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aus Gummi erinnerte, die klagend ihre eingeblasene Luft fahren lassen und zusammensinken, drang irgendwie und unbegreif-licherweise aus ihrer Brust hervor, und dann war sie mit ihrer Gesellschaft vorüber.

Hans Castorp stand starr und blickte ins Weite. Dann wandte er sich hastig um und begriff wenigstens so viel, daß das Ab-scheuliche ein Scherz, eine abgekartete Fopperei gewesen sein mußte, denn er sah an den Schultern der Abziehenden, daß sie Lichten, und ein untersetzter Jüngling mit Wulstlippen, welcher, beide Hände in den Hosentaschen, auf ziemlich unschickliche Art seine Jacke emporgerafft hielt, drehte sogar unverhohlen den Kopf nach ihm und lachte . . . Joachim war herangekom-men. Er grüßte die Gruppe, indem er nach seiner ritterlichen Gewohnheit beinahe Front machte und sich mit zusammenge-zogenen Absätzen verbeugte, und trat dann sanft blickend zu seinem Vetter.

»Was machst du denn für ein Gesicht?« fragte er.

»Sie pfiff!« antwortete Hans Castorp. »Sie pfiff aus dem Bau-che, als sie an mir vorüberkam, willst du mir das erklären?«

»Ach«, sagte Joachim und lachte wegwerfend. »Nicht aus dem Bauche, Unsinn. Das war die Kleefeld, Hermine Kleefeld, die pfeift mit dem Pneumothorax.«

»Womit?« fragte Hans Castorp. Er war außerordentlich erregt und wußte nicht recht, in welchem Sinne. Er schwankte zwi-schen Lachen und Weinen, als er hinzufügte: »Du kannst nicht verlangen, daß ich euer Rotwelsch verstehe.«

»So komm doch weiter!« sagte Joachim. »Ich kann es dir doch auch im Gehen erklären. Du bist ja wie angewurzelt! Es ist etwas aus der Chirurgie, wie du dir denken kannst, eine Operation, die hier oben häufig ausgeführt wird. Behrens hat große Übung darin . . . Wenn eine Lunge sehr mitgenommen ist, ver-stehst du, die andere aber gesund oder vergleichsweise gesund, so wird die kranke mal einige Zeit von ihrer Tätigkeit dispen-siert, um sie zu schonen . . . Das heißt: man wird hier aufge-schnitten, hier irgendwo seitwärts - ich kenne die Stelle ja nicht genau, aber Behrens hat es großartig los. Und dann wird Gas in einen hineingelassen, Stickstoff, weißt du, und so der verkäste Lungenflügel außer Betrieb gesetzt. Das Gas hält natürlich nicht lange vor, halbmonatlich etwa muß es erneuert werden - man wird gleichsam aufgefüllt, so mußt du dir's vorstellen. Und

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wenn das ein Jahr lang geschieht oder länger, und alles geht gut, so kann die Lunge durch Ruhe zur Heilung kommen. Nicht im-mer, versteht sich, es ist wohl sogar eine gewagte Sache. Aber es sollen schon schöne Erfolge mit dem Pneumothorax erzielt worden sein. Alle haben ihn, die du eben sahst. Frau Iltis war auch dabei - die mit den Leberflecken - und Fräulein Levi, die magere, du erinnerst dich - sie hat so lange zu Bett gelegen. Sie haben sich zusammengefunden, denn so etwas wie der Pneumothorax verbindet die Menschen natürlich, und nennen sich ›Verein Halbe Lunge‹, unter diesem Namen sind sie bekannt. Aber der Stolz des Vereins ist Hermine Kleefeld, weil sie mit dem Pneumothorax pfeifen kann, - das ist eine Gabe von ihr, es kann es durchaus nicht jeder. Wie sie es fertig bringt, das kann ich dir auch nicht sagen, sie selbst kann es nicht deutlich be-schreiben. Aber wenn sie rasch gegangen ist, dann kann sie aus ihrem Inneren pfeifen, und das benutzt sie natürlich, um die Leute zu erschrecken, besonders die neuangekommenen Kran-ken. Ich glaube übrigens, daß sie Stickstoff dabei verschwendet, denn alle acht Tage muß sie aufgefüllt werden.«

Nun lachte Hans Castorp; seine Erregung hatte sich bei Joachims Worten zum Heitern entschieden, und indem er im Gehen die Augen mit der Hand bedeckte und sich vorneigte, wurden seine Schultern von einem raschen und leisen Kichern erschüttert.

