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»Kelly! Mein Gott! Ich kann es nicht fassen! Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin völlig fertig. Jedes Mal, wenn ich mich umdrehe, denke ich, ich sehe Mark vor mir. Kelly, kann ich irgendetwas für dich tun?«

»Nein, vielen Dank, Sam.«

»Aber wir bleiben in Kontakt. Ich möchte dir helfen, so gut ich kann ...«

Danach gingen Dutzende Anrufe von Marks Freunden, aber auch von anderen Models, Kellys Kolleginnen, ein.

Bill Lerner, der Leiter der Model-Agentur, rief an. Er sprach ihr sein Beileid aus und sagte dann: »Kelly, mir ist klar, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, aber ich glaube, es würde dir vielleicht ganz gut tun, wenn du so schnell wie möglich wieder arbeitest. Bei uns klingelt ununterbrochen das Telefon. Wann kannst du deiner Meinung nach wieder ...?«:

»Wenn Mark zurückkommt.«

Damit legte sie den Hörer auf.

Und jetzt klingelte das Telefon schon wieder. Kelly ließ es eine Zeit lang läuten, dann nahm sie schließlich doch den Hörer ab.

»Mrs. Harris?«

War sie noch Mrs. Harris? Es gab keinen Mr. Harris mehr, aber sie würde für immer Marks Frau sein.

»Hier ist Mrs. Mark Harris«, sagte sie mit fester Stimme.

»Hier ist das Sekretariat von Mr. Tanner Kingsley.«

Für den Mann arbeitet Mark - hat er gearbeitet. »Ja?«

»Mr. Kingsley wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihn in Manhattan besuchen könnten. Er würde sich gern in der Zentrale seiner Firma mit Ihnen treffen. Sind Sie abkömmlich?«

Kelly war abkömmlich. Sie hatte die Agentur darum gebeten, sämtliche Termine abzusagen. Trotzdem wunderte sie sich. Warum will Tanner mich sprechen? »Ja.«

»Wäre es Ihnen angenehm, wenn Sie am Freitag von Paris abfliegen?«

Angenehm würde nichts mehr sein. »Am Freitag. In Ordnung.«

»Gut. Am Flughafen Charles de Gaulle wird ein Ticket der United Airlines für Sie bereit liegen.« Er nannte ihr die Flugnummer. »In New York werden Sie von einem Chauffeur abgeholt werden.«

Mark hatte mit ihr über Tanner Kingsley gesprochen. Er war ihm persönlich begegnet und hielt ihn für ein Genie und einen wunderbaren Arbeitgeber. Vielleicht können wir ein paar Erinnerungen an Mark austauschen. Der Gedanke munterte Kelly etwas auf.

Angel kam hereingestürmt und sprang ihr auf den Schoß. Kelly drückte sie an sich. »Was mache ich nur mit dir, wenn ich weg bin? Frauchen würde dich ja gern mitnehmen. Aber ich bin ja nur ein paar Tage fort.«

Dann fiel Kelly ein, wer sich um den Welpen kümmern könnte.

Kelly ging die Treppe zum Büro des Concierge hinunter. Einige Arbeiter bauten gerade einen neuen Fahrstuhl ein, und Kelly zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie an ihnen vorbeiging.

Philippe Cendre, der Hausmeister des Gebäudes, war ein großer, attraktiver Mann, der eine angenehme Art an sich hatte, desgleichen seine Frau und die Kinder, die stets darum bemüht waren, anderen zu helfen. Sie waren völlig niedergeschmettert gewesen, als sie von Marks Tod erfuhren. Deshalb hatte Kelly auch die ganze Familie zu Marks Beerdigung eingeladen, die am Friedhof Pere-Lachaise stattfand.

Kelly begab sich zu Philippes Wohnungstür und klopfte. Als er selbst öffnete, sagte sie: »Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«

»Kommen Sie herein. Ihnen erfülle ich doch gern jeden Wunsch, Madame Harris.«

»Ich muss für drei, vier Tage nach New York. Würde es Ihnen etwas ausmachen, sich um Angel zu kümmern, solange ich weg bin?«

»Ob uns das etwas ausmacht? Ana Marie und ich tun das doch gern.«

»Danke. Das ist sehr lieb von Ihnen.«

»Und ich verspreche Ihnen auch, dass ich alles tun werde, um sie zu verwöhnen.«

Kelly lächelte. »Zu spät. Ich habe sie schon verwöhnt.«

»Wann reisen Sie ab?«

»Am Freitag.«

»Gut. Ich werde mich um alles kümmern. Habe ich Ihnen schon erzählt, dass meine Tochter an der Sorbonne angenommen wurde?«

»Nein. Das ist ja wunderbar. Sie müssen sehr stolz auf sie sein.«

»Das bin ich. Sie fängt in zwei Wochen mit dem Studium an. Wir sind alle ganz aufgeregt. Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen.«

Am Freitagmorgen brachte Kelly Angel zu Philippe Cendres Wohnung.

