Das gefiel dem Gelehrten, und er lachte auf
»An Stelle Ihres Assistenten hätte ich hinzugefügt, daß die Aufnahmen der gigantischen Schachtelhalm-Dendren kein anderer bewerkstelligt hätte als der Prae-Adam vom Neandertal. Der Familienname klingt poetisch und ruft Träumerei hervor. Er muß den Mädchen gefallen.«
»Und vom Film ist schon gar nicht zu reden«, fiel Jura ihm ins Wort. »Mit einer Trickaufnahme kann man alle beliebigen Unmöglichkeiten schaffen. Ich selbst habe auf der Leinwand einen Affen gesehen, so groß wie die Eiche von Mamwrium. Der Affe erkletterte einen hundert Stock hohen Wolkenkratzer; dabei hat er es verstanden, in einer Pfote eine entzückende Blondine zu halten, die so gellend schrie, daß, um sie zu befreien, ein ganzes Geschwader von, ich weiß nicht mehr, waren es ‚Kobras‘ oder ‚Pythonen‘ herangebraust kam . . .«
Er schaute auf den Zähler und drehte sich wieder dem Gelehrten zu:
»Bis jetzt ist alles in Ordnung. Wir fliegen um die Sonne . . .«
»Wollen Sie den Zehnten auf der Erdenbahn einholen?«
»O nein. Es gibt einen andern Weg«, lächelte Jura. Der Gelehrte zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Sie wollen doch nicht etwa direkt von der Erde auf den Zehnten fliegen? Da würden wir verschmoren! Richtiger gesagt, wir würden uns in Dampf auflösen. In Atome, Donnerwetter! Das ist tatsächlich eine riskante Reise . . . und sehr lange dauernd außerdem.«
»Ach was, Michail Sergejewitsch«, lachte Jura, »wir gehen doch nicht zu Fuß.«
»Das wäre ja noch schöner«, entgegnete finster der Gelehrte. »Zu Fuß hätten wir die Sonne erst in dreieinhalbtausend Jahren erreicht . . .«
»Mit dem Expreß ‚Der Pfeil‘ hätten wir das in hundertundachtzig geschafft. Aber wir fliegen.«
»Ich sehe schon«, brummte der Gelehrte. »Wenn Ihr Aero . . . ich weiß nicht, wie ich das nennen soll . . . etwa Planetoplan . . . kurz, wenn dieses Ding schneller als ‚Kobras‘ und ‚Pythonen‘ ist, dann werden wir uns vierzig Jahre lang durch den Weltraum schrauben . . . Ich danke schön, aber mein Besuch auf Ihrem Zehnten kann ja gar nicht stattfinden, und zwar aus folgenden Gründen: ich werde ein Alter von hundert Jahren nie erreichen. Übrigens wird Ihnen mein Begräbnis keine Sorgen bereiten, denn sobald wir in die Sonne eingedrungen sind, steht uns ein Krematorium mit der Hitze von sechstausend Grad Celsius kostenlos zur Verfügung . . .«
»Wir werden schneller ankommen«, bemerkte Jura rätselhaft.
»Aha, erraten«, antwortete der Gelehrte: »Sie haben eine ungeheuerliche Rakete angewandt, und jetzt verschlingen wir die Entfernungen mit der Geschwindigkeit eines Geschosses, das aus einem Flakgeschütz letzten Modells abgefeuert wurde . . . kann ich damit rechnen, daß wir die Hälfte des Weges, bis zum Umsteigen auf der Station ‚Sonne‘, nach Ihrer Tabelle ungefähr im Herbst 1964 zurückgelegt haben werden? Wir würden doch vor Hunger sterben . . .«
Jura schlug die Hände zusammen:
»Ich habe gar nicht daran gedacht, daß Sie Hunger bekommen könnten! Ein Spaziergang durch den Äther ist immer appetitanregend . . . Bitte, nehmen Sie aus dem Koffer links von Ihnen die Butterbrote und essen Sie. Kaffee ist auch da in der Thermosflasche. Zum Nachtisch — Äpfel. Ich habe sie vor zwei Stunden in meinem Garten im Altaj vom Baum gepflückt. Bitte sehr . . .«
Ein leichtes Frühstück lehnte der Gelehrte nicht ab. Zeit und Raum haben aufgehört zu existieren. Es blieben nur die Kabine des Planetoplans, Butterbrote und Äpfel. Der Gelehrte nahm sich ein Butterbrot mit Schinken.
