«Pikapu, trikapu, botalo, motalo…», wiederholten die Käuer ehrfürchtig.
«Wer ist das, dieser Goodwin?» fragte Elli.
«Oh, das ist der weiseste Mann in unserem Lande», flüsterte die Alte, «er ist mächtiger als wir alle und lebt in der Smaragdenstadt.»
«Und wie ist er, böse oder gut?»
«Das weiß niemand. Du brauchst aber keine Angst zu haben. Such nur die drei Geschöpfe, erfülle ihre sehnlichsten Wünsche, und der Zauberer der Smaragdenstadt wird dir helfen, in dein Land heimzukehren.»
«Wo liegt denn die Smaragdenstadt?» fragte Elli.
«In der Mitte des Landes. Goodwin, der große Weise und Zauberer, hat sie selber erbaut und regiert dort. Er hat sich -seither in tiefes Geheimnis gehüllt, noch niemand hat ihn nach dem Aufbau der Stadt gesehen, die vor vielen, vielen Jahren fertig wurde.»
«Wie komme ich aber in die Smaragdenstadt?»
«Es ist ein weiter Weg, der dorthin führt, und nicht überall ist das Land so freundlich wie bei uns. Da gibt es finstere Wälder mit schrecklichen Tieren und reißende Flüsse, die dem Wanderer mit großen Gefahren drohen.»
«Wollen Sie nicht mit mir gehen?» fragte Elli.
«Nein, mein Kind», erwiderte Willina, «ich kann das Gelbe Land für längere Zeit nicht verlassen. Du mußt schon allein gehen. Der Weg zur Smaragdenstadt ist mit gelbem Backstein ausgelegt, du wirst dich gewiß nicht verirren. Wenn du zu Goodwin kommst, bitte ihn um Hilfe…»
«Werde ich dort lange bleiben müssen, Frau Zauberin?» fragte Elli mit gesenktem Blick.
«Ich weiß es nicht», antwortete Willina. «Darüber steht nichts in meinem Zauberbuch. Geh, suche, kämpfe! Ich werde von Zeit zu Zeit das Zauberbuch aufschlagen, um nachzusehen, wie es dir geht… Leb wohl, mein Kind!»
Willina beugte sich über das riesige Buch, das sogleich klein wurde wie ein Fingerhut, und steckte es in die Falten ihres Gewandes. Ein Wind erhob sich, es wurde finster ringsum, und als die Dunkelheit zerrann, war Willina verschwunden. Elli erschauerte, und die Käuer zitterten vor Angst so sehr, daß die Schellen an ihren Hüten von selber zu klingeln begannen.
Als sie sich beruhigt hatten, sagte der tapferste unter den Käuern, ihr Ältester, zu Elli:
«Allmächtige Fee! Wir begrüßen dich im Blauen Lande! Du hast die böse Gingema getötet und die Käuer befreit.»
Elli entgegnete:
«Ihr seid sehr liebenswürdig, doch irrt Ihr Euch. Ich bin keine Fee. Ihr habt doch gehört, daß mein Häuschen auf Befehl der Zauberin Willina auf Gingema niederging…»
«Das glauben wir nicht», erwiderte der Älteste entschieden. «Wir haben dein Gespräch mit der guten Zauberin gehört, botalo, motalo, dennoch glauben wir, daß du eine mächtige Fee bist. Nur Feen können mit ihren Häuschen durch die Luft fliegen, nur eine Fee konnte uns von Gingema erlösen, der bösen Zauberin des Blauen Landes. Sie hat viele Jahre über uns geherrscht, und wir mußten Tag und Nacht für sie arbeiten.»
«Wir mußten Tag und Nacht für sie arbeiten», wiederholten die Käuer im Chor. «Sie befahl uns, Spinnen und Fledermäuse zu fangen und in den Gräben Frösche und Blutegel zu sammeln, denn das waren ihre Lieblingsspeisen…»
«Wir aber fürchten uns so sehr vor den Spinnen und Blutegeln!» klagten die Käuer mit Tränen in den Augen.
«Warum weint ihr?» fragte Elli. «Jetzt ist doch alles vorbei?»
«Ja, ja!» frohlockten die Käuer und lachten, daß die Schellen an ihren Hüten klingelten.
«Mächtige Frau Elli!» hub der Älteste wieder an. «Willst du uns jetzt anstelle von Gingema regieren? Wir wissen, daß du sehr gütig bist und uns nicht allzu oft bestrafen wirst!»
«Nein, ich bin nur ein kleines Mädchen und tauge nicht zum Regieren», erwiderte Elli. «Wenn ihr mir aber helfen wollt, so laßt mich eure sehnlichsten Wünsche erfüllen.»
