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Auf den Feldern arbeiteten kleine Männer und Frauen.

Sie zogen vor Elli die Hüte und nickten ihr freundlich zu, denn jeder wußte jetzt, daß das Mädchen mit den Silberschuhen das Land von der bösen Zauberin befreit hatte, daß sie mit ihrem Häuschen — krak, krak! — auf den Kopf der Hexe niedergesaust war.

Die Käuer, denen sie unterwegs begegneten, blickten ängstlich staunend auf Totoschka und hielten sich die Ohren zu, wenn er bellte. Wenn das brave Hündchen auf einen Käuer zulief, so floh dieser, so schnell er konnte. Im Lande Goodwins gab es nämlich keine Hunde.

Am Abend verspürte Elli Hunger. Sie dachte nach, wo sie die Nacht verbringen solle, da erblickte sie ein großes Haus, das dicht am Wege stand. Auf einem Rasen vor dem Hause tanzten kleine Männer und Frauen. Musikanten spielten eifrig auf kleinen Geigen und bliesen Flöte. Auch Kinder tummelten sich da, die so klein waren, daß Elli staunte. Sie sahen wie Puppen aus. Auf einer Terrasse standen lange Tische mit Tellern voller Obst, Nüssen und Bonbons, schmackhaften Kuchen und großen Torten.

Als Elli herankam, trat ein schöner, hoher Greis aus der tanzenden Schar (er war um einen ganzen Finger größer als Elli!), verneigte sich und sagte:

«Ich und meine Freunde feiern heute die Befreiung unseres Landes von der bösen Zauberin. Darf ich die mächtige Fee des Tötenden Häuschens zu unserem Fest einladen?»

«Warum meint Ihr, daß ich eine Fee bin?» fragte Elli.

«Du hast die böse Zauberin Gingema zerdrückt — krak, krak! -, wie eine hohle Eierschale; du trägst ihre Zauberschuhe und hast ein merkwürdiges Tier bei dir, wie wir es noch nie gesehen haben und von dem unsere Freunde sagen, daß es gleichfalls Zauberkräfte besitzt…» Darauf wußte Elli nichts zu erwidern, und sie folgte dem Alten, der Prem Kokus hieß. Die Leute nahmen sie wie eine Königin auf. Ihre Schellen an den Hüten klingelten ohne Unterlaß, es wurde viel getanzt, man verzehrte unzählige Kuchen und trank eine Menge erfrischender Getränke. Es war ein so angenehmer und lustiger Abend, daß Elli erst beim Einschlafen an Vater und Mutter dachte.

Am Morgen nach dem reichlichen Frühstück fragte sie den alten Kokus:

«Ist es von hier weit bis zur Smaragdenstadt?»

«Das weiß ich nicht», erwiderte dieser nachdenklich. «Ich war nie dort. Man hält sich dem Großen Goodwin lieber fern, besonders, wenn man kein wichtiges Anliegen an ihn hat. Außerdem ist auch der Weg in die Smaragdenstadt sehr lang und beschwerlich. Du wirst durch finstere Wälder gehen und reißende Flüsse überqueren müssen.»

Elli war betrübt, solches zu hören, aber sie wußte, daß nur der Große Goodwin sie nach Kansas zurückbringen könne, und so verabschiedete sie sich denn von den lieben Leuten und beschritt wieder den Weg, der mit gelbem Backstein gepflastert war.

Der Scheuch

Elli wanderte rastlos mehrere Stunden, und als sie müde wurde, setzte sie sich vor einem der blauen Zäune hin, hinter dem sich ein Feld mit reifem Weizen zog. In der Nähe stand ein hoher Pfahl, auf dem eine Vogelscheuche aufgesteckt war. Der Kopf bestand aus einem mit Stroh ausgestopften Sack, auf den man Augen und Mund gemalt hatte, so daß das Gesicht sehr komisch wirkte. Die Scheuche hatte einen abgetragenen blauen Rock an, aus dessen Nähten an manchen Stellen das Stroh herausragte. Der Kopf war mit einem alten schäbigen Hut bedeckt, dem man die Schellen abgeschnitten hatte, und die Füße staken in blauen Schaftstiefeln, wie sie die Männer des Landes trugen.

Die Scheuche hatte ein komisches und gutmütiges Aussehen.

Elli betrachtete aufmerksam das bemalte Gesicht und staunte nicht wenig, als ihr plötzlich das rechte Auge zublinzelte. Zunächst dachte sie, es sei eine Täuschung, denn in Kansas blinzelten die Vogelscheuchen nicht. Als ihr aber der Strohmann freundlich zunickte, erschrak sie, und der tapfere Totoschka sprang bellend am Zaun hoch, hinter dem die Scheuche stand.

«Guten Tag», sagte diese mit heiserer Stimme.

«Du sprichst?» wunderte sich Elli.

