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Nr. 34

Gleich zur Rechten, zwischen Haustor und Windfang, war die Concierge-Loge gelegen, und von dort kam ein Bediensteter von französischem Typus, der, am Telephon sitzend, Zeitungen gelesen hatte, in der grauen Livree des hinkenden Mannes am Bahnhof ihnen entgegen und führte sie durch die wohlbeleuch-tete Halle, an deren linker Seite Gesellschaftsräume lagen. Im Vorübergehen blickte Hans Castorp hinein und fand sie leer. Wo denn die Gäste seien, fragte er, und sein Vetter antwortete:

»In der Liegekur. Ich hatte Ausgang heute, weil ich dich ab-holen wollte. Sonst liege ich auch nach dem Abendbrot auf dem Balkon.«

Es fehlte nicht viel, daß Hans Castorp aufs neue vom Lachen überwältigt wurde.

»Was, ihr liegt bei Nacht und Nebel auf dem Balkon?« fragte er mit wankender Stimme . . .

»Ja, das ist Vorschrift. Von acht bis zehn. Aber komm nun, sieh dir dein Zimmer an und wasch dir die Hände.«

Sie bestiegen den Lift, dessen elektrisches Triebwerk der Franzose bediente. Im Hinaufgleiten trocknete Hans Castorp sich die Augen.

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»Ich bin ganz entzwei und erschöpft vor Lachen«, sagte er und atmete durch den Mund. »Du hast mir soviel tolles Zeug erzählt . . . Das mit der Seelenzergliederung war zu stark, das hätte nicht kommen dürfen. Außerdem bin ich doch auch wohl ein bißchen abgespannt von der Reise. Leidest du auch so an kalten Füßen? Gleichzeitig hat man dann so ein heißes Gesicht, das ist unangenehm. Wir essen wohl gleich? Mir scheint, ich ha-be Hunger. Ißt man denn anständig bei euch hier oben?«

Sie gingen geräuschlos den Kokosläufer des schmalen Korri-dors entlang. Glocken aus Milchglas sandten von der Decke ein bleiches Licht. Die Wände schimmerten weiß und hart, mit ei-ner lackartigen Ölfarbe überzogen. Eine Krankenschwester zeig-te sich irgendwo, in weißer Haube und einen Zwicker auf der Nase, dessen Schnur sie sich hinter das Ohr gelegt hatte. Offen-bar war sie protestantischer Konfession, ohne rechte Hingabe an ihren Beruf, neugierig und von Langerweile beunruhigt und be-lastet. An zwei Stellen des Ganges, auf dem Fußboden vor den weiß lackierten numerierten Türen, standen gewisse Ballons, große, bauchige Gefäße mit kurzen Hälsen, nach deren Bedeu-tung zu fragen Hans Castorp fürs erste vergaß.

»Hier bist du«, sagte Joachim. »Nummer Vierunddreißig. Rechts bin ich, und links ist ein russisches Ehepaar, - etwas sa-lopp und laut, muß man wohl sagen, aber das war nicht anders zu machen. Nun, was sagst du?«

Die Tür war doppelt, mit Kleiderhaken im inneren Hohl-raum. Joachim hatte das Deckenlicht eingeschaltet, und in seiner zitternden Klarheit zeigte das Zimmer sich heiter und fried-lich, mit seinen weißen, praktischen Möbeln, seinen ebenfalls weißen, starken, waschbaren Tapeten, seinem reinlichen Lino-leum-Fußbodenbelag und den leinenen Vorhängen, die in mo-dernem Geschmacke einfach und lustig bestickt waren. Die Bal-kontür stand offen; man gewahrte die Lichter des Tals und ver-nahm eine entfernte Tanzmusik. Der gute Joachim hatte einige Blumen in eine kleine Vase auf die Kommode gestellt, - was eben im zweiten Grase zu finden gewesen war, etwas Schafgar-be und ein paar Glockenblumen, von ihm selbst am Hang ge-pflückt.

»Reizend von dir«, sagte Hans Castorp. »Was für ein nettes Zimmer! Hier läßt es sich gut und gern ein paar Wochen hausen.«

»Vorgestern ist hier eine Amerikanerin gestorben«, sagte Joa-

chim. »Behrens meinte gleich, daß sie fertig sein würde, bis du kämest, und daß du das Zimmer dann haben könntest. Ihr Ver-lobter war bei ihr, englischer Marineoffizier, aber er benahm sich nicht gerade stramm. Jeden Augenblick kam er auf den Korridor hinaus, um zu weinen, ganz wie ein kleiner Junge. Und dann rieb er sich die Backen mit Coldcream ein, weil er lasiert war und die Tränen ihn da so brannten. Vorgestern abend hatte die Amerikanerin noch zwei Blutstürze ersten Ranges, und damit war Schluß. Aber sie ist schon seit gestern morgen fort, und dann haben sie hier natürlich gründlich ausgeräuchert, mit Formalin, weißt du, das soll so gut sein für solche Zwecke.«

Hans Castorp nahm diese Erzählung mit einer angeregten Zerstreutheit auf. Mit zurückgezogenen Ärmeln vor dem geräu-migen Waschbecken stehend, dessen Nickelhähne im elektri-schen Lichte blitzten, warf er kaum einen flüchtigen Blick zu der weißmetallenen, reinlich bedeckten Bettstatt hinüber.

