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Carl Ward, der Gerichtsmediziner, beendete seine Untersuchung, stand auf und wischte den Schmutz von seiner Hose. Er wandte sich an die beiden Kriminalpolizisten. Detective Earl Greenburg war ein erfahrener, routiniert wirkender Mann mit einem eindrucksvollen Erfolgsregister. Detective Robert Praegitzer, grauhaarig und abgebrüht, hatte eine ruhige, lockere Art an sich, als könnte ihn nichts mehr schrecken.

Ward wandte sich an Greenburg. »Ihr könnt ihn übernehmen, Earl.«

»Was haben wir?«

»Die Todesursache ist offensichtlich. Man hat ihm die Kehle durchschnitten, mitten durch die Halsschlagader. Außerdem hat er zwei kaputte Kniescheiben, und allem Anschein nach sind auch ein paar Rippen gebrochen. Den hat jemand ordentlich durch die Mangel gedreht.«

»Wann ist der Tod eingetreten?«

Ward blickte auf das Wasser, das um den Kopf des Opfers schwappte. »Schwer zu sagen. Meiner Schätzung nach wurde er irgendwann nach Mitternacht hier abgeladen. Wenn wir ihn in der Pathologie haben, kriegt ihr einen vollständigen Bericht.«

Greenburg wandte sich der Leiche zu. Graues Sakko, dunkelblaue Hose, hellblauer Schlips, eine teure Uhr am linken Handgelenk. Er kniete sich hin und nahm sich die Taschen des Opfers vor. Mit den Fingerspitzen stieß er auf einen Zettel, fasste ihn vorsichtig am Rand und zog ihn heraus.

»Das ist Italienisch.« Er sah sich um. »Gianelli?«

Einer der Polizisten in Uniform kam angestürmt. »Ja, Sir?«

Greenburg reichte ihm die Nachricht. »Können Sie das lesen?«

Gianelli las laut und langsam vor. »Letzte Chance. Triff dich mit mir am Pier siebzehn, und bring den Rest vom Dope mit, sonst landest du bei den Fischen.« Er gab den Zettel zurück.

Robert Praegitzer blickte verdutzt auf. »Ein Mafiamord? Warum lassen die ihn einfach hier liegen, in aller Öffentlichkeit?«

»Gute Frage.« Greenburg ging die anderen Taschen des Opfers durch. Er zog eine Brieftasche voller Banknoten heraus. »Auf sein Geld hatten sie’s jedenfalls nicht abgesehen.«

Er nahm eine Karte aus der Brieftasche. »Der Name des Opfers ist Richard Stevens.«

Praegitzer runzelte die Stirn. »Richard Stevens ... Stand über den nicht kürzlich irgendwas in der Zeitung?«

»Über seine Frau«, sagte Greenburg. »Diane Stevens. Sie tritt zurzeit vor Gericht auf, im Mordprozess gegen Tony Altieri.«

»Stimmt«, sagte Praegitzer. »Sie sagt gegen den Capo di Capos aus.«

Und beide wandten sich wieder Richard Stevens Leiche zu.

1

In Saal Nummer siebenunddreißig des Supreme Court Criminal Term an der Centre Street 180 in Manhattan wurde der Prozess gegen Anthony (Tony) Altieri mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt. Zahlreiche Zuschauer und Pressevertreter füllten den großen, ehrwürdigen Saal bis auf den letzten Platz.

Schlaff und reglos wie ein fahler, fetter Frosch saß Anthony Altieri in einem Rollstuhl am Tisch der Verteidigung. Nur seine Augen waren unentwegt in Bewegung, und jedes Mal, wenn er Diane Stevens, die auf dem Zeugenstuhl Platz genommen hatte, einen Blick zuwarf, konnte sie seinen Hass regelrecht spüren.

Neben Altieri saß Jake Rubinstein, Altieris Verteidiger. Rubinstein war aus zweierlei Gründen berühmt - wegen der Aufsehen erregenden Fälle, die er vorzugsweise übernahm, und weil seine Mandanten, zumeist bekannte Mafiosi, fast immer freigesprochen wurden.

Rubinstein war ein kleiner, gepflegter Mann mit scharfem Verstand und einer lebhaften Fantasie, der sich vor Gericht stets etwas Neues einfallen ließ. Theatralische Auftritte waren seine Spezialität, eine Kunst, die er hervorragend beherrschte. Außerdem war er ein ausgezeichneter Menschenkenner, der seine Widersacher im Nu einschätzen konnte, der intuitiv ihre Schwächen erkannte. Manchmal stellte sich Rubinstein vor, er sei ein Löwe, der sich langsam an seine arglose Beute heranpirscht, bereit zuzuschlagen ... Oder eine listige Spinne, die ihr Netz webt, in dem sie irgendwann hängen bleiben und sich heillos verheddern ... Manchmal war er ein geduldiger Angler, der behutsam die Schnur auswirft und sie im Wasser langsam hin und her bewegt, bis der gutgläubige Zeuge den Köder schluckt.

