Das Eichhörnchen feixte und verhöhnte die beiden so sehr, daß sie vor Scham zu vergehen glaubten.
«Wir müssen Elli retten!» rief der Scheuch.
«Ja, ja», sagte der Eiserne Holzfäller. «Elli hat uns erlöst, und wir müssen sie dem Menschenfresser entreißen. Sonst sterbe ich vor Schmerz…» Tränen rannen über seine Wangen.
«Du weinst ja schon wieder!» rief der Scheuch entsetzt und trocknete ihm die Augen mit dem Taschentuch. «Die Ölkanne ist ja bei Elli!»
«Wenn ihr dem kleinen Mädchen helfen wollt, so kann ich euch zum Menschenfresser führen, obwohl ich mich sehr vor ihm fürchte», sagte das Eichhörnchen.
Der Eiserne Holzfäller bettete Totoschka behutsam auf das weiche Moos und sagte:
«Wenn wir zurückkehren, werden wir ihn gesund-pflegen!» Und zum Eichhörnchen gewandt, sagte er: «Führe uns!»
Das Tierchen hüpfte von Zweig zu Zweig, und die Freunde folgten ihm. Als sie tief in den Wald eingedrungen waren, sahen sie eine graue Mauer vor sich.
Das Schloß des Menschenfressers stand auf einem Hügeclass="underline" Eine hohe Mauer umgab es, die selbst eine Katze nicht hätte erklimmen können. Davor zog sich ein Wassergraben. Der Menschenfresser hatte die Brücke hochgezogen und zwei Riegel vor das eiserne Tor geschoben.
Er lebte in seinem Schloß allein. Früher hatte er Schafe, Kühe und Pferde und viele Diener gehalten. Zu jener Zeit kamen oft Wanderer, die in die Smaragdenstadt zogen, am Schloß vorbei. Der Menschenfresser fiel über sie her und fraß sie. Als die Käuer davon erfuhren, hörte der Verkehr auf der Straße auf.
Da begann der Menschenfresser seine Burg zu verwüsten. Zuerst fraß er die Hammel, Kühe und Pferde und dann die Diener, einen nach dem andern. In den letzten Jahren lauerte er im Wald unvorsichtigen Kaninchen und Hasen auf, die er mit Haut und Haar verschlang.
Als der Menschenfresser Elli raubte, jubelte er im Vorgefühl des üppigen Schmauses. Er trug das Mädchen in das Schloß, wo er es fesselte und auf den Küchentisch legte. Dann begann er sein großes Messer zu wetzen.
Klick… klick, klirrte das Messer.
Der Menschenfresser frohlockte:
«Ba-ga-ra! Eine solche Beute lob ich mir! Das wird herrlich schmecken. Ba-ga-ra!»
Und zu Elli:
«Ba-ga-ra! Das hab ich mir fein ausgedacht, das Brettchen mit der Aufschrift. Du glaubtest wohl, ich würde deine Wünsche erfüllen. Das könnte dir so passen! Nein, das hab ich als Köder für solche Gimpel wie du gemacht, ba-ga-ra!»
Elli flehte den Menschenfresser um Erbarmen an. Der aber hörte sie nicht und fuhr fort, das Messer zu wetzen.
Klick… klick… klick…
Er hob das Messer über das Mädchen, das vor Entsetzen die Augen schloß, ließ die Hand aber wieder sinken und gähnte.
«Ba-ga-ra. Das Wetzen des Messers hat mich müde gemacht. Ich will mich lieber für ein Stündchen hinlegen. Nach dem Schlaf schmeckt das Essen viel besser!»
Der Menschenfresser ging in sein Schlafgemach, und bald schnarchte er so laut, daß es im ganzen Schloß und sogar im Walde zu hören war.
Der Eiserne Holzfäller und der Scheuch standen vor dem Wassergraben und wußten nicht, was sie tun sollten. «Ich würde hinüberschwimmen». sagte der Scheuch, «doch befürchte ich, daß das Wasser mir die Augen, die Ohren und den Mund wegwäscht, und dann bin ich blind, taub und stumm.»
«Und ich würde ertrinken», sagte der Eiserne Holzfäller, «weil ich doch so schwer bin. Ja, selbst wenn ich aus dem Wasser herauskäme, würde ich sogleich einrosten, und die Ölkanne ist doch nicht da…»
Während sie so standen und überlegten, hörten sie plötzlich das Schnarchen des Menschenfressers.
«Wir müssen Elli befreien, solange er schläft», sagte der Eiserne Holzfäller. «Warte, mir ist was eingefallen. Ich weiß. wie wir über den Graben kommen.»
Er fällte einen hohen Baum, so daß er auf die Schloßmauer fiel und eine Art Brücke bildete.
«Steig hinauf», sagte er zum Scheuch. «Du bist leichter als ich.»
Der Scheuch trat an den Baum heran, wich aber sofort ängstlich zurück.
