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Das war ungefähr die längste Rede gewesen, die der gewöhnlich schweigsame Flint je gehalten hatte. Der Zwerg hatte einen tiefen Zug aus dem neuen Bierkrug genommen und sich dann mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen gewischt. Während Flint sich dann strahlend im Wirtshaus umgeblickt hatte, war ihm gar nicht aufgefallen, daß Raistlin nicht geantwortet hatte. Der junge Zauberer hatte dagesessen und ihnen Gesellschaft geleistet, hatte aber nicht viel gesagt. Im Gegenteil – als die Stunden verstrichen und aus dem Nachmittag Abend wurde, hatte Raistlin seine Freunde kaum noch wahrgenommen. Nachdem er seinen Stuhl umgestellt hatte, hatte er an ihnen vorbeigestarrt. Der Holzstapel, den Otik angezündet hatte, schien ihn zu fesseln. Das flackernde Feuer hatte sich in Raistlins blaßblauen Augen gespiegelt.

Und jetzt die geheimnisvolle Nachricht, mit der Aufforderung, Raistlin am Krystallmirsee zu treffen.

»Was meinst du?« fragte Tanis.

Zur Antwort zeichnete sich Unwillen auf dem faltenreichen Gesicht des Zwergs ab. Die Nachricht war unwillkommen. Jetzt tat es ihm noch mehr leid, daß er dafür ein Kupferstück bezahlt hatte.

Südergod war nur eine Monatsreise entfernt, hin und zurück. Es waren fast drei Monate ins Land gegangen, seit Sturm, Caramon und Tolpan abgereist waren. »Ach«, sagte der Zwerg mit abwehrender Handbewegung, »Raistlin ist so ein Angsthase. Bestimmt ist gar nichts passiert. Aber«, fügte er seufzend hinzu, »ich schätze, wir brechen lieber schleunigst zum Krystallmirsee auf.«

Ähnlich wie einst bei Tanis hatte Flint die Majere-Zwillinge mehr oder weniger unter seine Fittiche genommen, als ihre Mutter gestorben war und sie noch nicht erwachsen gewesen waren. Über den Zwerg hatte der Halbelf die Brüder kennengelernt und mochte sie auch – in Grenzen. Caramon war beherzt und gutmütig, doch seine schlichte Art führte ihn manchmal in die Irre. Was Raistlin anging, den blassen, jungen Zauberer mit dem durchdringenden Blick, gestand Tanis sich ein, daß es ihm schwerfiel, irgendein Gespräch mit Raistlin anzuknüpfen, wenn Caramon nicht in der Nähe war.

»Komm schon«, sagte Flint. Er legte seinem Freund den Arm um die Schulter und dirigierte ihn zur Tür. Am Arbeitstisch blieb der Zwerg einen Augenblick stehen, um mit einem abgebrochenen Stück Holzkohle etwas auf ein glattes Stück Rinde zu schreiben. Er zwinkerte Tanis zu, als er es beim Rausgehen an die Tür hängte. »Auf der Jagd«, stand auf dem Schild.

Zum Ostrand der Stadt mußten die beiden Freunde die hohen Hängebrücken zwischen den riesigen Vallenholzbäumen nehmen. Wenn die Menschen von Solace es nicht bereits gewöhnt gewesen wären, die zwei zusammen zu sehen, hätten der Zwerg und der Halbelf bestimmt die Blicke auf sich gezogen. Der kleine untersetzte Flint mit seinem wiegenden Gang mußte sich sputen, um mit seinem viel größeren Gefährten Schritt zu halten, der die Wege mit der leichtfüßigen, sicheren Anmut der Qualinesti-Elfen, dem Volk seiner Mutter, entlanglief.

Bei dieser Gelegenheit wirkte der Anblick noch komischer, weil Flint unablässig gestikulierte und Ausrufe von sich gab, während er eine gräßliche Geschichte nach der anderen über Tolpan erzählte, nur um Tanis aus seiner melancholischen Stimmung zu holen. Aber Tanis blieb die meiste Zeit schweigsam. Er machte lange Schritte, während Flint sich bemühte mitzuhalten.

Es war nicht so sehr Raistlins dringender Ruf, der Tanis Gedanken verdüsterte, als sie zum Krystallmirsee liefen, sondern eher Raistlins Halbschwester, Kitiara Uth Matar. Für Tanis war Kitiara praktisch ständig gegenwärtig.

Ihr lachendes Gesicht und ihr verschmitztes Lächeln hielten bei Tag und bei Nacht seine Träume zum Narren.