Aufmerksam musterte der Anwalt die Frau im Zeugenstand.

Diane Stevens war Anfang dreißig. Anmutig und elegant. Fein geschnittenes Gesicht. Weiches, fließendes Haar. Grüne Augen. Zauberhafte Figur. Ein Ausstrahlung, die mädchenhaft und natürlich wirkte. Sie trug ein schickes, maßgeschneidertes, schwarzes Kostüm. Rubinstein war es nicht entgangen, dass sie tags zuvor bei den Geschworenen einen hervorragenden Eindruck hinterlassen hatte. Bei ihr musste er vorsichtig sein und sich genau überlegen, wie er sie zu fassen bekam. Er entschied sich für den Anglertrick.

Rubinstein ließ sich Zeit, als er zum Zeugenstand ging, und sprach sie dann mit sanfter Stimme an. »Mrs. Stevens, Sie haben gestern ausgesagt, dass Sie an dem besagten Tag, dem vierzehnten Oktober, mit Ihrem Wagen auf dem Henry Hudson Parkway unterwegs waren, als Sie feststellten, dass einer Ihrer Reifen Luft verlor, und an der Ausfahrt zur Hundertachtundfünfzigsten Straße auf eine Stichstraße zum Fort Washington Park abbogen.«

»Ja.« Ihre Stimme war weich und kultiviert.

»Weshalb haben Sie ausgerechnet an dieser Stelle angehalten?«

»Weil ich einen platten Reifen hatte. Ich wusste, dass ich von der Schnellstraße heruntermusste, und zwischen den Bäumen konnte ich das Dach einer Hütte sehen. Ich dachte, dort könnte mir vielleicht jemand helfen. Ich hatte keinen Ersatzreifen dabei.«

»Sind Sie Mitglied in einem Automobilclub?«

»Ja.«

»Haben Sie ein Telefon in Ihrem Wagen?«

»Ja.«

»Warum haben Sie dann nicht den Automobilclub angerufen?«

»Ich dachte, das dauert vielleicht zu lange.« »Natürlich«, sagte Rubinstein verständnisvoll. »Und die Hütte war ja auch unmittelbar vor Ihnen.«

»Ja.«

»Sie sind also hingegangen, um Hilfe zu holen?«

»Ganz recht.«

»War es draußen noch hell?«

»Ja. Es war etwa fünf Uhr nachmittags.«

»Sie konnten also alles deutlich sehen?«

»Jawohl.«

»Und was haben Sie gesehen, Mrs. Stevens?«

»Ich sah Anthony Altieri .«

»Oh. Sind Sie ihm schon einmal begegnet?«

»Nein.«

»Weshalb waren Sie sich so sicher, dass es sich um Anthony Altieri handelte?«

»Ich habe sein Bild in der Zeitung und .«

»Sie haben also Bilder von einem Mann gesehen, der dem Angeklagten ähnelte?«

»Na ja, es ...«

»Was haben Sie in der Hütte gesehen?«

Sie atmete tief durch, als erschauderte sie beim Gedanken an die Szene, die sich ihr dargeboten hatte. »In dem Zimmer waren vier Männer«, begann sie stockend. »Einer davon war an einen Stuhl gefesselt. Mr. Altieri fragte ihn offenbar etwas, während die beiden anderen Männer neben ihm standen.« Ihre Stimme bebte. »Dann zog Mr. Altieri eine Schusswaffe, schrie irgendetwas und - und schoss dem Mann in den Hinterkopf.«

Jake Rubinstein warf einen kurzen Seitenblick hinüber zu den Geschworenen. Gebannt verfolgten sie die Aussage.

»Was haben Sie dann getan, Mrs. Stevens?« »Ich bin zu meinem Wagen zurückgerannt und habe mit meinem Handy die 911 angerufen.«

»Und danach?«

»Ich bin weggefahren.«

»Mit einem platten Reifen?«

»Ja.«

Jetzt musste er sie ein bisschen aus der Reserve locken.

»Warum haben Sie nicht auf die Polizei gewartet?«

Diane warf einen Blick zum Verteidigertisch. Altieri betrachtete sie mit unverhohlener Feindseligkeit.

Sie schaute weg. »Ich konnte nicht dort bleiben, weil ich ... Ich hatte Angst, dass die Männer aus der Hütte kommen und mich sehen könnten.«