»Ich danke«, sagte er, »aber bis 1964 scheint es für uns zwei etwas zu wenig.«
»Sie haben vergessen, daß es auch andere Geschwindigkeiten gibt«, bemerkte Jura.
»Ich habe es nicht vergessen, aber für uns kommt das doch nicht in Frage«, entgegnete der Gelehrte, aus dem Koffer das zweite Butterbrot nehmend. »Ein Sonnenstrahl erreicht die Erde in der Zeit von acht Minuten achtzehn Sekunden . . .«
Das Gesicht Juras bekam einen feierlichen Ausdruck.
»Endlich, mein Lieber«, rief er aus, »endlich sind wir, wie ich sehe, beim wirklichen Kilometerfresser angelangt!«
VII
»Ich hoffe, daß Sie mit der Bemerkung nicht den ‚Fresser‘ meinen«, schmunzelte der Gelehrte, das zweite appetitliche Butterbrot mit schwarzem Kaviar bereits mit den Augen verzehrend.
»Ich meine den Lichtstrahl . . . richtiger: Teilchen des Lichtstrahls, die Ihnen bekannten Photonen«, sagte Jura. »Mein Planetoplan verschlingt die Entfernungen mit einer Geschwindigkeit von zweihundertachtundneunzigtausend Kilometern in der Sekunde . . .«
Für einen Augenblick hörte der Gelehrte auf zu kauen und murmelte:
»Interessant, aber unglaubwürdig.«
»Unglaubwürdig, aber eine Tatsache. Freilich ist diese Geschwindigkeit etwas kleiner als die allgemein bekannte. Aber berücksichtigen Sie, daß die allgemein bekannte Lichtgeschwindigkeit nur eine Geschwindigkeit ist, die auf Grund der nicht zahlreichen Beobachtungen und Versuche als Durchschnitt berechnet worden ist. Ich bin überzeugt, daß die Lichtgeschwindigkeit wahrhaftig verschieden sein kann. Freilich übersteigt der Unterschied nicht ein- oder zweitausend Kilometer in der Sekunde, aber er existiert und ist nicht nur von dem Milieu, durch welches das Licht geht, sondern auch von der Lichtquelle abhängig. Wollen Sie, daß ich Ihnen beweise, daß sich das Licht vom Sirius mit einer andern Geschwindigkeit ausbreitet als das Licht von einem angezündeten Streichholz?«
Der Gelehrte verschluckte sich und steckte in seiner Verwirrung den Rest des Butterbrotes in die Westentasche.
Jura blickte auf die Zifferblätter der Zähler und sagte besorgt:
»Gezählte Minuten bleiben uns; ich werde mich deshalb kurz fassen. Über ein halbes Jahrhundert schon hat die Wissenschaft von den kolossalen Vorräten der Innen-Atomenergie geredet. Lange habe ich nach den passenden Elektronen gesucht und sie endlich gefunden. Denken Sie an die Mendelejewsche Tabelle. Drei Stellen in ihr, und zwar die Nummern einundsechzig, fünfundachtzig und siebenundachtzig, bleiben unbesetzt.«
»Haben Sie ein neues Element entdeckt?« fragte der Gelehrte.
»Ja. Ich habe es ‚Radium-zwei‘ genannt. Es nimmt die Nummer fünfundachtzig in der Mendelejewschen Tabelle ein und ist stärker radioaktiv als Radium. Seine Elektronen verwandeln sich in einer Kammer aus einer besondern plastischen Masse in Photonen, und ihre Energie reicht, wie Sie sehen, völlig aus . . .«
Jura betrachtete aufmerksam den Stand der Zähler. »Es bleiben noch drei Minuten . . . Für meinen Planetoplan habe ich den Weg um die Sonne gewählt, auf einer Bahn, die direkt senkrecht zu der Ebene der Erdbahn liegt. Nachdem wir einen Halbkreis beschrieben haben, müssen wir auf dem Zehnten landen. Die Berechnung der Flugbahn meines Planetoplans ist einfach. Wir nehmen als Radius die Entfernung des Sonnenzentrums von der Erde und berechnen nach der Formel 2πr geteilt durch zwei. Wir dividieren durch die Geschwindigkeit unseres Fluges und bekommen die Entfernung von eintausendsechshundertachtzig Lichtsekunden. Das ergibt eine Flugdauer von genau achtundzwanzig Minuten. Wir haben uns jetzt genau fünfundzwanzig Minuten unterhalten.«
Er wurde von dem Gelehrten unterbrochen. In einem plötzlichen Wutausbruch sprang er von seinem Sitz auf und rief aus: