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Ben Roberts war einer der beliebtesten und geachtetsten Talkmaster im amerikanischen Fernsehen. Er hatte Kelly vor einigen Jahren interviewt, und seither waren sie miteinander befreundet. Sie sah, wie Ben sich durch die Reporter drängte. Sie kannten ihn alle.

»Hey, Ben! Tritt Kelly in Ihrer Talkshow auf?«

»Glauben Sie, sie redet über den Vorfall?«

»Darf ich ein Foto von Ihnen und Kelly machen?«

Mittlerweile hatte sich Ben zu Kelly durchgekämpft. Die Reporterschar bedrängte sie. »Lasst sie erst mal in Ruhe, Jungs und Mädels. Ihr könnte später noch mit ihr reden.«

Widerwillig gaben die Reporter nach.

Ben ergriff Kellys Hand und sagte: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie Leid mir das tut. Ich habe Mark sehr gemocht.«

»Das beruhte auf Gegenseitigkeit, Ben.«

Als Kelly und Ben zur Gepäckausgabe gingen, fragte er:

»Ganz im Vertrauen - was machst du in New York?«

»Ich besuche Tanner Kingsley.«

Ben nickte. »Er ist ein mächtiger Mann. Ich bin davon überzeugt, dass man sich gut um dich kümmern wird.«

Sie waren beim Gepäckschalter angekommen. »Kelly, wenn ich irgendetwas für dich tun kann, kannst du mich jederzeit im Sender erreichen.« Er blickte sich um. »Wirst du abgeholt? Wenn nicht, kann ich ...«

In diesem Moment kam ein Chauffeur in Uniform auf Kelly zu. »Mrs. Harris? Ich bin Colin. Mr. Kingsley hat für Sie eine Suite im Peninsula Hotel reservieren lassen. Ich kümmere mich um Ihr Gepäck.«

Kelly wandte sich an Ben. »Rufst du mich an?«

»Natürlich.«

Zehn Minuten später war Kelly unterwegs zum Hotel. Als sie sich durch den dichten Verkehr schlängelten, sagte Colin:

»Mr. Kingsleys Sekretariat wird einen Termin mit Ihnen vereinbaren. Der Wagen steht jederzeit zu Ihrer Verfügung.« »Danke.« Was mache ich hier?, fragte sich Kelly.

Bald sollte sie eine Antwort darauf bekommen.

14

Tanner Kingsley las die Schlagzeile der Nachmittagszeitung: »Schwere Hagelschauer im Iran«. In dem Artikel war von einem »ungewöhnlichen Naturereignis« die Rede. Allein schon die Vorstellung, dass in einem heißen Land mitten im Sommer ein Hagelschauer niederging, war aberwitzig. Tanner rief seine Sekretärin zu sich. »Kathy«, sagte er, »schicken Sie eine Kopie dieses Artikels an Senatorin van Luven. Legen Sie eine Notiz bei: >Neuigkeiten zur globalen Erwärmung. Mit freundlichen Grüßen< ...«

»Wird sofort erledigt, Mr. Kingsley.«

Tanner Kingsley warf einen Blick auf seine Uhr. Die beiden Detectives sollten in einer halben Stunde eintreffen. Er sah sich in seinem eleganten Büro um. Er hatte all das hier aufgebaut. KIG. Er dachte an die Macht, die hinter diesen drei Buchstaben steckte. Die Leute würden sich wundern, wenn sie wüssten, wie bescheiden die KIG einst angefangen hatte. Erst sieben Jahre war das her. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit.

Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als er das neue Firmenlogo für KIG entworfen hatte. Ziemlich protzig für eine kleine Klitsche, hatte jemand gesagt, aber Tanner hatte diese kleine Klitsche eigenhändig zu einem Unternehmen von Weltrang aufgebaut. Wenn Tanner an die Anfänge dachte, schien es ihm, als habe er ein Wunder vollbracht.

Tanner Kingsley war fünf Jahre nach seinem Bruder Andrew zur Welt gekommen, und das hatte seinen ganzen Werdegang geprägt. Ihre Eltern waren geschieden, die Mutter hatte wieder geheiratet und war weggezogen. Ihr Vater war Wissenschaftler, und die beiden Söhne waren in seine Fußstapfen getreten und hatten sich zu wahren Wunderkindern gemausert. Mit vierzig Jahren starb der Vater an einem Herzanfall.

