert, muß ich trotzdem etwas unternehmen.«

Alles schwieg still. Caramon sah Sonnenfeder an, denn er wartete, daß der Kyrieführer etwas sagte. Das Gesicht des Alten war ausdruckslos.

»Ich gehe mit dem Menschen!« sagte Wolkenstürmer unvermittelt.

Sonnenfeder wirkte schockiert. »Das kannst du nicht, mein Sohn! Du hast bereits zuviel riskiert. Du mußt nicht nur deine eigene Zukunft bedenken, sondern auch die Zukunft der ganzen Rasse.«

Wolkenstürmers Augen blickten hart und stur. »Ich gehe kein Risiko ein, das du nicht selbst auf dich nehmen würdest – wenn du nicht so ein alter Knochen wärst.« Obwohl Wolkenstürmers Worte den Vater wie Schläge trafen, glänzten Sonnenfeders Augen unmißverständlich vor Stolz. »Ich bewundere diesen Caramon«, sagte Wolkenstürmer. »Ich würde gern seinem Freund helfen, so wie ich ihm geholfen habe.«

Caramon schüttelte Wolkenstürmer die Hand. Diesmal legte der Kyrie seine andere Hand in solidarischer Gebärde auf die Caramons.

Drei Weitblick-Augen meldete sich zu Wort. »Wenn Wolkenstürmer geht, sollten andere, die Lust haben, mit den Minotauren zu kämpfen, Gelegenheit bekommen, sie zu begleiten. Der Mensch sollte in die Kriegergemeinschaft gebracht werden.«

Wolkenstürmer erschien bei diesen Worten dankbar. Obwohl Caramon nicht wußte, was die Kriegergemeinschaft war, überraschte ihn die Inbrunst in den Worten des alten Vogelmanns.

Lange Minuten starrten sich Sonnenfeder und Wolkenstürmer von Vater zu Sohn an. »Du mußt tun, wozu es dich treibt«, sagte Sonnenfeder schließlich schweren Herzens. Der Anführer der Kyrie seufzte. »Aber tue nichts Unüberlegtes – und heute nacht tust du gar nichts. Einverstanden? Also, es ist Schlafenszeit. Zeit, uns im Schlaf die Dinge zu erträumen, die wir zu tun hoffen.«

Auf dieses Zeichen von Sonnenfeder verließen Drei Weitblick-Augen und die junge Kyriefrau die Höhle. Wolkenstürmer zögerte, nickte Caramon freundlich zu und ging dann ebenfalls. Sonnenfeder legte Caramon seinen gefiederten Arm um die Schulter, als der Majerezwilling aufstand, um zu gehen.

»Du schläfst hier«, sagte Sonnenfeder. Er zeigte in die Ecke, wo die alte Kyriefrau noch dabei war, einen dicken Stapel Pelze aufzuschichten.

»Aber das ist dein Haus«, wandte Caramon ein, »und ich habe dir nichts als Leid gebracht.«

Sonnenfeder schüttelte den Kopf. »Du hast nichts gebracht, das nicht schon vor deiner Ankunft hier gewesen wäre«, sagte der alte Kyrie. »Und solange du bei uns bleibst, wünsche ich, daß du diese Höhle als dein Zuhause ansiehst. In den Bergen sind die Nächte kalt, und du bist an das Klima nicht gewöhnt.«

Caramon machte den Mund auf und wollte protestieren, aber Sonnenfeder hob abwehrend die Hand. »Ich bin überall bei meinem Volk willkommen«, sagte der Kyrieführer, »und brauche mich nicht um einen Platz zum Schlafen und Essen zu sorgen. Und in manchen Nächten ziehe ich sogar den offenen Himmel vor.« Sein dunkles Gesicht verzog sich zu einem verknitterten Lächeln. »Auch wenn ich ein alter Knochen bin.«

Caramon hatte keine Einwände mehr. In Wahrheit war er froh über die behagliche Höhle.Die nächsten paar Tage lebte Caramon wie die Kyrie in dieser Höhlenstadt an den steilen Klippen, welche die tiefen Täler hoch im Norden von Mithas säumten.

Der größere, schlankere Wolkenstürmer konnte Caramon leicht mit seinen Klauenfüßen von Plateau zu Plateau tragen. Wo er auch hinkam, war Caramon der Neugierde der Kyrie ausgesetzt, auch wenn er unweigerlich herzlich empfangen wurde. Während vor allem die Frauen in ihrer Kyriesprache über ihn schwatzten, benutzte der Großteil der Vogelmenschen in seiner Gegenwart die Gemeinsprache. Ihre Gastfreundschaft war überwältigend. Viele von ihnen schienen die Geschichte seiner Flucht und seine Beziehung zu Morgenhimmel bereits zu kennen.