Kelly gab dem Hausmeister ein paar Papiertüten. »Hier ist Angels Lieblingsfutter, dazu ein paar Spielsachen für sie .«

Philippe trat einen Schritt zur Seite, und Kelly sah hinter ihm einen Haufen Hundespielzeug am Boden liegen.

Sie lachte. »Angel, du bist in guten Händen.« Sie drückte den Welpen ein letztes Mal an sich. »Wiedersehen, Angel. Vielen Dank, Philippe.«

Als Kelly aufbrach, stand Nicole Paradis, die Dame von der Rezeption des noblen Apartmenthauses, an der Tür, um sich von ihr zu verabschieden. Sie war eine überschwängliche, grauhaarige Frau, die so klein war, dass man nur ihren Kopf sah, wenn sie an der Rezeption saß.

Sie lächelte Kelly an und sagte: »Sie werden uns fehlen, Madame. Kommen Sie bitte rasch zurück.«

Kelly ergriff ihre Hand. »Danke, Nicole. Ich bin bald wieder da.« Wenige Minuten später war sie zum Flughafen unterwegs. Am Flughafen Charles de Gaulle herrschte wie immer ein unglaubliches Gedränge. Die große Halle war ein aberwitziges Labyrinth aus Ticketschaltern, Läden, Restaurants, Rolltreppen und riesigen Aufzügen, die wie Urzeitmonster auf und ab fuhren.

Als Kelly eintraf, geleitete sie ein Flughafenangestellter zu einer Privatlounge. Fünfundvierzig Minuten später wurde ihr Flug ausgerufen. Als sich Kelly zum Flugsteig begab, blickte ihr eine in der Nähe stehende Frau hinterher, bis sie die Fluggastbrücke betrat. Sobald Kelly außer Sicht war, zückte die Frau ihr Handy und erledigte einen Anruf.

Kelly saß in der Maschine und dachte ständig an Mark, ohne wahrzunehmen, dass die meisten Männer und Frauen in der Kabine sie verstohlen anstarrten. Was hat Mark um Mitternacht auf der Aussichtsplattform des Eiffelturms gemacht? Mit wem wollte er sich dort treffen? Und warum? Eine Frage machte ihr vor allem zu schaffen: Warum sollte Mark Selbstmord begehen? Wir waren so glücklich. Wir haben einander so geliebt. Ich kann einfach nicht glauben, dass er sich umgebracht hat. Mark doch nicht ... Er nicht ... Er nicht. Sie schloss die Augen und gab sich ihren Erinnerungen hin .

Sie waren zum ersten Mal miteinander verabredet. Sie hatte an diesem Abend einen züchtigen schwarzen Rock und eine hochgeschlossene weiße Bluse angezogen, damit Mark nicht auf die Idee kam, sie wollte ihn in irgendeiner Weise in Versuchung führen. Sie hatte vor, lediglich ein paar angenehme, zwanglose Stunden mit ihm zu verbringen. Trotzdem stellte Kelly fest, dass sie nervös war. Wegen der unaussprechlichen Sache, die ihr als Kind widerfahren war, hatte Kelly keinerlei Umgang mit Männern gepflegt, es sei denn aus geschäftlichen Gründen oder bei den üblichen Wohltätigkeitsveranstaltungen.

Mark ist ja eigentlich auch kein Partner, sagte sich Kelly immer wieder. Wir beide werden nur Freunde werden. Er kann mich in der Stadt herumführen, ohne dass es zu irgendwelchen Zärtlichkeiten oder anderen Verwicklungen kommt. Während sie noch darüber nachdachte, klingelte es an der Tür.

Kelly atmete tief durch und öffnete. Draußen stand Mark, der sie anlächelte und eine Papiertüte und eine Schachtel in der Hand hielt. Er trug einen schlecht sitzenden grauen Anzug, ein grünes Hemd, eine leuchtend rote Krawatte und braune Schuhe. Kelly hätte beinahe laut gelacht. Marks völliger Mangel an Stilgefühl war geradezu liebenswert. Sie hatte Männer gekannt, deren ganzes Selbstbewusstsein daran hing, dass sie elegant auszusehen meinten.

»Kommen Sie rein«, sagte Kelly.

»Ich hoffe, ich komme nicht zu spät.«

»Nein, ganz und gar nicht.« Er war fünfundzwanzig Minuten zu früh dran.