«Wir hatten nur den einen Wunsch, die böse Gingema loszuwerden, pikapu, trikapu! Dein Häuschen — krak! krak! krak! — sie zerdrückt, und jetzt haben wir keine Wünsche mehr!» sagte der Älteste.
«Dann brauch ich mich bei euch nicht länger aufzuhalten. Ich will Leute suchen, die Wünsche haben. Leider sind meine Schuhe zu alt und zerschlissen für den weiten Weg. Nicht wahr, Totoschka?» wandte sich Elli an das Hündchen.
«Natürlich», pflichtete ihr Totoschka bei. «Mach dir aber keine Sorgen, Elli, ich hab in der Nähe etwas entdeckt und werde dir helfen!»
«Du?» wunderte sich das Mädchen.
«Ja, ich!» erwiderte stolz das Hündchen und verschwand hinter den Bäumen. Bald kehrte es zurück, einen schönen Silberschuh in den Zähnen, den es feierlich Elli zu Füßen legte. Am Schuh funkelte eine goldene Schnalle.
«Woher hast du ihn?» staunte Elli.
«Das werd ich dir gleich sagen», antwortete keuchend das Hündchen, verschwand erneut in den Büschen und kam bald mit dem zweiten Schuh wieder.
«Entzückend!» rief Elli aus. Sie probierte die Schuhe an, die genau paßten, als wären sie nach Maß genäht.
«Während ich mich hier umsah», hub Totoschka mit wichtiger Miene zu erzählen an, «entdeckte ich im Berg hinter den Bäumen ein großes schwarzes Loch.»
«Ach, ach, ach!» entsetzten sich die Käuer, «das ist ja der Eingang zur Höhle der bösen Gingema! Und du hast dich hineingewagt?»
«Was ist schon dabei? Gingema ist ja tot!» entgegnete Totoschka.
«Du bist wohl auch ein Zauberer?» fragte der Älteste zitternd, und alle anderen Käuer nickten so lebhaft, daß die Schellen an ihren Hüten im Takt klingelten.
«Und als ich in die Höhle stieg, wie ihr das Loch nennt, da sah ich viele drollige und merkwürdige Dinge. Am meisten gefielen mir aber die Schuhe, die am Eingang standen. Große Vögel mit schrecklichen gelben Augen wollten mich hindern, die Schuhe zu nehmen, aber ein Totoschka läßt sich nicht ins Bockshorn jagen, wenn er seiner Elli einen Dienst erweisen will!»
«Du, mein tapferer Liebling!» rief Elli aus und drückte das Hündchen zärtlich an sich. «Mit diesen Schuhen werde ich bestimmt niemals müde!»
«Schön, daß du die Schuhe der bösen Hexe bekommen hast», fiel ihr der Älteste der Käuer ins Wort. «Sie besitzen wahrscheinlich Zauberkraft, denn Gingema pflegte sie nur bei äußerst wichtigen Anlässen anzuziehen. Wir wissen nicht,
was das für eine Kraft ist… Sag, willst du wirklich von uns gehen, liebe Fee?» fragte der Älteste seufzend. «Dann wollen wir dir schnell Mundvorrat für die Reise bringen.»
Die Käuer gingen. Elli fand ein Stück Brot in ihrem Häuschen und aß es am Ufer eines Baches. Dann trank sie vom klaren, kalten Wasser und begann zum weiten Weg zu rüsten, während Totoschka unter einem Baum umhersprang und nach einem krächzenden bunten Papagei schnappte, der auf einem Zweig saß und das Hündchen neckte.
Elli trat aus dem Häuschen, schloß sorgfältig die Tür und schrieb mit Kreide darauf: «Ich bin nicht zu Hause.»
Da kehrten auch schon die Käuer zurück. Sie hatten so viel Essen mitgebracht, daß es Elli für Jahre gereicht hätte: ganze Hammel, Gänse und Enten, einen Korb mit Obst…
Elli lachte:
«Was soll ich mit soviel Essen anfangen, liebe Freunde?»
Sie legte ein wenig Brot und Obst in den Korb, nahm von den Käuern Abschied und machte sich mit dem lustigen Totoschka tapfer auf den Weg.
Nicht weit von dem Häuschen gabelte sich die Straße. Elli wählte die, die mit gelbem Backstein ausgelegt war. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, und das kleine Mädchen, das vom Schicksal in ein wunderliches Land verschlagen worden war, fühlte sich ganz wohl.
Zu beiden Seiten des Weges zogen sich blaue Zäune hin, hinter denen bestellte Felder lagen. Da und dort waren runde Häuschen zu sehen, deren Dächer den Spitzhüten der Käuer ähnelten. Auf den Dächern glitzerten Kristallkugeln. Die Häuschen waren blau angestrichen.