Manche der Kyriehöhlen waren so groß, daß sie ein Dutzend Familien beherbergen konnten, wie Caramon bemerkte, während andere Familien lieber für sich allein in sonnenerhellten Mulden am Fuß der Klippen lebten. Die gelegentlichen Holzbalken und Leitern, die Caramon sah, waren von meilenweit her durch die Luft geschleppt worden, wie Wolkenstürmer ihm erzählte. Holz wuchs in dieser Höhe nicht und war ein rechter Luxus und daher ein Statussymbol.

Die zähen, schlauen Kyrie hatten sich zum Überleben einzigartig auf ihre Umgebung eingestellt, die bei Tag heiß und ausgedörrt war, bei Nacht kalt und trocken. Regenwasser war kostbar. Der wenige Regen wurde in Becken am Grund des Canyons aufgefangen, wohingegen nur eine kleine Menge oben in den Höhlenstädten aufbewahrt wurde, wo die Feuchtigkeit wegen der unablässigen Einwirkung von Sonne und Wind rasch verdunstete. Die Kyrie hatten in den Felsboden Bewässerungskanäle gegraben und Dämme errichtet. Die Kanäle waren tief, damit weniger Wasser der Sonne ausgesetzt war, und schmal, damit man sie in kalten Nächten abdecken konnte.

Eselhasen, Wildkaninchen, Maultierhirsche und kleine Nager versorgten die Kyrie mit Fleisch. Die Männer, denen diese Pflicht auferlegt war, gingen täglich auf die Jagd. Obwohl die Kyrie kein Bauernvolk waren, besaß jede Familie einen kleinen, bewässerten Garten. Der Garten ergänzte ihre Mahlzeiten mit Kaktusfeigen, Nüssen, Bohnen und Samen. Bei Streifzügen durch die Täler sammelten sie wildes Getreide. Als schlanke, drahtige Rasse aßen die Kyrie wenig – nur eine Hauptmahlzeit am Tag.

Caramon fragte Wolkenstürmer nach den magischen, blauen Kugeln, die nachts für Beleuchtung innerhalb der Höhlen sorgten. Es gab sie überall. Wie Wolkenstürmer erklärte, hatten viele Kyrie gewisse magische Kräfte. Als Volk waren sie vor allem für ihre Fähigkeit bekannt, mit den Tieren reden und sie bezaubern zu können. Aber von den magisch Begabten waren die am angesehensten, die das Wetter vorhersagen oder beeinflussen konnten. Auf jeden Fall waren die blauen Lichtkugeln ein sehr einfacher Zauber, wie Wolkenstürmer sagte.

Während die Männer auf die Jagd gingen, waren die Frauen damit beschäftigt, zu töpfern, Lederkleider zu nähen und Muscheln zu schnitzen. Während Menschen ihre Sachen gern in Beuteln oder Rucksäcken tragen, hängten sich viele der Kyrie kleine Körbe um den Leib. Diese konnten alles enthalten, von Trockenfrüchten über Erbstücke der Familie bis hin zu kleinen Waffen. Die traditionelle Waffe, die in keinen Korb paßte, war eine gebogene, aus Holz geschnitzte Keule, der Treffer. Viele Männer, die jagen gingen, hatten sowohl Pfeil und Bogen als auch ihren Treffer dabei.

Caramon fiel auf, daß unter den jungen Männern ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Sie flogen hinreißend, diese jungen, starken Kyrie. Wie große Adler, die rasch vorankamen, wenn sie mit ihren breiten Flügeln schlugen. Manche kamen mit den toten Tieren über den Schultern direkt von der Jagd. Andere waren offenbar Späher und Botschafter.

Die Späher und Botschafter erstatteten Wolkenstürmer direkt Bericht. Einige zeigten auf Caramon und sprachen schnell in ihrer Kyriesprache. Manche der jungen Vogelmänner sahen ihn hochnäsig an, und Caramon kam es so vor, als ob sie in ihrer Sprache mit Wolkenstürmer stritten.

Obwohl Caramon Wolkenstürmer bedrängte, ihm zu sagen, was sie ihm mitteilten, wich Sonnenfeders Sohn ihm aus. Caramon hielt das für sein königliches Vorrecht, aber er machte sich Gedanken um Sturm und wollte wissen, ob und was der Kyrie über den Solamnier berichtet hatte. Mehr als einmal bat Wolkenstürmer den Menschenkrieger, Ruhe zu bewahren.

Nach vier Tagen bei den Kyrie hatte sich Caramon gut ausgeruht und war schlanker, kräftiger und kein bißchen geduldig.

»Wo liegt denn Atossa von hier aus?« fragte Caramon Wolkenstürmer, als sie einmal auf dem Absatz standen, wo er ursprünglich angekommen war.