Tanis und Kitiara hatten sich mehr gestritten, als daß sie miteinander ausgekommen wären. Dann hatte Kitiara Tanis eines Tages – vor mehreren Wochen – erklärt, daß sie das Angebot hatte, mit einer Gruppe Söldner nach Norden zu ziehen, die von einem gewissen Herrn für einen geheimnisvollen, zweifellos verwerflichen Zweck angeheuert worden waren. Tanis hatte erklärt, diese Reise wäre ihrer unwürdig. Kitiara hatte zurückgegeben, daß alles besser war, als im trägen, alten Solace im Schlaf zu sterben.

Weil ihn die Vorstellung von Kitiaras Aufbruch erschütterte, hatte Tanis die Taktik geändert und angeboten, sie zu begleiten. Daraufhin hatte sich Kitiara gekringelt vor Lachen. Als sie sich wieder gefangen hatte, hatte in ihren dunklen Augen allerdings eine Spur Ärger gelegen. »Du paßt nicht dazu«, hatte sie ziemlich beleidigend gesagt.

Am nächsten Morgen war Tanis früh aufgestanden, um Kitiara zu verabschieden. Sie saß bereits auf ihrem Pferd, als er zum Stall kam. Er mußte ihr hinterherrennen und die Zügel festhalten, damit sie kurz stehenblieb. Kitiara hatte milde zu ihm herabgelächelt und dann den schwarzgelockten Kopf heruntergebeugt und ihn fest auf den Mund geküßt, bevor sie wortlos davongeritten war.

Noch jetzt konnte Tanis das Gefühl jenes Kusses heraufbeschwören. »Flint«, sagte er zu dem Zwerg, als sie über die Hängebrücken liefen, »warst du je verliebt?«

Vor lauter Überraschung über diese dreiste Frage stolperte der knorrige Zwerg und hielt sich am Geländer fest.

»Könnte ich nicht unbedingt behaupten«, meinte er schließlich, ehe er wieder weiterging. »Aber wenn ich es gewesen wäre, wäre ich bei der Auswahl der Frau, in die ich mich verliebe, bestimmt vorsichtiger gewesen, als gewisse Leute, die ich kenne.«

»Was soll das heißen?« fragte der Halbelf hitzig.

»Das soll heißen, du grüner Junge, daß Kitiara Uth Matar nicht gerade meine Vorstellung – oder überhaupt irgend jemandes Vorstellung – einer idealen Frau entspricht«, sagte Flint nachdrücklich. »Ich habe gesehen, wie du sie anhimmelst, und wie sie ihrerseits dich anblickt. Zwei Paar Schuhe. Nichts Gemeinsames, wenn du verstehst.«

Flint schüttelte entnervt den Kopf, als sie um eine Kurve bogen und auf die Brücke zuhielten, die sie nach unten zu dem Waldweg bringen würde, der zum See führte.

»Außerdem«, grummelte der Zwerg, »meine ich mich zu erinnern, daß ihr zwei praktisch jeden Tag Krach hattet, bis sie verschwunden ist. Meiner Meinung nach war das schon der halbe Grund für ihr Fortgehen.«

Tanis blieb stehen und hielt Flint am Arm fest. »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte er verärgert.

»Hm«, machte Flint, der abrupt stehenblieb. Er runzelte die Stirn. »Vielleicht gab es da ja mal jemanden. Hügelzwerg wie ich, natürlich. Ich weiß nicht, ob man es Liebe nennen kann. Es war eine Art… Romanze.«

Flint kämpfte mit den Worten, während ihm die Farbe in die Wangen stieg. Er sah auf seine Füße hinunter und wippte vor und zurück. Tanis wartete, daß er weiterredete.

»Und?« forschte Tanis schließlich nach, indem er seinem Freund näher kam. »Na los, was geschah? Sag’s mir.«

Flints Miene war voller Schmerz. »Sie war die Tochter eines Jägers«, sagte er zögernd. »Unsere Familien hatten uns bei unserer Geburt schon einander versprochen. Das waren harte Zeiten damals.« Er schnaubte. »Sind es immer noch…«

Tanis lauschte fasziniert. Der Zwerg hielt sich, was sein Privatleben anging, normalerweise sehr zurück. Vielleicht hatte seine gute Laune seine Wachsamkeit eingeschläfert, so daß seine übliche Reserviertheit bröckelte.

Flint zögerte, denn er schien etwas mit seinem inneren Auge zu betrachten. Auf einmal schüttelte er den Kopf, als wollte er ihn von Spinnweben befreien.