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«Oh, nur nicht töten!» flehte der Eiserne Holzfäller. «Ich würde um den armen Hirsch so schrecklich weinen, daß kein Öl in der Welt ausreichen würde, mein Gesicht vor Rost zu schützen.»

«Wie ihr wollt», brummte der Löwe und ging in den Wald. Er kam spät zurück, kauerte sich mit sattem Schnurren abseits vom Feuer hin und richtete seine gelben Augen mit den schmalen Pupillen auf die Flamme.

Wozu der Löwe ins Dickicht gegangen war, wußte keiner. Er schwieg, und die anderen fragten ihn nicht danach.

Auch der Scheuch ging in den Wald. Er entdeckte einen Baum, an dem Nüsse hingen, die er mit seinen weichen ungeschickten Fingern pflückte. Sie glitten ihm aber aus der Hand, und er mußte sie im Gras zusammenklauben. Es war finster im Wald wie in einem Keller, doch der Scheuch sah bei Nacht ebensogut wie bei Tag, und die Dunkelheit störte ihn nicht im geringsten. Kaum hatte er aber eine Handvoll Nüsse gesammelt, da fielen sie ihm wieder ins Gras, und er mußte von vorn beginnen. Er tat es dennoch mit Vergnügen, denn er hatte Angst, sich dem Feuer zu nähern. Erst als dieses am Erlöschen war, trat er, den Korb voller Nüsse, auf Elli zu, die ihm herzlich dankte.

Am Morgen aß sie die Nüsse. Sie bot auch Totoschka welche an, doch dieser wandte sich verächtlich ab. Er war sehr früh aufgestanden und hatte eine fette Maus im Wald erbeutet (glücklicherweise sah es der Holzfäller nicht).

Die Wanderer zogen weiter. Der Tag sollte ihnen viele Abenteuer bringen. Es verging kaum eine Stunde, als sie an eine Schlucht kamen, die sich nach links und nach rechts hinzog, soweit das Auge reichte.

Es war eine breite und tiefe Schlucht. Elli kroch auf ihren Rand zu, und als sie hinunterschaute, schwindelte ihr, und unwillkürlich wich sie zurück. Tief unten ragten spitze Felsen, zwischen denen ein Bach rauschte, der nicht zu sehen war.

Die Wände waren sehr steil. Traurig standen die Gefährten da. Sie dachten, daß dieses Hindernis unüberwindlich sei und sie jetzt umkehren müßten. Der Scheuch schüttelte den Kopf, der Eiserne Holzfäller griff sich an die Brust, und der Feige Löwe ließ betrübt die Schnauze hängen.

«Was fangen wir nun an?» fragte Elli verzweifelt.

«Wenn ich's wußte!» erwiderte betrübt der Eiserne Holzfäller, und der Löwe kratzte sich mit seiner Tatze verlegen die Nase.

« Oh, welch ungeheurer Graben!» rief der Scheuch. «Über den können wir nicht springen. Da werden wir nun sitzenbleiben!»

«Ich würde ihn schon überspringen», meinte der Löwe, die Entfernung abschätzend.

«Mit uns natürlich?» fragte der Scheuch.

«Wir können's versuchen», erwiderte der Löwe. «Wer wagt's als erster?»

«Wahrscheinlich ich», sagte der Scheuch. «Wenn Elli abstürzt, bricht sie sich das Genick, und auch dem Eisernen Holzfäller könnte es schlimm ergehen. Mir aber geschieht bestimmt nichts, darauf könnt ihr euch verlassen!»

«Ich weiß selber nicht, ob ich mich fürchte oder nicht!» unterbrach der Löwe unwirsch das Geschwätz des Scheuchs. «Da uns aber nichts anderes übrigbleibt, werd ich eben springen. Komm!»

Der Scheuch stieg auf den Rücken des Löwen, der hart am Rand der Schlucht zum Sprung ansetzte.

«Warum nimmst du keinen Anlauf?» fragte Elli.

«Das ist bei uns Löwen nicht der Brauch. Wir springen aus dem Stand.»

Mit einem mächtigen Satz flog er über den Abgrund und landete wohlbehalten auf der anderen Seite. Alle freuten sich. Der Löwe setzte den Scheuch ab und sprang sofort zurück.

Die nächste war Elli. Mit einer Hand umklammerte sie Totoschka, mit der anderen hielt sie sich an der struppigen Mähne des Löwen fest. Als sie sich emporgehoben fühlte, da schien ihr, als sause sie wieder mit dem Tötenden Häuschen durch die Lüfte. Doch ehe sie erschrak, stand sie bereits wieder auf den Füßen.

