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Sturm blieb mit einem halben Schnurrbart zurück und grübelte herum, was eigentlich los war.

Die drei Minotauren und Tolpan hielten auf das hinterste Ende des einen, schwach erleuchteten Gangs zu, wo ein einzelner Gefangener hinter Gittern steckte. Er war an einer Seitenwand angekettet.

Dieser Gefangene, erklärte Fesz Tolpan unterwegs, war ein Kyrie, einer der legendären Vogelmenschen, die in abgelegenen Gebirgsregionen von Mithas lebten. Die Kyrie waren eingeschworene Feinde der Minotaurenrasse und gerieten nur selten in Gefangenschaft.

»Dein früherer Freund, Caramon, hatte eine Vertrauensstellung, denn er brachte den anderen Gefangenen Wasser und Essen«, bemerkte Fesz. »Zuletzt wurde er vor der Zelle des Kyrie gesehen. Dann ist er spurlos verschwunden – wie durch Zauberei.«

Wenn er über Raistlin reden würde, Caramons Zwillingsbruder, stellte Tolpan mit weiser Miene fest, dann mußten sie alles Mögliche in Betracht ziehen. Unsichtbarkeitszauber, Zeitreisen, selbst eine Flucht in Gestalt eines Tausendfüßlers. Aber da es um Caramon ging, war der Kender sich sicher, daß keine Magie im Spiel war.

»Dieser Raistlin muß ein sehr mächtiger Magier sein«, knurrte Fesz beeindruckt.

»Ja, sehr mächtig«, stimmte Tolpan zu. Insgeheim fügte er für sich hinzu: Obwohl er eigentlich noch kein richtiger Magier ist. Laut sagte er: »So mächtig wie überhaupt einer. Ich würde nicht einmal zu raten wagen, wie mächtig, denn noch während ich mir die Zeit zum Raten nehme, würde Raistlin wohl einen oder zwei neue Sprüche lernen und noch mächtiger werden!«

Als sie an der Zelle des Kyrie ankamen, war Tolpan enttäuscht und verärgert. Außer den Beinen, die entschieden vogelähnlich waren, sah der Gefangene nicht gerade wie ein Vogelmensch aus. Der Kyrie war übel geschlagen worden, und seine Arme hingen schlaff an den Seiten herab. Ein armseliger Anblick.

Ein leises Zucken verriet Tolpan, daß der Kyrie am Leben war, aber nur gerade so eben. Vom äußeren Anschein her hätte er genausogut tot sein können.

Als Dogz sich vorbeugte und Tolpan zuflüsterte, daß die häßlichen, vereiterten Wunden auf dem Rücken des Kyrie die Stellen waren, wo man ihm die Flügel herausgerissen hatte, ging der Kender in die Luft.

»Was?« schrie Tolpan, der sich zu der Wache umdrehte und den Stiermenschen mehrmals kräftig gegen die knubbeligen Kniescheiben trat. »Da habe ich die Chance meines Lebens, kann einmal einen Blick auf einen Kyrie werfen, und ihr mußtet den Mann praktisch totschlagen und ihm die Flügel ausreißen? Hach, ohne Flügel sieht er doch praktisch aus wie ein Mensch – und dazu sind wir von Atossa hierhergefahren? Ihr hättet wenigstens warten können, bis – «

Fesz zog Tolpan von der erstaunten Wache fort, die dem Kender im ersten Impuls am liebsten eins auf den Kopf gegeben hätte, ehe sie es sich besser überlegte.

Der Wächter ging ein Stück den Gang hoch. Dogz folgte ihm, um ihm ruhig und mit gesenkter Stimme zu erklären, daß der Kender auf Geheiß des Schamanen einen gesinnungsverändernden Trank eingenommen hat. Solches Benehmen war zu erwarten und wurde sogar gutgeheißen.

Nachdem Fesz Tolpan beruhigt hatte, warf er einen Blick auf den bewußtlosen Kyrie. Dann studierte er das Innere und Äußere der Zelle. Langsam glitten seine Augen über den Boden, die Wände und die Decke. Er kniete sich hin und betastete mit seinen riesigen, starken Händen den festen Steinboden. Er ließ seine Finger über die Ritzen der Seitenwand gleiten. Er legte den Kopf schief, schloß die Augen und lauschte auf ungewöhnliche Geräusche. Dann schlug er sie wieder auf. Ein Stirnrunzeln legte sich über sein Gesicht.

»Das haben wir alles auch gemacht«, sagte die Minotaurenwache verdrossen zu Dogz. Die beiden standen immer noch ein Stück entfernt. »Wir haben auch nichts gefunden.«

Der Schamane riß die Hörner hoch, die beinahe die Decke berührten. Fesz warf der Wache einen vernichtenden Blick zu. Als der Wächter bemerkte, daß man seine Worte gehört hatte, schlug er die Augen nieder und starrte auf seine Füße.