»Ausgeräuchert, das ist famos«, sagte er gesprächig und etwas ungereimt, indem er sich die Hände wusch und trocknete. »Ja, Methylaldehyd, das hält die stärkste Bakterie nicht aus, - H2CO, aber es sticht in die Nase, nicht? Selbstverständlich ist strengste Sauberkeit eine Grundbedingung . . .« Er sagte »Selbstvers-tändlich« mit dem getrennten st, während sein Vetter sich, seit er Student war, die verbreiterte Aussprache angewöhnt hatte, und fuhr mit großer Geläufigkeit fort: »Was ich noch sagen wollte . . . Wahrscheinlich hatte der Marineoffizier sich mit dem Sicherheitsapparat rasiert, möchte ich annehmen, man macht sich doch leichter wund mit den Dingern, als mit einem gut ab-gezogenen Messer, das ist wenigstens meine Erfahrung, ich ge-brauche abwechselnd eins und das andere . . . Na, und auf der gereizten Haut tut das Salzwasser natürlich weh, da war er wohl vom Dienst her gewöhnt, Coldcream anzuwenden, es fällt mir nichts auf daran . . .« Und er plauderte weiter, sagte, daß er zweihundert Stück von Maria Mancini - seiner Zigarre - im Koffer habe, - die Revision sei höchst gemütlich gewesen - und richtete Grüße von verschiedenen Personen in der Heimat aus. »Wird hier denn nicht geheizt?« rief er plötzlich und lief zu den Röhren, um die Hände daran zu legen . . .

»Nein, wir werden hier ziemlich kühl gehalten«, antwortete oachim. »Da muß es anders kommen, bis im August die Zen-tralheizung angezündet wird.«

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»August, August!« sagte Hans Castorp. »Aber mich friert! Mich friert abscheulich, nämlich am Körper, denn im Gesicht bin ich auffallend echauffiert, - da, fühle doch mal, wie ich brenne!«

Diese Zumutung, man solle sein Gesicht befühlen, paßte ganz und gar nicht zu Hans Castorps Natur und berührte ihn selber peinlich. Joachim ging auch nicht darauf ein, sondern sagte nur:

»Das ist die Luft und hat nichts zu sagen. Behrens selbst hat den ganzen Tag blaue Backen. Manche gewöhnen sich nie. Na, go on, wir kriegen sonst nichts mehr zu essen.«

Draußen zeigte sich wieder die Krankenschwester, kurzsich-tig und neugierig nach ihnen spähend. Aber im ersten Stock-werk blieb Hans Castorp plötzlich stehen, festgebannt von ei-nem vollkommen gräßlichen Geräusch, das in geringer Entfer-nung hinter einer Biegung des Korridors vernehmlich wurde, einem Geräusch, nicht laut, aber so ausgemacht abscheulicher Art, daß Hans Castorp eine Grimasse schnitt und seinen Vetter mit erweiterten Augen ansah. Es war Husten, offenbar, - eines Mannes Husten; aber ein Husten, der keinem anderen ähnelte, den Hans Castorp jemals gehört hatte, ja, mit dem verglichen jeder andere ihm bekannte Husten eine prächtige und gesunde Lebensäußerung gewesen war, - ein Husten ganz ohne Lust und Liebe, der nicht in richtigen Stößen geschah, sondern nur wie ein schauerlich kraftloses Wühlen im Brei organischer Auflö-sung klang.

»Ja«, sagte Joachim, »da sieht es böse aus. Ein österreichischer Aristokrat, weißt du, eleganter Mann und ganz wie zum Her-renreiter geboren. Und nun steht es so mit ihm. Aber er geht noch herum.«

Während sie ihren Weg fortsetzten, sprach Hans Castorp an-gelegentlich über den Husten des Herrenreiters. »Du mußt be-denken«, sagte er, »daß ich dergleichen nie gehört habe, daß es mir völlig neu ist, da macht es natürlich Eindruck auf mich. Es gibt so vielerlei Husten, trockenen und losen, und der lose ist eher noch vorteilhafter, wie man allgemein sagt, und besser, als wenn man so bellt. Als ich in meiner Jugend (»in meiner Ju-gend« sagte er) Bräune hatte, da bellte ich wie ein Wolf, und sie waren alle froh, als es locker wurde, ich kann mich noch dran erinnern. Aber so ein Husten, wie dieser, war noch nicht da, für