Als letzter folgte der Eiserne Holzfäller, der während des Sprungs seinen Trichterhut fast verloren hätte.

Nachdem der Löwe etwas verschnauft hatte, zogen die Wanderer weiter auf dem gelben Backsteinweg. Elli nahm mit Recht an, daß die Schlucht von einem Erdbeben herrühre, welches sich nach dem Bau der Straße in die Smaragdenstadt ereignet habe. Elli hatte schon früher gehört, daß sich nach Erdbeben Risse in der Erde bilden. Freilich hatte Vater John ihr von solch ungeheuren Schluchten niemals erzählt. Goodwins Land aber war etwas ganz Besonderes, und dort konnte eben nicht alles so sein wie in der übrigen Welt.

Jenseits der Schlucht wurde der Wald zu beiden Seiten des Weges noch dichter. Es dunkelte. Aus dem Dickicht drang dumpfes Schnauben und anhaltendes Gebrüll. Es grauste den Wanderern. Totoschka klammerte sich geradezu an die Pranken des Löwen, den er jetzt für stärker hielt als den Eisernen Holzfäller. Der Feige Löwe teilte seinen Gefährten mit, daß Säbelzahntiger in diesem Walde hausten.

«Was sind das für Tiere?» fragte der Holzfäller.

«Schreckliche Ungeheuer», flüsterte der

Löwe ängstlich. «Sie sind viel größer als die gewöhnlichen Tiger in anderen Teilen des Landes. Aus ihrem Rachen ragen Hauer, die wie Säbel aussehen. So ein Tiger könnte mich glatt durchstoßen, als wär ich eine Katze. Ich hab furchtbare Angst vor den Säbelzahntigern.»

Alle schwiegen beklommen und gaben sich Mühe, so leise wie möglich aufzutreten.

Elli flüsterte:

«Ich hab in einem Buch gelesen, daß es bei uns in Kansas einst Säbelzahntiger gab, die dann aber ausgestorben sind. Hier scheinen sie noch immer zu leben.»

«Ja, leider», sagte der Feige Löwe. «Ich sah einmal von weitem einen und erschrak so sehr, daß ich krank wurde…»

Über das Gespräch merkten sie gar nicht, daß sie plötzlich wieder vor einer Schlucht standen, die breiter und tiefer war als die erste. Der Löwe weigerte sich, über sie zu springen, dies ginge über seine Kräfte, erklärte er. Alle standen schweigend da und wußten nicht, was sie tun sollten. Da sagte der Scheuch:

«Am Abgrund steht ein hoher Baum. Der Holzfäller könnte ihn so umlegen, daß er über die Schlucht zu fallen kommt und uns als Brücke dient.»

«Ein guter Einfall!» sagte der Löwe anerkennend. «Man könnte meinen, du hättest ein Gehirn im Kopf.»

«O nein», wehrte der Scheuch bescheiden ab, wobei er, wie um sich zu vergewissern, seinen Kopf betastete. «Ich hab mich bloß erinnert, daß der Eiserne Holzfäller das schon einmal getan hat, als wir Elli vom Menschenfresser erretteten.»

Mit ein paar wuchtigen Schlägen hieb der Eiserne Holzfäller eine tiefe Kerbe in den Baum, und dann stemmten sich alle, auch Totoschka, gegen den Stamm — mit Händen, Tatzen, Pfoten oder Stirn -, und der Baum fiel dröhnend über die Schlucht.

«Hurra!» schrien alle wie aus einem Munde.

Sie bewegten sich, an den Zweigen Halt suchend, vorsichtig den Stamm entlang, als eingedehntes Heulen aus dem Walde drang. Auf die Schlucht zu sausten zwei ungeheuerliche Tiere, aus deren Rachen, blanken Säbeln gleich, weiße Hauer ragten.

«Die Säbelzahntiger…», hauchte der Löwe, an allen Gliedern bebend.

«Ruhe!» gebot der Scheuch. «Geht weiter!»

Der Löwe, der den Zug schloß, wandte sich zu den Tigern um und brüllte so furchtbar, daß Elli vor Schreck beinahe in die Schlucht gefallen wäre. Die Tiger stutzten und blickten den Löwen verblüfft an. Sie konnten nicht begreifen, wie ein so unscheinbares Tier so laut brüllen konnte.

Diese Pause ermöglichte es unseren Wanderern, die andere Seite der Schlucht zu erreichen. Mit drei Sätzen holte der Löwe sie ein. Die Säbelzahntiger, die sich die Beute nicht entgehen lassen wollten, traten gleichfalls auf den Stamm. Sie setzten vorsichtig eine Tatze vor die andere, hielten nach jedem Schritt inne, knurrten drohend und bleckten ihre