Fesz trat zurück, um Tolpan suchen zu lassen.

Der Kender brannte darauf, sich zu beweisen. Er hatte Fesz genau beobachtet. Zuerst starrte Tolpan den Kyrie an. Dann untersuchte er das Innere der Zelle, wobei seine Augen argwöhnisch hin und her schweiften. In dem schwachen Licht konnte man kaum viel erkennen. Dann sah er sich im Gang vor der Zelle um. Er kniete auf dem Boden nieder und tastete nach allem Ungewöhnlichen. Er fuhr mit den Fingern an den Wänden entlang. Wie Fesz senkte er den Kopf, schloß und öffnete seine Augen und bemühte sich zu lauschen.

Er glaubte, er hätte irgendwo ein Rascheln gehört.

»Hat Caramon irgend etwas hinterlassen… auch nur den leisesten Hinweis?« fragte Tolpan.

»Nichts«, murmelte die Minotaurenwache weiter oben im Gang. »Nur die zwei Eimer, die er getragen hat. Sie standen auf dem Kopf.«

Fesz beobachtete den Kender genau.

Tolpan lief im Kreis, bis er wieder vor der Zelle stand. Er sah Fesz an. Er schaute wieder zu dem Kyrie. Langsam wanderte sein Blick zur Decke, die noch höher war als Caramon Majere – wenn auch nicht viel.

Ungefähr zwei Eimer und eine Armlänge höher, schätzte Tolpan.

»Ich glaube – «, setzte Tolpan an.

»Ja?« fragte Fesz begierig.

»Ich glaube«, erklärte der Kender mit lauter Stimme, »wir sollten Sturm Feuerklinge bestrafen!«

»Sturm Feuerklinge bestrafen?« wiederholte Fesz. Der Gesandte des Nachtmeisters klang verwirrt.

»Es geht ums Prinzip«, erklärte Tolpan noch lauter. »Das Prinzip ist, daß Sturm gewußt haben muß, daß Caramon einen Fluchtversuch plante, und da er sich weigert, uns zu helfen – «

»Wir haben bereits unser Bestes getan, es aus ihm herauszuprügeln«, warf die Wache vom Gang her ein.

»Euer Bestes!« fuhr der Kender hoch. »Du hast die Unverfrorenheit, mir zu sagen, ihr hättet euer Bestes getan?«

Dogz schnaubte, hielt aber den Mund. Obwohl die Minotaurenwache nicht übermäßig rasch lernte, erkannte sie, daß sie besser nichts mehr sagen sollte.

Tolpan drehte sich zu Fesz um, den er höchst feierlich fragte: »Gibt es irgendwelche minotaurischen Hinrichtungsarten, die wirklich einmalig sind?«

Fesz überlegte gründlich, denn er war entzückt, daß Tolpan seine Phantasie solchen wertvollen Zielen zugewandt hatte. »Nun«, antwortete der Schamane langsam, »die Grube des Untergangs ist ein besonders grausames Schauspiel, dem ich selbst – bevor ich aus Ergebenheit gegenüber dem Nachtmeister nach Karthay ging – immer gern zugeschaut habe.«

»Die Grube des Untergangs?« sinnierte der Kender. Tolpan gefiel der Klang.

»Ein Todestanz um höllische Löcher mit feuriger Flüssigkeit«, erläuterte der Minotaurenschamane kurz. »Eine Einrichtung, die um so demütigender ist, weil sie zur Unterhaltung von Horden von Zuschauern aufgeführt wird, die von einer Galerie aus zusehen.«

Tolpan riß die Augen auf. »Die Grube des Untergangs!« schrie er höhnisch. »Das ist es! Das ist die Strafe, die ich diesem arroganten Solamnier verpassen würde!«

»Das einzige Problem ist allerdings«, grollte Fesz, »daß wir innerhalb von drei Tagen in Karthay sein müssen.«

»Drei Tage!« wiederholte Tolpan laut, wobei er jedes Wort deutlich betonte. »Warum können wir den alten Sturm dann nicht morgen früh in die Grube des Untergangs stecken und mittags die Segel setzen?«

»Es spricht nichts dagegen«, stimmte Fesz zu. »Aber wir müssen rasch alle Vorbereitungen treffen.«

»Gut«, sagte der Kender. »Ich würde es als persönliches Privileg ansehen, Zeuge zu werden, wie Sturm bekommt, was er verdient. Außerdem bin ich unendlich neugierig auf Gruben aller Art, ob des Untergangs oder einfach – «