Dass er fünf Jahre jünger war als sein Bruder, blieb für Tanner ein stetes Ärgernis. Als er beim Studium der Naturwissenschaften als Bester seines Semesters abschloss, erklärte man ihm: »Andrew war vor fünf Jahren ebenfalls die Nummer eins. Das muss in der Familie liegen.«

Als Tanner einen Rhetorikwettbewerb gewann, sagte der Professor. »Herzlichen Glückwunsch, Tanner. Sie sind schon der zweite Kingsley, der diesen Preis erhält.«

Nicht anders erging es ihm, als er der Tennismannschaft beitrat. »Hoffentlich bist du genauso gut wie dein Bruder Andrew«, meinte der Trainer.

Als Tanner sein Diplom erhielt, hieß es: »Ihre Rede auf der Abschlussfeier war mitreißend. Sie hat mich sehr an die Andrews erinnert.«

Er war im Schatten seines Bruders aufgewachsen, und es wurmte ihn, dass er immer nur als der Zweitbeste galt, weil Andrew ihm stets zuvorgekommen war.

Die beiden Brüder hatten manche Gemeinsamkeit - beide sahen gut aus, waren intelligent und hoch begabt, aber als sie älter wurden, traten auch deutliche Unterschiede zutage. Während Andrew selbstlos und zurückhaltend war, war Tanner extrovertiert, gesellig und ehrgeizig. Andrew zeigte sich im Beisein von Frauen eher schüchtern, Tanner hingegen zog sie aufgrund seines Aussehens und seines Charmes geradezu magnetisch an.

Doch der größte Unterschied zwischen den beiden Brüdern war ihr Lebensziel. Andrew legte großen Wert darauf, zum Wohle der Menschheit zu wirken und anderen beizustehen, während Tanner reich und mächtig werden wollte.

Andrew schloss sein Studium mit summa cum laude ab und griff sofort zu, als man ihm die Mitarbeit in einer großen Denkfabrik anbot. Dort lernte er, welch wichtigen Beitrag ein derartiges Unternehmen zum Wohle der Menschheit leisten konnte, und fünf Jahre später beschloss er, eine eigene Denkfabrik zu gründen, wenn auch in einer weitaus bescheideneren Größenordnung.

Als Andrew Tanner von seiner Idee berichtete, war dieser sofort Feuer und Flamme. »Das ist ja großartig! Denkfabriken werden von der Regierung mit Aufträgen in Millionenhöhe bedacht, ganz zu schweigen von den Unternehmen, die .«

»Das entspricht nicht ganz meinen Vorstellungen«, unterbrach ihn Andrew. »Ich will den Menschen damit helfen.«

Tanner starrte ihn an. »Den Menschen helfen?«

»Ja. Dutzende von Ländern in der Dritten Welt haben keinerlei Zugang zu modernen landwirtschaftlichen und industriellen Produktionsmethoden. Wenn man einem Mann einen Fisch gibt, so heißt es, kann er sich eine Mahlzeit zubereiten. Bringt man ihm aber bei, wie man Fische fängt, kann er sich sein Leben lang ernähren.«

Mit diesem Kleinkram kommt man doch zu nichts, dachte Tanner. »Andrew, diese Länder können es sich gar nicht leisten, uns .«

»Das spielt doch keine Rolle. Wir schicken Fachleute in die Dritte Welt, die den Menschen dort moderne Technologien bringen, die ihr Leben verändern werden. Ich mache dich zu meinem Kompagnon. Wir nennen unsere Denkfabrik die Kingsley Group. Was hältst du davon?«

Tanner dachte einen Moment lang nach. Dann nickte er.

»Genau genommen ist das gar keine schlechte Idee. Wir fangen mit den Ländern an, die du angesprochen hast, und danach sehen wir zu, dass wir ans große Geld kommen - an die Regierungsaufträge und .«

»Wir sollten zunächst dafür sorgen, dass die Welt lebenswerter wird, Tanner.«

Tanner lächelte. Die Sache lief auf einen Kompromiss hinaus. Sie würden so anfangen, wie Andrew es vorgeschlagen hatte, und die Firma dann allmählich ausbauen, bis sie ihre wahren Möglichkeiten ausschöpfen konnten.

»Nun?«

Tanner streckte ihm die Hand entgegen. »Auf unsere Zukunft.«

Sechs Monate später standen die Brüder im strömenden Regen vor einem kleinen Ziegelgebäude, an dem ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift KINGSLEY GROUP prangte.

»Na? Wie sieht das aus?«, fragte Andrew sichtlich stolz.

»Herrlich«, erwiderte Tanner, der sich nur mühsam einen spöttischen Unterton verkneifen konnte.