XII
Ein großes Feld bot ein schreckliches Bild der Zerstörung. Gebäuderuinen, vom Feuer versengt, standen in der Ferne. Der Boden, von Gräben durchzogen, war mit Maschinentrümmern bedeckt. Irgendwelche Metallbüchsen türmten sich aufeinander, mit klaffenden Rissen, zerbeult und sonderbar. Die Mündungen schwarzer Rohre, verbogen und zusammengerollt, als ob Riesen mit ihnen gespielt hätten, gafften zum Himmel empor. Die Steine, teils schwarz vom Rauch, teils grau von Asche, türmten sich aufeinander. Ganz nahe, unmittelbar am Zaun, konnte man die zerstreut umherliegenden Lanzenspitzen erkennen, wie auch eine Menge zertrümmerter Gegenstände, deren Bestimmung dem Gelehrten unbekannt war. Inmitten dieses Chaos schimmerten irgendwelche weißen Stücke, deren Anblick den Gelehrten tief erschütterte. Es waren ohne Zweifel Menschenknochen. Schädel und Knochen bedeckten in ungeheurer Menge dieses Feld des Todes.
Bestürzt ging der Gelehrte Schritt für Schritt rückwärts. Und wieder schien es ihm, als ob jemand hinter ihm stünde. Er spürte sogar im Nacken den ruhigen Atem. Er drehte sich um, aber wieder, wie auch früher, war er allein auf dem dreieckigen Platz.
Das Schild mit den zwei durchstrichenen Vierecken schien ihn an den zweiten Zaun zu locken. Erschöpft stützte er seine Ellenbogen darauf. Vor sich sah er ein von Längsgräben durchzogenes Feld. Kein Grashalm wuchs auf dem steinigen, ausgedörrten, trostlosen Boden. Soweit das Auge reichte, erstreckte sich diese sonderbare Landschaft in die Ferne, die unendlich zu sein schien.
An dem Querbalken des Zaunes bemerkte der Gelehrte einen Vorsprung. Daneben war ein Schild befestigt. Um es besser zu erkennen, stützte er sich mit der Hand auf diesen Vorsprung.
Ohne daß er es bemerkte, begann sich das Feld zu verändern; es wurde lebendig. Merkwürdige menschenähnliche Wesen sprangen aus den Gräben und liefen mit Gebrüll vorwärts. Der Gelehrte sah, wie einer von ihnen, mit niedriger Stirn und Augen eines Besessenen, einen sonderbaren Stock in den Händen haltend, vorwärts rannte. Er lief den Menschen entgegen.
Vor den Augen des Gelehrten entbrannte ein blutiger Kampf.
‚Oh, es gibt hier Menschen‘, dachte er.
Das Feld begann, sich in Rauchschwaden zu hüllen; dazwischen züngelten helle, rote Flammen. Das Kampfgetöse machte den Gelehrten fast taub.
Und er schreckte auf, als er einen fernen Ruf vernahm. Es war ihm, als wäre es Juras Stimme.
XIII
Der Gelehrte stürzte in die Richtung fort, aus der der Ruf hergekommen war, und gelangte an einen dritten Zaun. Er nahm sich jedoch nicht die Zeit, die angebrachten Schilder zu betrachten, sondern sah gleich hinter den Zaun, weil er glaubte, von dorther die Stimme Juras vernommen zu haben.
Eine Reihe niedriger, plumper Gebäude, die wie in den Boden hineingewachsen schienen, erstreckte sich vor ihm. Die stark vergitterten Fenster starrten wie die Augen eines Toten. Vor dem nächstgelegenen Gebäude stand der menschenähnliche Besessene mit der niedrigen Stirn. Er stand da wie ein Monument; schwer und unbeweglich. In den mit Fell bewachsenen Vorderpfoten hielt er einen sonderbaren langen Gegenstand mit einer Spitze am Ende. Es schien, als ob er gar nicht atme; aber seine Augen gingen hin und her, die leeren Augen eines Besessenen. Er starrte den Gelehrten an, dem dieser Anblick äußerst widerlich war. Jetzt empfand er keine Angst mehr; ihn quälte nur der Wunsch, das Geheimnis des Dreiecks zu lüften. Er trat dicht an den Zaun heran und stützte sich mit der Brust auf die Wölbung des Querbalkens.
Wahrscheinlich mißfiel das dem Menschenähnlichen. Er hob die Spitze, und laut hallten die Schläge eines Gongs durch die jetzt drückend heiße Luft . . .
Daraufhin traten aus den Gebäuden Menschen heraus.
