Jetzt erblickte der Gelehrte die tiefen, leidvollen Augen des Jünglings. Er wagte es nicht, die Banane zu essen; er schaute nur auf die Frucht, ohne zu glauben, daß man ihm das Essen gestatten würde.
Der Affenähnliche streichelte dem Jüngling den Rücken. Dann stellte er ihn auf die Knie, mit dem Rücken zu sich, und flüsterte ihm etwas ins Ohr, indem er seinen Kopf mit der Pfote etwas zur Seite bog. Alles auf der Welt vergessend, begann der Jüngling, die Banane zu essen.
In dem Moment schwang der Affenähnliche die Streitaxt . . . Mit Mühe nach Atem ringend, ging der Gelehrte vom Zaun fort. Dann aber zwang er sich, nochmals über den Zaun zu sehen.
Und plötzlich schoß ihm, der es gewöhnt war, für alle Erscheinungen natürliche Erklärungen zu finden, ein blitzartiger Gedanke durch den Kopf:
‚Ohne Zweifel träume ich . . . Ich bin in der Gewalt der Erinnerungen . . . ja, das war bei uns auf der Erde . . . ja, es sind fünfzehn Jahre her. Aber das wird sich nie wiederholen . . . Niemals und nirgendwo.‘
Neuartig beleuchtete dieser Gedanke seine Erlebnisse. Er konzentrierte jetzt seinen ganzen Willen auf die Beobachtungen. Er wußte, daß er vorläufig seine Empörung im Zaum halten mußte, bis zu dem Moment, da es ihm gelingen würde, mit diesen abscheulichen Kreaturen im Kampf abzurechnen.
Er sah ein hohes Gerüst inmitten des Feldes stehen. Ein endlos laufendes Band ging in schräger Anlage nach oben. Die Affen jagten kleine Lebewesen, eins hinter dem andern, auf das sich nach oben bewegende laufende Band. Durch dieses wurden sie nach oben gebracht und fielen dann herunter. Die andern Affen trafen sie dann in der Luft mit dem Feuer aus ihren Stöcken, wie die Jäger beim Scheibenschießen.
Und in der Ferne loderte der riesige Feuerschein der Brände.
Der Gelehrte trat nochmals an den Zaun heran. Seine Augen waren trocken; er hatte den Tränen verwehrt, ihn am Sehen zu hindern. Er wollte alles im Gedächtnis behalten, um das Gesehene nie zu vergeben.
Der affenähnliche Besessene raste jetzt. Er kommandierte ein halbes Dutzend ihm ähnlicher niedrigstirniger Geschöpfe, die sich in Mißhandlungen ereiferten. Bilder abscheulicher Gewalttätigkeiten erschütterten den Gelehrten. Er zitterte vor Empörung und atmete schwer. Aber das Geheimnis verlangte nach Lösung. Langsam kletterte er über den Zaun, jede seiner Bewegungen überlegend und im Gedächtnis festhaltend. Als er auf beiden Beinen jenseits des Zaunes stand, sah er wieder nur Gras, bläuliche Himmelsweite und sonst nichts . . .
»Ausgezeichnet«, murmelte mit Genugtuung der Gelehrte und begann, wieder auf den Platz zurückzuklettern.
Etwas in seiner Westentasche störte ihn dabei; das war das nicht aufgegessene Butterbrot.
»Kommt mir sehr gelegen«, lächelte er, an dem Butterbrot kauend und ohne auf den wieder erschienenen Affen zu achten. Er versank tief in Gedanken.
XIV
Plötzlich vernahm der Gelehrte wieder einen Schrei. Es unterlag keinem Zweifel, daß Jura nach ihm rief. Freudig stürzte er dem jungen Mann entgegen. Auf dem sandigen Fußweg kam Jura auf ihn zu gelaufen, aber, wie merkwürdig — er kam ihm keinen Schritt näher.
»Helfen Sie mir . . . Michail Sergejewitsch! . . .« schrie Jura, außer Atem.
Der Gelehrte eilte zu Hilfe. Er näherte sich dem Anfang des Fußweges, auf welchem Jura lief, und blieb stehen. Glänzende goldene Muscheln liefen unter seinen Füßen fort auf Jura zu. Und die Arme auf dem Rücken verschränkend, rief der Gelehrte mit derselben erhobenen Stimme, wie er sonst Anweisungen an die unverständigen Anwärter zu geben pflegte:
»Springen Sie vom Fußweg herunter, junger Mann!«
»Wohin?« fragte Jura flehentlich zurück, offenbar vor Müdigkeit ganz erschöpft.
»Ganz gleich nach welcher Seite. Auf die Blumenbeete . . . auf die Blumen . . . Soll ich Sie etwa am Arm nehmen?« sprach der Gelehrte ärgerlich.
Jura hatte begriffen. Er sprang vom Fußweg auf die Blumeneinfassung.