»Sind sie auch eingetragen?« fragte er, und das Sprechen wur-de ihm nicht leicht; es klang vor zurückgehaltenem Lachen wei-nerlich und leise jammernd. »Haben sie Statuten? Schade, daß du nicht Mitglied bist, du, dann könnten sie mich als Ehrengast zulassen oder als . . . Konkneipant . . . Du solltest Behrens bitten, daß er dich teilweise außer Betrieb setzt. Vielleicht würdest du auch pfeifen können, wenn du's drauf anlegtest, es muß doch schließlich zu lernen sein . . . Das ist das Komischste, was ich in meinem Leben gehört habe!« sagte er tief aufseufzend. »Ja, verzeih, daß ich so davon spreche, aber sie selbst sind ja in der besten Laune, deine pneumatischen Freunde! Wie sie daher-kamen . . . Und zu denken, daß es der ›Verein Halbe Lunge‹ war! ›Tiuu‹ pfeift sie mich an, - eine tolle Person! Aber das ist doch heller Übermut! Warum sind sie so übermütig, du, willst du mir das mal sagen?«

Joachim suchte nach einer Antwort. »Gott«, sagte er, »sie sind

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so frei. . . Ich meine, es sind ja junge Leute, und die Zeit spielt keine Rolle für sie, und dann sterben sie womöglich. Warum sollen sie da ernste Gesichter schneiden. Ich denke manchmaclass="underline" Krankheit und Sterben sind eigentlich nicht ernst, sie sind mehr so eine Art Bummelei, Ernst gibt es genaugenommen nur im Leben da unten. Ich glaube, daß du das mit der Zeit schon ver-stehen wirst, wenn du erst länger hier oben bist.«

»Sicher«, sagte Hans Castorp. »Das glaube ich sogar sicher. Ich habe schon sehr viel Interesse gefaßt für euch hier oben, und wenn man sich interessiert, nicht wahr, dann kommt das Verste-von selber . . . Aber wie ist mir denn nur, - sie schmeckt nicht!« sagte er und betrachtete seine Zigarre. »Ich frage mich die ganze Zeit, was mir fehlt, und nun merke ich, daß es Maria ist, die mir nicht schmeckt. Sie schmeckt wie Papiermache, ich versichere dich, es ist gerade, wie wenn man einen völlig ver-dorbenen Magen hat. Das ist doch unbegreiflich! Ich habe ja ungewöhnlich viel zum Frühstück gegessen, aber das kann der Grund nicht sein, denn wenn man viel gegessen hat, so

schmeckt sie zunächst sogar besonders gut. Meinst du, es kann daher kommen, daß ich so unruhig geschlafen habe? Vielleicht bin ich dadurch in Unordnung geraten. Nein, ich muß sie gera-dezu wegwerfen!« sagte er nach einem neuen Versuch. »Jeder

Zug ist eine Enttäuschung; es hat keinen Zweck, daß ich es for-ciere.« Und nachdem er noch einen Augenblick gezögert, warf er die Zigarre den Abhang hinab zwischen das feuchte Nadel-holz. »Weißt du, womit es meiner Überzeugung nach zusam-menhängt?« fragte e r... »Meiner festen Überzeugung nach hängt es mit dieser verdammten Gesichtshitze zusammen, an der ich nun schon wieder seit dem Aufstehen laboriere. Weiß der Teufel, mir ist immer, als wäre ich schamrot im Gesicht. . . Hast du das auch so gehabt, als du ankamst?«

»Ja«, sagte Joachim. »Mir war auch zuerst etwas sonderbar. Mach dir nichts draus! Ich hab dir ja gesagt, daß es nicht so leicht ist, sich einzuleben bei uns. Aber du kommst wieder in Ordnung. Siehst du, die Bank steht hübsch. Wir wollen uns etwas setzen und dann nach Hause gehen, ich muß in die Liege-

kur.«

Der Weg war eben geworden. Er lief nun in der Richtung auf Platz Davos, etwa in Drittelhöhe des Hanges, und gewährte Wischen hohen, schmal gewachsenen und windschiefen Kie-

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fern den Blick auf den Ort, der weißlich in hellerem Lichte lag. Die schlicht gezimmerte Bank, auf der sie sich setzten, lehnte sich an die steile Bergwand. Neben ihnen fiel ein Wasser in of-fener Holzrinne gurgelnd und plätschernd zu Tal.

Joachim wollte den Vetter über die Namen der umwölkten Alpenhäupter unterrichten, die das Tal im Süden zu schließen schienen, indem er mit der Spitze seines Bergstockes auf sie wies. Aber Hans Castorp blickte nur flüchtig hin, er saß vorn-übergebeugt, zeichnete mit der Zwinge seines städtischen, sil-berbeschlagenen Stockes Figuren im Sand und verlangte anderes zu wissen.