Der Gedanke, aus meinen Davoser Eindrücken und Erfah-
rangen eine Erzählung zu machen, setzte sich sehr bald bei mir lest. Meine literarische Situation war damals die folgende. Nach dem Abschluß des Prinzenromanes »Königliche Hoheit« hatte ich mich auf das wunderliche Unternehmen eingelassen, die Memoiren eines Hochstaplers und Hoteldiebes zu schreiben, einen Roman, der in der Form des Kriminellen und Anti-Sozia-lm im Grunde auch eine Künstlergeschichte wie die des kleinen Prinzen in »Königliche Hoheit« war. Der Stil dieses kuriosen Haches, von dem nur ein größeres Fragment übrig geblieben ist, war eine Art von Parodie auf die große Memoiren-Literatur des achtzehnten Jahrhunderts und auch auf Goethes »Dichtung und Wahrheit«, und sein Ton war auf lange Zeit schwer durchzuhal-ten. So drängte sich das Bedürfnis nach einem stilistischen Aus-ruhen in anderen Sphären der Sprache und des Gedankens auf, und ich unterbrach mich in diesem Roman, indem ich die long short story »Der Tod in Venedig« schrieb. Mit ihm war ich na-hezu fertig zu dem Zeitpunkt meines Besuches in Davos, und die Erzählung nun, die ich plante - und die sofort den Titel »Der Zauberberg« erhielt -, sollte nichts weiter sein als ein hu-moristisches Gegenstück zum »Tod in Venedig«, ein Gegen-stück auch dem Umfang nach, also eine nur etwas ausgedehnte short story. Sie war gedacht als ein Satyrspiel zu der tragischen Novelle, die ich eben beendete. Ihre Atmosphäre sollte die Mi-schung von Tod und Amüsement sein, die ich an dem sonder-baren Ort hier oben erprobt hatte. Die Faszination des Todes, der Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben, die im »Tod in Venedig« geschildert ist, sollte auf eine humoristische Ebene übertragen werden. Ein simpler Held, der komische Konflikt zwischen makabern Abenteuern und bürgerlicher Ehrbarkeit, soweit ging mein Vor-satz. Der Ausgang war ungewiß, würde sich aber finden; das Ganze schien leicht und unterhaltsam zu machen und würde nicht viel Raum einnehmen. Als ich nach Tölz und München zurückgekehrt war, begann ich das erste Kapitel zu schreiben.
Eine heimliche Ahnung von den Gefahren der Ausdehnung dieser Erzählung, von der Neigung des Stoffes zum Bedeuten-den und zum gedanklich Uferlosen, beschlich mich schon bald. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß er in einem gefährlichen Beziehungszentrum stand. Die Unterschätzung eines Unterneh-mens ist vielleicht nicht nur bei mir eine immer wiederkehren-
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de Erfahrung. Bei der Konzeption erscheint eine Arbeit in harmlosem, einfachem und praktischem Licht. Sie scheint keine große Mühe und Ausführung zu erfordern. Mein erster Roman, »Buddenbrooks«, war als ein Buch nach dem Muster skandina-vischer Kaufmanns- und Familienerzählungen, als ein Buch von 250 Seiten gedacht und es wurden zwei starke Bände daraus. Der »Tod in Venedig« sollte eine short story für das Münchner Magazin »Simplicissimus« werden. Dasselbe war bei den Jo-seph-Romanen, die mir zunächst in Gestalt einer Novelle etwa vom Umfang des »Tod in Venedig« vorschwebten. Nicht an-ders verhielt es sich beim »Zauberberg«, und es handelt sich da wohl um einen notwendigen produktiven Selbstbetrug. Machte man sich alle Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines Werkes im voraus klar und kennte man seinen eigenen Willen, der sich von dem des Autors häufig gar sehr unterscheidet, so ließe man wohl die Arme sinken und hätte gar nicht den Mut zu begin-nen. Ein Werk hat unter Umständen seinen eigenen Ehrgeiz, der den des Autors weit übertreffen mag, und das ist gut so. Denn der Ehrgeiz darf nicht ein Ehrgeiz der Person sein, er darf nicht vor dem Werk stehen, sondern dieses muß ihn aus sich hervorbringen und dazu zwingen. So, glaube ich, sind die gro-ßen Werke entstanden und nicht aus einem Ehrgeiz, der sich von vornherein vorsetzt, ein großes Werk zu schaffen.
