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»Schmackwurzeln«, verkündete Kirsig. Sie streckte ihnen den Sack entgegen und bestand darauf, daß jeder etwas von seinem Inhalt nahm. Tanis griff hinein und wählte das kleinste Exemplar, das er finden konnte. Die Schmackwurzel war grün, fleischig und feucht. Von der Konsistenz her ähnelte sie einer rohen Kartoffel. Tanis knabberte an einem Ende der Wurzel.

Sie schmeckte süß und besänftigte seine Kehle beim Schlucken mit willkommener Feuchtigkeit.

»Das Beste auf der Welt, wenn man mitten in der Wüste festsitzt, sagte mein Papa immer«, schwatzte Kirsig, während sie die Schmackwurzeln verteilte.

Raistlin war gleich nach Tanis gekommen und griff zu. »Ich habe schon von Schmackwurzeln gelesen«, sagte der junge Magier, der die exotische Wurzel eifrig probierte. »Die Pflanze heißt auch Wüstenbalsam und hat schon vielen Reisenden das Leben gerettet, die in trockenen Gegenden gestrandet sind. Aber es überrascht mich, daß jemand bei Nacht welche finden und ausgraben kann.« Bei einem Blick auf Flint sah Tanis, daß der graubärtige Zwerg strahlte wie ein Lehrer, dessen Lieblingsschüler seine Sache gut gemacht hat.

Die Schmackwurzeln vertrieben fürs erste den Trübsinn, der sich bei Einbruch der Dunkelheit unter den Wanderern ausgebreitet hatte. Jeder aß sich satt, und trotzdem hatte Kirsig für den kommenden Tag noch eine Tasche übrig. Nach diesem Abendessen gingen alle daran, sich bestmöglich auf eine unruhige Nacht auf kaltem, hartem Boden vorzubereiten. Wolken zogen vor die Sterne. »Ich übernehme die erste Wache«, meldete sich Tanis freiwillig.

»Ich würde auch gern die erste Wache nehmen«, erklärte Raistlin zur Überraschung von Tanis und Flint. »Ich bin noch nicht müde genug zum Schlafen«, meinte der Magier, »und ich könnte in der Stille meine Gedanken ordnen.«

Tanis zögerte kurz. Dann zuckte er mit den Achseln. Nachdem er sich jedoch einige Minuten herumgewälzt hatte, stellte er fest, daß er ebenfalls nicht schlafen konnte. Er stützte sich auf einen Ellbogen, dann setzte er sich auf. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, so daß er mehr sehen konnte als die Auras, die seine normale Nachtsicht ihm zugestand.

Raistlin lehnte an einem Felsen und blickte in den Himmel. Die Haare fielen ihm ins Gesicht. Der junge Magier schien ganz in Gedanken zu sein.

Tanis zuckte zusammen, als ein lautes Grollen die Stille durchbrach. Dann mußte er lächeln, da es nur Flints Schnarchen war, das heute abend von Kirsigs verstärkt wurde. In den Schnarchpausen drang ein Rascheln wie von Sandpapier oder von einem kleinen Nachttier, das über den Boden huscht, an sein Ohr.

Tanis hob abrupt den Kopf. Raistlin tat dasselbe, wie er sah. Das sandpapierartige Wispern war lauter geworden, bis es nicht mehr vom Boden, sondern oben vom Himmel zu kommen schien. Tanis sah nichts, bis er ein schweres Gewicht auf seine Schultern fallen spürte. Dazu kam das Gefühl, erstickt zu werden. Er versuchte, einen Warnruf auszustoßen, doch beim Einatmen fühlte sich sein Mund so an, als wäre er voller Federn. Als er nach dem Messer an seinem Gürtel greifen wollte, merkte er, daß er die Arme nicht bewegen konnte, denn sie waren an seine Seiten gedrückt. Scharfe Krallen piekten in seinen Hals.

Erstickte Geräusche von außerhalb seines Federkokons verrieten ihm, daß die anderen in derselben prekären Lage steckten. Plötzlich erklang über seinem Kopf eine klare, melodische Stimme, die in der Gemeinsprache sagte: »Das sind keine Stiermenschen. Sie sind mehr wie du und dein Freund.«

Der Federkokon ging auf, und eine Fackel vor Tanis’ Gesicht blendete den Halbelfen kurzfristig. Tanis sah sich in einer kraftvollen Umarmung gefangen.

»Tanis, der Halbelf! Ich wußte nicht, ob ich dich je wiedersehen würde. Und Raistlin, mein Bruder!«

Jetzt war der Magier an der Reihe, sich in Caramons feste Arme schließen zu lassen.