«Ja. Ich habe es gelernt, als ich mich mit einer Krähe zankte. Wie geht es dir?»

«Danke, gut! Sag, lieber Mann, hast du einen sehnlichen Wunsch?»

«O ja! Ich hab eine Menge Wünsche!» Die Scheuche begann hastig ihre Wünsche aufzuzählen: «Erstens brauche ich silberne Schellen für meinen Hut, zweitens neue Stiefel, drittens…»

«Oh, das reicht vollauf», unterbrach ihn Elli. «Aber was ist dein sehnlichster Wunsch?»

«Der sehnlichste?» Der Strohmann dachte einen Augenblick nach. «Nimm mich herunter. Es ist schrecklich langweilig, Tag und Nacht hier zu stehen und die widerlichen Krähen zu verscheuchen, die, nebenbei gesagt, gar keine Angst vor mir haben!»

«Kannst du denn selber nicht heruntersteigen?»

«Nein. Man hat mich auf den Pfahl aufgespießt. Zieh ihn doch aus mir heraus, ich werde dir sehr dankbar sein!»

Elli bog den Pfahl um, faßte den Strohmann mit beiden Händen und hob ihn ab.

«Besten Dank!» stieß er hervor, als er auf der Erde stand. «Ich fühle mich wie neugeboren. Wenn ich jetzt noch silberne Schellen für meinen Hut und ein Paar neue Stiefel bekäme…»

Der Strohmann zupfte sorgfältig seine Jacke zurecht, klopfte das Stroh von den Kleidern ab, machte einen Knicks und stellte sich vor:

«Scheuch!»

«Was sagst du'?»

«Scheuch. Man hat mich so getauft, weil ich die Krähen verscheuchen muß. Und wie heißt du?»

«Elli.»

«Ein schöner Name!»

Das Mädchen war sprachlos. Es konnte nicht begreifen, wie eine Strohpuppe mit bemaltem Gesicht gehen und sprechen konnte.

Totoschka aber war empört.

«Und warum sagst du mir nicht guten Tag'?» rief er zornig.

«Ach, bitte um Verzeihung!» entschuldigte sich der Scheuch und drückte des Hündchens Pfote. «Ich habe die Ehre, mich vorzustellen: Scheuch!»

«Sehr angenehm. Mein Name ist Toto. Meine besten Freunde dürfen mich aber Totoschka nennen!»

«Oh, lieber Scheuch, wie froh ich bin, deinen sehnlichsten Wunsch erfüllt zu haben!» sagte Elli.

«Verzeih, Elli», entgegnete der Scheuch und machte wieder einen Knicks. «Aber ich hab mich wohl geirrt, denn mein sehnlichster Wunsch ist ein Gehirn.»

«Ein Gehirn?»

«Na ja, ein Gehirn. Es ist doch nicht angenehm, wenn man einen Kopf voll Stroh hat.»

«Du lügst ja!» sagte Elli vorwurfsvoll.

«Lügen? Was ist das? Man hat mich erst gestern gemacht,

und ich versteh noch nichts…'

«Wieso verstehst du dann, daß du Stroh im Kopf hast und kein Gehirn wie die Menschen?»

«Das hat mir eine Krähe gesagt, als wir uns zankten. Ich will's dir erzählen. Heute morgen flog eine große struppige Krähe in meiner Nähe herum, die vom Weizen bei weitem nicht so viel fraß, wie sie auf der Erde verstreute. Dann setzte sie sich frech auf meine Schulter, pickte mich in die Wange und höhnte: Kaggi-kar!, und das nennt sich ein Scheuch! Welcher Kauz von einem Farmer hat sich einbilden können, daß wir Krähen uns vor ihm fürchten würden…' Du wirst verstehen, Elli, daß ich wütend war und unbedingt etwas erwidern mußte. Ich strengte mich furchtbar an, und dann gelang es mir plötzlich. Wie ich mich da freute! Allerdings haperte es zunächst. 'Pff, fff… ff -ort mit dir, du Scheusal!' schrie ich, 'un… un… untersteh dich nur, mich zu zwicken, ich kann fff… ff u… ffurchtbar sein!' Es gelang mir, die Krähe am Flügel zu packen und sie von meiner Schulter zu werfen. Die aber machte sich nichts daraus und begann unverschämt die Ähren zu picken. 'Du glaubst wohl, ich staune?' rief die Krähe. 'Als ob ich nicht wußte, daß in Goodwins Land selbst die Scheuchen sprechen, wenn sie sich nur tüchtig anstrengen! Aber ich hab trotzdem keine Angst vor dir, denn von deinem Pfahl kommst du doch nicht los!' — 'Ffff… ffo… ffort!' schrie ich in meinem Elend, und hätte am liebsten geheult vor Wut. In der Tat, wozu tauge ich auch, wenn ich nicht einmal mit einer Krähe fertig werde.