»Bitte, kommen Sie jetzt hierher«, lud ihn der Gelehrte ein. »Schreiten Sie tapfer zu; nur nicht auf dem Fußweg . . . Auf dem Fußweg zu mir zu kommen, ist aussichtslos; der Fußweg bewegt sich von mir fort. Es ist lächerlich, aus einer Untergrundbahn auf einer Rollbahn, deren Stufen abwärts laufen, zu versuchen, heraufzukommen; man muß die andere Rollbahn betreten, deren Stufen aufwärts laufen oder wenigstens stillstehen.«
Wie der Gelehrte vermutet hatte, war der Boden neben dem Fußweg unbeweglich.
Nach zwei Minuten hatte Jura die Entfernung, die ihn von dem Gelehrten trennte, bewältigt und blieb, nach Atem ringend, stehen. Offensichtlich war er durch irgend etwas stark erschüttert. Die Haare standen ihm zu Berge; von seiner eleganten Frisur war nur die Erinnerung geblieben. Die Krawatte war zur Seite gerutscht; der durchgeschwitzte Kragen würgte ihn, so daß er ihn aufgeknöpft hatte.
»Berichten Sie«, befahl kurz der Gelehrte.
Jura starrte erstaunt seinen Lehrer an.
»Haben Sie denn nichts bemerkt?« flüsterte er mit heiserer Stimme. »Wir sind in einer Falle, in einer schrecklichen Falle . . .«
»Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, Professor«, unterbrach ihn der Gelehrte. »Berichten Sie!«
Sich nach allen Seiten hin umschauend, als ob er Angst hätte, gehört zu werden, begann Jura hastig zu sprechen:
»Sie entsinnen sich doch, ich habe den Planetoplan bestiegen. Das Fernglas habe ich schnell gefunden. Hier ist es.« Jura reichte dem Gelehrten ein gutes Fernglas.
Er steckte es in die Tasche und murmelte:
»Fahren Sie fort . . .«
»In der Kabine war es dunkel. Es schien mir, daß einer von den Motoren nicht ganz ausgeschaltet wäre. Dann war es, als ob mir jemand einen Stoß versetzt hätte. Ich berührte tastend den Photonenauslöser und spürte, wie der Apparat einen Sprung machte. Er ruckte mit solcher Kraft an, daß ich durch die Vordertür hinausgeschleudert wurde. Ich erhob mich. Der Mondschein war hell genug, um mich umsehen zu können. Aber nichts sah dem sandigen Platz ähnlich, auf welchem wir uns befunden hatten. Sie waren nicht da und auch der Planetoplan nicht . . . Ich mußte mich nach den Sternen orientieren. Und ich ging, um Sie zu suchen . . .«
»Es ist interessant, wie Sie sich orientiert haben.«
»Nach der Wega, Michail Sergejewitsch«, antwortete Jura. »Nach einer halben Stunde war ich mir darüber im klaren, daß auf dem Zehnten die Wega die Bedeutung des Polarsternes hat . . . Die Wiese, über die ich ging, war glatt und eben, gerade recht zum Fußballspiel. Und als die Sonne aufging . . .«
»Im Westen, merken Sie sich das«, fiel ihm der Gelehrte ins Wort . . .
»Ich entsinne mich nicht«, schüttelte Jura mit dem Kopf. »Mein Ehrenwort, ich habe nicht darauf geachtet. Ich dachte an Sie, Michail Sergejewitsch, . . . ich war in furchtbarer Sorge. Die Sonne erreichte mich auf einer breiten Chaussee. Aber ich mußte streng die Richtung nach dem Süden verfolgen. Der Planetoplan war nach Norden gesprungen. Mit einem gewöhnlichen Motor würde sein plötzlicher Sprung kaum zehn Kilometer übersteigen. Darauf habe ich meine ganze Hoffnung gesetzt . . . Wenn ich die Photonen eingeschaltet hätte, so hätten sie mich wer weiß wohin gebracht. Dann bog ich von der Chaussee nach Süden ab. Ein sehr malerischer Pfad führte dorthin; er hat mich zu dem Wäldchen gebracht. Die Bäume waren ganz eigenartig, als ob man sie umgedreht hätte, mit den Wurzeln nach oben . . . Irgendwelche Vögel zwitscherten dort, aber ich hatte keinen Sinn dafür. Übrigens, wenn ich mich nicht irre, habe ich nicht die geringste Spur von Insekten bemerkt . . . weder Ameisen noch Käfer noch Schmetterlinge. Nachdem ich das Wäldchen durchquert hatte, gelangte ich auf einen Fußweg, ähnlich diesem. Und hier begannen meine Unglücksfälle . . . Es war, als ob jemand hinter mir atme. Ich sehe mich um — niemand. Ich beschleunige meine Schritte und höre — er eilt mir nach . . .«
»Wer war das?« fragte trocken der Gelehrte.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich einer der Affen, die den Zehnten bevölkern.«