Raistlin lächelte breit. »Wir haben erwartet, einen Gefangenen zu finden, Bruder, keinen Häscher«, meinte der junge Zauberer. »Aber wie ich Tanis schon sagte, ich habe damit gerechnet, daß wir dich irgendwie wiederfinden würden – am Leben und wohlauf.«

Die Zwillinge standen Seite an Seite. Caramon hatte seinen starken Arm um die schmalen Schultern seines Bruders gelegt. Im flackernden Licht der einzelnen Fackel staunte Tanis nicht zum ersten Mal, wie die Majerezwillinge zugleich so ähnlich und doch so verschieden sein konnten. In diesem Augenblick wurde der Unterschied von dem federbesetzten Lederriemen verstärkt, den Caramon um den Kopf trug. Dazu die Federn, die aus seinen Schultern zu sprießen schienen, aber zweifellos nur an seine Tunika genäht waren.

Als er sich im flackernden Fackelschein umsah, kam es Tanis so vor, als ob denen, die Caramon begleiteten, auch Federn wuchsen. Tanis blinzelte. Der Halbelf war sich nicht ganz sicher, aber diese großen Wesen – sie waren mindestens einen Kopf größer als Caramon, und der war schon über sechs Fuß groß – schienen statt Armen Flügel zu haben!

Flint, der zu ihm trat, blickte die Neuankömmlinge mißtrauisch an und stellte die naheliegende Frage: »Willst du uns nicht deinen Freunden vorstellen oder ihnen wenigstens sagen, daß sie uns nicht als Feinde anzusehen brauchen?« fragte der Zwerg Caramon mit einem nervösen Blick auf die gefiederten Wesen.

Caramon grinste breit. »Ich bitte um Verzeihung. Aber ihr braucht keine Angst zu haben.« Er zeigte auf das halbe Dutzend Wesen, die mit ihm eingetroffen waren – die nämlich ihn und Sturm durch die Luft getragen hatten. »Das sind meine Freunde, die Kyrie, ein edles Volk und eingeschworene Feinde der Minotauren. Sie haben Sturm und mich aus dem Kerker gerettet, als wir auf der Insel Mithas eingesperrt waren.«

Er drehte sich etwas und zeigte auf den Kyrie neben Raistlin.

»Wolkenstürmer, das sind mein Bruder Raistlin und meine Freunde, Flint Feuerschmied und Tanis, der Halbelf, aus Solace. Die Frauen kenne ich nicht«, fügte Caramon hinzu. Er warf einen kritischen Blick auf Kirsig und dann einen ausgesprochen anerkennenden Blick auf Yuril und ihre Matrosinnen. »Auch wenn ich mich darauf freue, sie kennenzulernen«, endete er mit einem deutlichen Zwinkern an die statuenhafte Yuril. Sie erwiderte die Geste nicht, kehrte sich aber auch nicht ab.

»Wo ist denn Sturm?« fragte Flint, der nicht bereit war, seine lebenslange Skepsis bezüglich merkwürdiger Rassen einfach so fallenzulassen, bloß weil Caramon es sagte. »Und, auch wenn ich gar nicht sicher bin, ob ich das wirklich wissen will, was ist mit Tolpan?«

»Ich bin hier«, kam eine rauhe Stimme von außerhalb der Reichweite der Fackel. Der Kyrie, Vogelgeist, trat beiseite, um den Blick auf Sturm freizugeben, der sich gerade aufrappelte. Zu seiner großen Beschämung war der Solamnier kurz nach der Landung der Kyrie im Lager der Freunde ohnmächtig geworden. Seit seiner Rettung aus der Grube des Untergangs waren erst eineinhalb Tage vergangen. Sturm hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich von all dem zu erholen, was er durchgemacht hatte – schiffbrüchig, eingesperrt, geschlagen und im Duell fast getötet. Er hinkte zu ihnen.

Flint starrte ihn an. In dem schwachen Licht sah Sturms Gesicht eigenartig schief aus. »Was hast du denn mit deinem Schnurrbart gemacht?« fragte der Zwerg ungläubig.

»Ach was, Schnurrbart. Siehst du denn nicht, daß es dem armen Kerl schlecht geht?« schalt Kirsig, die an Sturms Seite eilte. »Komm her, Süßer, laß mich dir helfen.«

Obwohl er viel zu wohlerzogen war, um vor dem grotesken Aussehen der Halbogerin zurückzuschrecken, sah Sturm Flint fragend an.

»Oh, keine Sorge. Die ist in Ordnung«, sagte der Zwerg schroff. »Und gar nicht so übel als Heilerin.«

Raistlin meldete sich zu Wort. »Sie ist erheblich besser als das, Sturm. Kirsig war während unserer Seereise und unserer bisherigen Wanderung unbezahlbar.« Yuril und die anderen stimmten murmelnd zu. Mit vor Freude rotem Gesicht nahm Kirsig Sturms Hand und führte ihn zu ihrem Gepäck.