Ja, es waren Menschen, leidende und erschöpfte. Frauen, Greise, Halbwüchsige alle in schmutzige Lumpen gehüllt. Manche trugen Kinder in ihren Armen . . . Die Menschenähnlichen schwenkten die spitzen Stöcke und schlugen sie.
Eine Frau sagte etwas mit flehender Stimme; sie streckte, um Mitleid bittend, die Hand empor.
Der Menschenähnliche versetzte ihr einen Schlag.
»Du Biest!« rief der Gelehrte außer sich.
Er sah sich um, nach einem Gegenstand suchend, mit dem er dem Besessenen den Schädel spalten könnte. Es schien ihm unmöglich, diesen Affen ohne Schwanz ungestraft zu lassen.
In den mit Fell bewachsenen Pfoten hielt er einen sonderbaren langen Gegenstand mit einer Spitze am Ende.
Der Gelehrte versuchte, eine Latte vom Zaun abzureißen, was ihm mit viel Mühe gelang. Mit der ziemlich schweren Latte bewaffnet, den Drang jugendlicher Kräfte in sich spürend und vor Wut zitternd, sprang er über den Zaun.
Er hatte das sehr geschickt gemacht und schwenkte schon den Arm, um dem andern einen Hieb zu versetzen, als er im gleichen Augenblick vor Überraschung erstarrte. Hinter dem Zaun sah er nicht das geringste Anzeichen für die Anwesenheit von Menschen oder des menschenähnlichen Besessenen. Hinter den niedrigen Gebäuden mit ihren Kerkerfenstern lag ein glatter, mit kurzgeschnittenem Rasen bedeckter Platz. Das war überraschend und rätselhaft.
Trotzdem kam der Gelehrte gleich wieder zu sich, und seine Gedanken nahmen die für diesen Fall einzig gegebene Richtung. Demnach war es unbedingt nötig, die Sache zu ergründen. Die Natur gibt dem Menschen in jeder Sekunde sehr komplizierte Rätsel auf. Soll nun gerade er, der Gelehrte Solnzew, der seinerzeit das Geheimnis um das Spektrum des Sterns Gamma Cephei gelöst hat, vor diesen Überraschungen versagen?
Ohne Eile kletterte er über den Zaun auf den Platz zurück und, sich mit der Brust auf den gewölbten Querbalken stützend, strich er mit der Hand darüber, indem er auf seine Vorsprünge drückte.
Er war jetzt gar nicht erstaunt, als vor ihm neue Erscheinungen auftauchten. Eine eintönige, bedrückende Silhouette von braunen Ziegelhäusern, alle mit gleichen grünen Dächern, zog sich als langweilige Straße dahin. Schmale Bürgersteige, geplatzte asphaltierte Fahrdämme. Hinter einer Ecke hervor trat eine Kolonne von den Wesen, in denen der Gelehrte anfangs Menschen zu erkennen geglaubt hatte, auf die Straße.
Aber es waren keine Menschen, sondern dieselben sonderbaren, widerlichen Geschöpfe.
Affenähnliche Jünglinge schwankten wie aufgezogene Figuren in einem Panoptikum, wo in der Schreckenskammer mittelalterliche Tyrannen und Menschenfresser, die irgendwann das Dickicht von Neuguinea bevölkert hatten, gezeigt werden.
Sie marschierten alle im Takt, den Linksschritt betonend, mit Gesichtern, die wie gestanzt wirkten; zottige Bestien mit bösen Augen.
Den Gelehrten erinnerten sie sehr an Kiemenkröten, die sich auf ihre Hinterbeine gestellt haben.
Das Zeichen einer sechsbeinigen Spinne, das auf der Backe eines jeden zu sehen war, ähnelte dem Brandmal eines Verbrechers, der sich an diese scheußliche Tätowierung bereits gewöhnt hat.
Sie trugen eigenartige kurze Stöcke über der Schulter.
Beim Herannahen der Affenähnlichen wurden die Fenster und die Türen der Häuser hastig geschlossen. Ein Hund kroch unter das Tor, aber zum Anbellen kam er nicht mehr; denn einer der Marschierenden richtete den Stock auf ihn, aus dem Feuer schlug. Der Hund lag tot am Boden.
Der Führer, vor der Bande marschierend, trug auf der Schulter eine riesige Streitaxt.
Er gab ein Kommando; die Bande blieb stehen. Die Banditen stießen ein schäbiges Geschöpf, mit Fetzen am Leibe, auf den Fahrdamm. Der Gelehrte konnte nicht gleich bemerken, daß es ein junger Mann war, fast noch ein Knabe.
Das lächelnde Gesicht des Führers verzog sich zu einer Fratze. Die haarige Pfote reichte dem Gefangenen eine große saftige Banane, die dieser rasch ergriff.