Der Marinekommandant, Akz, der Kommandant der minotaurischen Armee, Inultus, der Gelehrte und Historiker, Juvabit, der Schatzmeister, Groppis und der Meister der Baugilde, Bartill – diese fünf Ratsmitglieder verharrten noch lange im Saal, nachdem sie die bestürzende Nachricht vom Tod des Nachtmeisters erhalten hatten. Sie versuchten einander mit ihren Beteuerungen zu übertrumpfen, daß jeder insgeheim die Schwächen an den Plänen des arroganten Oberschamanen erkannt hätte.
Vor seiner Abreise sprach Victri, der Führer der Landminotauren, eindringlich über den Patriotismus, der im Herzen jedes Stiermenschen brannte, und wie das minotaurische Königreich trotz gelegentlicher Rückschläge eines Tages ganz Ansalon überrennen würde.
Was Kharis-O, die Vertreterin der minotaurischen Nomaden, anging, so funkelte sie die anderen wütend an und verschwand ohne ein Wort.Auf der Insel Karthay sammelten sich die Gefährten wieder auf dem hochgelegenen Platz, wo sie in der Nacht vor dem Angriff auf die Ruinenstadt gelagert hatten.
Die minotaurischen Truppen waren versprengt. Wer sich noch auf dem Gipfel des Vulkans aufgehalten hatte, war von der Säule aus Feuernebel verbrannt worden, die kurz aus dem Krater aufgeflammt war. Nach dem Ende der Kämpfe war die Armee der Wüstentiere und Roche, die den Gefährten geholfen hatte, die Minotauren zu besiegen, in ihre Baue und Höhlen zurückgekehrt.
Kirsigs Körper wurde von Flint ins Lager zurückgetragen. Der Zwerg hatte ganz allein ein einfaches Grab ausgehoben, an einer Stelle, wo der Boden nicht allzu hart war. Er steckte ihr Schwert in den frischen Hügel, damit es alle sehen konnten.
»Kirsig sagte, sie wäre Putzfrau und Heilerin«, sprach der Zwerg an ihrem Grab. Er zupfte an seinem Bart und schaute zu Boden. »Aber diejenigen von uns, die an ihrer Seite gekämpft haben, wissen, daß sie das wahre, nicht wankende Herz eines Kriegers hatte. Und wir werden sie vermissen«, fügte er hinzu, während er ein paar Tränen, die man selten bei ihm sah, aus den Augen wischte.
Zwei der Seglerinnen von der Castor und drei der Kyriekrieger waren bei dem Angriff umgekommen, einschließlich Vogelgeist. Es war Vogelgeist gewesen, der auf dem Gipfel des Dachs der Welt verbrannt war.
Sturm trauerte um den Kyrie, der ihn vor dem sicheren Tod in der Grube des Untergangs bewahrt hatte.
Wolkenstürmer trauerte um seinen Freund. Ja, Vogelgeist war in der Schlacht gestorben, und das war für jeden Kyrie ein ehrenvoller Tod. Aber sein Körper war auf der Bergspitze zurückgeblieben, als der Vulkan mit seinem tödlichen Feuerregen ausbrach. »Unsere Toten werden immer in einem Scheiterhaufen über der Erde verbrannt«, erzählte Wolkenstürmer Sturm traurig. »Aber die Asche muß in alle vier Himmelsrichtungen verstreut werden. Sicher hat die Lava den Körper von Vogelgeist bedeckt. Im Tod wird er nie frei werden.«
Wo sie verletzt worden war, fühlte Yurils Seite sich wund an, eine Wundheit, die sie für den Rest ihres Lebens begleiten würde. Aber sie würde sich erholen und überleben. Caramon versorgte sie während ihrer Genesung, brachte heißen Tee und Heilmittel bei Tag und Decken bei Nacht.
Wenn Flint die beiden beobachtete, beschwerte er sich jammernd bei Tanis: »Er erinnert mich an Kirsig – verhält sich wie eine Frau.« Tanis nickte nur, denn er bewunderte Caramons Zärtlichkeit.
Die Kyrie flogen weiterhin lange Kundschaftsflüge. Eines Tages kehrte einer zurück und berichtete Wolkenstürmer, daß ein Schiff, die Castor, an der Südküste wartete. Als Yuril und die beiden überlebenden Seefahrerinnen das hörten, berieten sie sich und gaben bekannt, daß sie beschlossen hätten, wieder in See zu stechen. Erstaunt versuchte Caramon, Yuril zu überreden, bei ihnen zu bleiben.
»Nein«, lachte die große, starke Steuerfrau. »Du verstehst das nicht, was? Mit Kapitän Nugeter ist nicht gut Kirschenessen, aber ich gehöre aufs Meer, und das weiß er. Du hast deinen Bruder wieder. Ich muß wieder aufs Meer zurück.«
Raistlin und Tanis verabschiedeten sich von Yuril und gelobten ewige Dankbarkeit. Flint schüttelte ihr und den anderen feierlich die Hand. Kit umarmte Yuril. Caramon drückte Yuril nach kurzem Schmollen einen Kuß auf die Lippen, der so lange dauerte, daß Tolpan ihn antippen mußte.