Als das Eichhörnchen dies sah, riß ihm die Geduld. Es sprang auf den Stamm und lief flugs auf die Mauer zu.
«Quirr… quirr… Du Feigling!» rief es zum Scheuch hinüber. «Hast du gesehen, wie man's macht?» Als es aber einen Blick durchs Schloßfenster warf, schrie es voller Entsetzen: «Das Mädelchen liegt gefesselt auf dem Küchentisch, und daneben liegt ein großes Messer. Das Mädelchen weint… Ich sehe die Tränen fließen…»
Als der Scheuch dies hörte, vergaß er jede Gefahr und kletterte fast noch flinker als das Eichhörnchen auf die Mauer.
«O weh», schrie er, als er durch das Küchenfenster das bleiche Gesicht Ellis erblickte, und plumpste wie ein Sack in den Hof.
Noch ehe er aufstand, sprang das Eichhörnchen auf seinen Rücken, lief über den Hof zum Fenster, schlüpfte durch das Gitter in die Küche und begann am Strick, mit dem Elli gefesselt war, zu nagen.
Der Scheuch schob die schweren Riegel zurück, ließ die Zugbrücke herab, und der Eiserne Holzfäller trat in den Hof. Er rollte die Augen und schwang drohend seine Axt.
Das wird dem Menschenfresser Angst machen, wenn er plötzlich erwachen und auf den Hof hinaustreten sollte, dachte der Holzfäller.
«Hierher, hier!» schnarrte das Eichhörnchen aus der Küche, und die Freunde eilten auf den Ruf herbei.
Der Holzfäller klemmte die Axt in den Türspalt, stemmte sich dagegen, und die Tür flog auf. Elli sprang vom Tisch, und alle vier, der Eiserne Holzfäller, der Scheuch, Elli und das Eichhörnchen, liefen, so schnell sie die Beine trugen, in den Wald.
Unter den Füßen des Eisernen Holzfällers dröhnten die Steinfliesen des Schloßhofs, worüber der Menschenfresser erwachte. Er stürzte aus seinem Gemach, und als er Elli nicht vorfand, raste er wie wild auf das Tor zu.
Der Menschenfresser war nicht hoch von Wuchs, aber sehr dick. Sein Kopf sah wie ein Kessel aus, sein Bauch wie ein Faß. Er hatte lange Arme wie ein Gorilla, seine Beine staken in hohen Stiefeln mit dicken Sohlen, und er trug einen zottigen Mantel aus Tierfellen. Auf dem Kopf hatte er statt eines Helms eine große eherne Kasserolle gestülpt, mit dem Griff nach hinten. Seine Hand umklammerte eine mächtige Keule mit scharfen Nägeln am dicken Ende.
Er brüllte vor Wut, stampfte mit seinen schweren Stiefeln über die Fliesen und fletschte seine scharfen Zähne, klaz-klaz-klaz.
«Ba-ga-ra, ihr Schelme sollt mir nicht entkommen!»
Der Menschenfresser holte die Flüchtenden schnell ein. Als der Holzfäller dies sah, lehnte er die entsetzte Elli an einen Baum an und machte sich kampfbereit. Der Scheuch blieb zurück, weil sich seine Füße immerfort in den Wurzeln und die Brust in den Zweigen verfingen. Als der Menschenfresser ihn erreichte, warf sich der Scheuch zu Boden, und der Menschenfresser, der das nicht erwartet hatte, stolperte und fiel hin.
«Ba-ga-ra! Was ist denn das für ein Scheusal?»
Der Menschenfresser war noch ganz benommen, da sprang der Eiserne Holzfäller auf ihn zu und hieb ihn mit seiner scharfen Axt mitten durch die Kasserolle entzwei.
«Quirr… quirr, das hast du gut gemacht», rief das Eichhörnchen begeistert, hüpfte durch die Bäume und verbreitete im ganzen Wald die Kunde vom Tod des Menschenfressers.
«Großartig!» lobte der Eiserne Holzfäller den Scheuch. «Du hättest ihn nicht besser überrumpeln können, selbst wenn du ein Gehirn hättest!»
«Du bist ja schwer verletzt!» rief Elli erschrocken.
«Nicht der Rede wert», wehrte der Scheuch gleichmütig ab. «Man wird freilich die Löcher zunähen müssen. Das Ungeheuer hat mir den Rock zerrissen, und ich fürchte, mein Stroh fällt durch.»
Elli nahm Nadel und Zwirn und begann zu flicken. Während sie so dasaß und nähte, drang ein leises Winseln an ihr Ohr. Der Eiserne Holzfäller stürzte ins Dickicht, und im nächsten Augenblick kam er mit Totoschka auf den Armen zurück. Das tapfere Hündchen war aus seiner Ohnmacht erwacht und der Spur des Menschenfressers nachgekrochen.