Kurzum, ich merkte früh, daß die Davoser Geschichte es in sich hatte und über sich selbst ganz anders dachte als ich. Selbst äußerlich traf das zu, denn der englisch-humoristisch ausladen-de Stil, in dem ich mich dabei von der Strenge des »Tod in Venedig« erholte, verlangte Raum und die zugehörige Zeit. Dann kam der Krieg, dessen Ausbruch mir zwar sofort den Schluß des Romanes an die Hand gab und dessen innere Erfahrungen das Buch unberechenbar bereicherten, der mich aber in seiner Ausführung auf Jahre unterbrach.
Ich schrieb in jenen Jahren die »Betrachtungen eines Unpoli-tischen«, ein mühseliges Werk der Selbsterforschung und des Durchlebens der europäischen Gegensätze und Streitfragen, ein Buch, das zur ungeheueren, Jahre verschlingenden Vorbereitung auf das Kunstwerk wurde, das eben zum Kunstwerk, zum Spiel, wenn auch zu einem sehr ernsten Spiel, nur werden konnte durch die materielle Entlastung, die es durch die vorangegange-ne analytisch-polemische Arbeit erfuhr. »Diese sehr ernsten
Scherze«, so spricht Goethe einmal von seinem Faust, und es ist dir Definition aller Kunst, auch des »Zauberbergs«. Aber ich hätte nicht scherzen und spielen können, ohne vorher seine Problematik in blutiger Menschlichkeit durchlebt zu haben, über die ich mich dann als freier Künstler erhob. Das Motto der Betrachtungen lautet: »Que diable allait il faire dans cette ga-lere?« Die Antwort lautet: den »Zauberberg«.
Die ersten künstlerischen Gehversuche nach dem geistigen Dienst mit der Waffe, dem ich mich im Kriege unterzogen hatte, waren zwei Idyllen, der »Gesang vom Kindchen« und die Tiergeschichte »Herr und Hund«, dann endlich nahm ich den »Zauberberg« wieder auf, aber immer wieder wurde er unter-brochen durch kritische Essays, die ihn begleiteten, und von de-nen die drei wichtigsten nach ihrem Gehalt direkte geistige Schößlinge und Ableger des großen laufenden Romanes waren, nämlich »Goethe und Tolstoi«, »Von Deutscher Republik«, und »Okkulte Erlebnisse«.
Endlich, im Herbst 1924, erschienen die beiden Bände, die aus der Konzeption der short story entstanden waren, und die mich alles in allem nicht sieben, sondern zwölf Jahre in ihrem Bann gehalten hatten, und seine Aufnahme hätte viel ungünsti-ger sein dürfen, um meine Erwartungen bis zur Verblüffung zu übertreffen. Ich bin gewohnt, eine vollendete Arbeit in achsel-zuckender Resignation, ohne die geringste Zuversicht in ihre Weltmöglichkeit aus der Hand zu geben. Die Reize, die einst von ihr auf mich, ihren Betreuer, ausgegangen, haben sich längst schon abgenutzt, das Fertigmachen war eine Sache produktions-ethischer Bravheit, des Eigensinns im Grund, und vom Eigen-sinn überhaupt scheint mir die jahrelange Verbissenheit darein viel zu sehr bestimmt, sie erscheint mir in viel zu hohem Grade als problematisches Privatvergnügen, als daß ich mit der Teil-nahme Vieler an der Spur meiner sonderbaren Vormittage im geringsten zu rechnen mich getraute. Ich »falle aus den Wol-ken«, wenn, wie mehrmals in meinem Leben, diese Teilnahme sich dennoch in fast turbulentem Maße einstellt, und dieser freundliche Sturz war im Falle des »Zauberbergs« besonders tief und überraschend. War zu glauben gewesen, daß ein wirtschaft-lich bedrängtes und gehetztes Publikum aufgelegt sein werde, den träumerischen Verknüpfungen dieser in zwölfhundert Seiten ausgebreiteten Gedankenkomposition zu folgen? (»Seines