Drei der Kyrie trugen die Seefahrerinnen zum Schiff zurück, das sie erwartete.
Vier Kyrie kehrten zurück – die drei, die zur Castor geflogen waren, und ein Bote von der Insel Mithas.
Ein Posten brachte Nachricht aus dem Kerker in Atossa. Morgenhimmel war tot. Der gebrochene Vogelmann, Wolkenstürmers Bruder, war gestorben, ohne seinen grausamen Häschern etwas zu verraten.
Wolkenstürmer weinte, als er dies erfuhr.
»Du mußt zurück«, sagte der Kyriebote zu Wolkenstürmer. »Sonnenfeder ruft dich. Er sagte, ich sollte dir ausrichten, daß die Herrschaft nun an dich fallen wird.«
Wolkenstürmer sammelte seine Himmelskrieger und gab bekannt, daß sie sofort nach Mithas zurückkehren würden. Die Gefährten kamen zusammen, um sich traurig von dem alten Volk zu verabschieden, das ihnen dabei geholfen hatte, Sargonnas aufzuhalten.
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte Raistlin feierlich.
»Das werden wir ganz bestimmt«, sagte Wolkenstürmer.
Sturm schloß Wolkenstürmer steif, aber herzlich in die Arme.
Caramon trat vor, ohne zu wissen, was er sagen oder tun sollte. Er hatte Wolkenstürmer in der kurzen Zeit so gut kennengelernt. Er würde seinen Kyriefreund nie vergessen.
Wolkenstürmer sah den Menschen an. Er hob Caramons Arm an und zog den Ärmel hoch, bis er die Narbe von der Nacht des Seedrachens fand. Der Kyrie berührte die Narbe mit zwei Fingern und führte dann die beiden Finger an seine Lippen.
»Krieger«, sagte Wolkenstürmer. »Bruder.«
»Krieger«, wiederholte Caramon. »Bruder.«
Als die Kyrie losflogen, erzeugten sie mit ihren riesigen Schwingen ein eindrucksvolles Rauschen.Seit dem Angriff auf die Ruinenstadt und der Niederlage des Nachtmeisters waren sieben Tage vergangen, seit der Abreise der Kyrie zwei Tage.
Es herrschte Aufbruchstimmung unter den Gefährten. Obwohl einige verletzt waren und ihre Wunden pflegten, ging es keinem so schlecht, daß er oder sie nicht weiterziehen konnte. Dennoch verharrten die sieben Freunde auf dem hohen Plateau über der zerstörten Stadt, wo sie in der Ferne noch den rauchenden Gipfel des Dachs der Welt ausmachen konnten.
Tolpan hatte versucht, alle zu überzeugen, daß er eigentlich nie richtig böse gewesen war. Es war alles ein fabelhaftes Theater gewesen, erklärte der Kender beharrlich.
Dennoch hatte Sturm dem Kender eine ausführliche Predigt gehalten. Insgeheim glaubte er, daß der böse Kender ihn in Atossa um ein Haar umgebracht hätte. Keiner konnte den Solamnier vom Gegenteil überzeugen. Und keiner wußte so recht, ob er es überhaupt versuchen sollte.
Am späten Nachmittag, als die Essenszeit nahte, sah Flint, wie Tolpan und Sturm wieder heftig stritten. Auf einmal krümmte sich der Zwerg und hielt sich den Bauch vor Lachen. Sturm wollte wissen, was Flint so komisch fand.
»Ke – Ke – Kender ohne Zopf!« platzte der Zwerg heraus. »Solamnier mit halbem Schnurrbart!«
Alle lachten mit – bis auf Sturm, der nicht verstand, was daran so überaus lustig sein sollte.
Tolpan lachte am längsten. Als er sich schließlich wieder beruhigt hatte, wurde er ganz ernst. »Du glaubst mir doch, nicht wahr, Raistlin?«
»Ja, das tue ich«, sagte Raistlin schlicht.
»Seht ihr! Raistlin glaubt mir!« rief der Kender strahlend.
»Mein Bruder ist sehr klug«, sagte Kitiara, die ein Feuer für das Abendessen aufbaute, »aber er hat eine Schwäche für Kender.«
»Was glaubst du, Kitiara?« fragte Sturm, der auf eine Verbündete hoffte.
»Das habe ich schon gesagt«, antwortete Kit. »Er war böse, bis Dogz seinen Trank durch mein Gläschen Leucrottaspeichel ersetzte. Ohne Dogz wäre Tolpan immer noch böse – und wir vielleicht alle tot.«
»Leucrottaspeichel?« wiederholte Sturm verwirrt.